3 - Zweifel

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Der nächste Morgen fand uns auf dem Weg nach Avenches, einer kleinen und verschlafenen mittelalterlichen Stadt in der Broyeebene direkt beim Murtensee. Während wir auf der Autobahn an den abgeernteten herbstlichen Feldern vorbeisausten, stützte ich meine Füße gegen das Handschuhfach von Matts schwarzem Kleinbus und betrachtete meine neuen Wanderschuhe, die blauen.

Mein Partner schenkte mir einen kurzen Seitenblick vom Fahrersitz aus. „Zufrieden?"

„Sicher." Die Freude in Lous Augen, als ich mit meinen neuen Besitztümern heimkam, hatte mich für die Tortur des Einkaufes vollauf entschädigt. Ich spürte immer noch wohlige Wärme wenn ich an sein strahlendes Gesicht dachte. „Lou bestand darauf, dass ich sie einlaufen müsse und dass der heutige Ausflug eine perfekte Gelegenheit wäre."

„Er hat recht mit dem Einlaufen. Es ist bestimmt gut wenn du sie so oft als möglich trägst bevor du damit auf einen Berg steigst."

Ich verzog das Gesicht. „Wenn ich bloß nicht das Gefühl hätte, dass mir da ein Leidensweg bevorsteht."

Matt lachte. „Nur, wenn wir gestern die falschen Schuhe gekauft haben."

„Pass auf, was du sagst. Sonst mache ich dich verantwortlich, wenn ich Blasen bekomme." Für mich hatte ich längst entschieden, dass die Aussicht auf die Zeit mit Lou mir mehr wert war, als einige Blasen an den Füßen. Aber wenn ich solch unangenehme Nebenerscheinungen verhindern konnte, was mir das noch so recht.

Matt setzte den Blinker und verließ die Autobahn, um der gewundenen Straße durch die Hügel zu folgen. Wir passierten kleine Dörfer und Äcker, auf denen die Bauern die letzte Ernte einbrachten. So spät im Jahr verblieben nur noch Mais und Zuckerrüben auf den Feldern, ein klares Zeichen, dass der Sommer endgültig vorüber war und dem Herbst seinen Platz überlassen musste. Schwarz-weiß gefleckte Kühe grasten unbeeindruckt vom Weltgeschehen in den Wiesen. Von Ferne konnte ich bereits die silbern glänzende Oberfläche des Sees ausmachen, eingerahmt von dunklen Wäldern und den Weinbergen am Südhang des Mont Vully.

Bald erreichte wir Avenches und folgten der Umfahrungsstraße die uns um die Stadt herum führte und uns von Osten her zum römischen Amphitheater brachte. Es war eine der touristischen Hauptattraktionen der Region während den Sommermonaten und ein beliebter Austragungsort für Openair-Festivals.

Matt bog auf den leeren Parkplatz ein und verzog den Mund zu einem Grinsen. „Bereit für etwas echte Feldarbeit?"

„Sicher. Und vor allem freue ich mich darauf, diese Ausgrabung zu besichtigen. Ich habe noch nie einen römischen Friedhof besucht, überhaupt keine archäologische Grabung, ob sie nun von Geistern heimgesucht wird oder nicht."

„Ich bin sicher es gefällt dir. Vicky hat mir einige Grabungen gezeigt, als sie noch studiert hat. Die meisten wirkten wie eine Mischung aus Baustelle und improvisiertem Feldlabor auf mich. Mit einem Hauch von Indiana Jones-Romantik und der Spannung, ob nicht unter jedem Stein ein unentdeckter Schatz oder ein unergründliches Geheimnis wartet." Sein Lächeln verblasste und er trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad, als ob ihn etwas beschäftigte.

„Was ist los?"

Matt unterbrach sein Trommeln und zuckte die Schultern. „Nichts, bloß... Ich glaube nicht, dass wir mit diesen Job etwas verdienen werden." Sein Gesicht wirkte nun ernst, beinahe angespannt. „Es wäre nicht richtig, einer alten Freundin für einen Gefallen eine Rechnung zu stellen." Er öffnete mit einem Klicken seinen Sicherheitsgurt, blieb aber sitzen und starrte ins Leere.

„Was stimmt nicht, Matt? Wir haben nie darüber gesprochen, ihr etwas zu verrechnen und müssen das auch nicht. Lass uns zuerst herausfinden, was hier überhaupt abgeht. Wir wissen nicht, ob wir wirklich helfen können oder ob wir es tatsächlich mit einem Geist zu tun haben. Lass uns das einfach als Probelauf für unsere Firma ansehen."

Der Fluch des Raben | Wattys 2023 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt