16 - Puzzle

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Lou hielt sein Versprechen und begleitete mich zurück nach Avenches. Deshalb holten wir nach dem Kaffee seinen alten, aber wunderschön zurechtgemachten Citroën 2CV aus der Garage in dem ehemaligen Stallungen. Ich liebte den Oldtimer, aber noch wichtiger für mich war die Gelegenheit, mit seinem Besitzer Zeit zu verbringen.

Die Herbstferien waren beinahe zu Ende, aber das Hostel wimmelte immer noch mit Besuchern. Und seit Ritter Guillaume es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, fast jeden Abend bei uns vorbeizuschauen, war Zeit zu zweit ein sehr seltenes Gut für Lou und mich.

Während der Fahrt weihte er mich in die Pläne für unsere bevorstehenden Ferien in den Bergen ein. Er beschrieb mir die Route in leuchtenden Farben und schwärmte von den Tieren, die wir mit etwas Glück sehen würden. Ganz anders als während meinem Einkaufsbummel mit Matt begann ich ich mich nun wirklich auf das Wochenende zu freuen. Warum hatte ich mir je Sorgen über diesen Ausflug gemacht?

Wir kamen vor allen anderen beim Depot an. Anstatt in der Kälte zu warten, spazierten wir Hand in Hand um das dunkle und stille Gebäude wie irgendein verliebtes Paar. Auf der Rückseite der Halle stoppte Lou und studierte die Beton- und Metallkonstruktion. „Kein zweiter Eingang und keine Fenster. Ich glaube, der Einbrecher hat den einzig möglichen Weg gewählt, um hineinzukommen. Vermutlich würde es reichen, einen Bewegungsmelder beim Eingang zu montieren, um in Zukunft ungebetene Gäste fernzuhalten.

„Stimmt, aber wir wissen immer noch nicht, ob das wirklich ein Einbruch war und was die Eindringlinge suchten. Vielleicht wurden sie unterbrochen bevor sie das Gebäude überhaupt betreten haben." Ich fragte mich, ob Chiara recht hatte und der Geist die Einbrecher verjagte.

Das entfernte Husten eines Motors kündigte den altersschwachen Wagen der Archäologin an. „Das muss Vic sein. Der Ton ist echt einmalig. Vielleicht weiß sie, ob die Polizei inzwischen etwas herausgefunden hat."

Als wir zur Vorderseite zurückkehrten, fummelte die Archäologin im Licht der Taschenlampe ihres Telefons am Vorhängeschloss, das provisorisch zum Verschließen des Eingangs angebracht worden war . Lou hatte recht, ein fix montiertes Licht mit einem Bewegungsmelder würde hier einige Probleme lösen. Vic blickte auf, als sie unsere Schritte hörte. Ihre Augen waren geweitet und ihr Gesicht wirkte bleich in dem bläulichen Licht des Smartphones. „San, jetzt hast Du mich wirklich erschreckt."

„Entschuldige. Das war nicht unsere Absicht. Wir sind nur kurz rings um die Halle gegangen. Darf ich meinen Partner Lou vorstellen?"

Sie reichte Lou die Hand, aber ihr Gesicht war immer noch blasser als gewöhnlich. Ich nahm an, dass dies nicht Lous Schuld war, sondern entweder vom Schreck stammte, den wir ihr eingejagt hatten, oder der Aussicht, gleich einem Geist zu begegnen. „Hey, nett einen weiteren Geisterjäger kennenzulernen."

„Oh nein, ich nicht." Mein Freund — unsere Beziehung war so neu, dass ich immer noch zögerte,  diesen Ausdruck zu benutzen —lächelte und fuhr sich mit der Hand durch seine roten Locken. „Aber Du kannst mich gerne als einen zufriedenen Kunden der Geistergarde betrachten. Ihr erster, um genau zu sein. Ich überlasse die paranormalen Geschäfte gerne San und Matt, besonders wenn es um eine  Geisterjagd geht."

Das Bedürfnis, mich einzumischen und die Dinge richtigzustellen, übermannte mich. „Hey, wir vermeiden den Ausdruck Jagd. Wir versuchen nur, herauszufinden, was die Geister motiviert und wie wir ihnen helfen können. Unser Prinzip ist, die Probleme der Toten zu lösen, weil damit in den meisten Fällen auch die Probleme der Lebenden verschwinden."

Lou lachte und Vics Schultern lockerten sich sichtlich. Das war der Moment, mich nach dem Fortschritt der Untersuchung zu erkundigen. „Hast Du schon Neuigkeiten von unseren Freunden in Uniform?"

Der Fluch des Raben | Wattys 2023 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt