20 - Lingua Franca

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Matt rief Vic an, um sich zu versichern, dass sie Zeit und Lust hatte, das Experiment weiterzuführen. Ihre Chefin hatte ihre Anfrage bereits beantwortet und erlaubte ihr, die Objekte aus der Urne zu studieren, inklusive der Lampe. Ich war froh, dass sie voller Enthusiasmus einwilligte, uns in einer Stunde im Depot zu treffen. Ritter Guillaume schien plötzlich kaum warten zu können, mit der Vorstellung zu beginnen, nun, da wir sein Geheimnis kannten.

Im Stall, der als Garage diente, bestaunte der Ritter mein Motorrad und wollte wissen, ob es denn so schnell sei, wie ein Pferd. Ich beantwortete seine Fragen mit aller Geduld, die ich aufbringen konnte. Trotzdem war ich froh, dass Guillaume den 2CV wählte und behauptete, das Zitronengelb der Ente heitere ihn auf. Lou war natürlich glücklich über die Wertschätzung seines Kleinods und überließ es mir, den mittelalterlichen Passagier ins Auto zu befördern, während er sich ans Steuer setzte. Matt, der sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen konnte, fuhr in seinem Bus voraus.

Ritter Guillaume zappelte wie ein kleines Kind auf dem Rücksitz herum, obwohl der Platz für seine ektoplasmische Masse eindeutig zu eng bemessen war. Er beachtete das aber nicht und rutschte einfach etwas tiefer in die Polsterung des Sitzes hinein, den Nachtopf in Reichweite auf der Bank neben sich.

Lou studierte die Szene im Rückspiegel und runzelte die Stirn. „Passen sie bitte auf, dass sie nicht aus dem Auto fallen, sobald ich Gas gebe."

Guillaume legte eine Hand auf den Rand des Topfs. „Wenn ich mich hier dran festhalte, sollte nichts passieren."

„Wenn sie meinen. Sind wir bereit?" Ich nickte und Ritter Guillaume stieß ein Geräusch aus, das mich an ein quietschendes Ferkel erinnerte. Lou schien es als Zustimmung zu interpretieren, drehte den Zündschlüssel und legte einen Gang ein. Der Motor hustete zweimal und wir verließen den Schlosshof im Schneckentempo.

Ritter Guillaume schnappte nach Lift. „Wie schnell kann diese Kutsche fahren?"

Lou schenkte mir ein schiefes Lächeln und drückte aufs Gas. Völlig überrumpelt klammerte sich Ritter Guillaume an seinen Nachttopf. Nun waren nur noch seine Hände und Unterarme im Auto sichtbar, der Rest seines Körpers wehte hinter dem Wagen her wie ein flatterndes Band.

Ich lehnte mich zurück, um das Spektakel zu beobachten. „Lou, fahr langsamer, sonst zerreißen wir den armen Kerl noch."

Mein Freund bremste, um dem Geist die Möglichkeit zu bieten, wieder ins Auto zu steigen. „Wow, das war vielleicht toll. Ich habe diese Kutschen schon oft im Fernsehen gesehen, aber ihr hättet mir sagen sollen, dass sie schneller sind als ein Blitz."

„Das sind sie nicht. Aber vermutlich muss man sich zuerst einmal an die Geschwindigkeit gewöhnen." Ich rieb mir die Schläfen und versuchte, mir eine Erklärung für die paranormale Physik zurechtzulegen, die wir gerade beobachtet hatten. „Anstatt vom Sitz gestützt zu werden, rutscht ihr Körper bei der Beschleunigung wohl einfach durch das Auto hindurch. Vielleicht sollten sie sich auf den Topf konzentrieren und versuchen, ihre Position in Beziehung dazu aufrechtzuerhalten."

Der Trick half, und kurz darauf drückte Ritter Guillaume sein Gesicht durch das geschlossene Seitenfenster, um die vorbeiziehende Landschaft zu bestaunen. Mit einer Hand hielt er zunächst den Rand des Topfs fest umklammert, bis er herausfand, dass auch ein einfacher Kontakt mit seinem Anker genügte. Ich hoffte bloß, dass wir nicht auf dem Bild einer Radarkontrolle festgehalten wurden. Es würde bestimmt kompliziert werden, der Polizei zu erklären, warum ein Ritter in voller Rüstung aufrecht auf unserem Rücksitz stand, den Oberkörper durch das Autodach und beide Arme ausgestreckt wie eine mittelalterliche Version von Kate Winslet auf dem Bug der Titanic.

Matts Bus und Vics Schrottlaube standen bereits nebeneinander auf dem Parkplatz vor dem Depot als wir unser Ziel erreichten. Es war auch an der Zeit, denn Ritter Guillaume war dazu übergegangen, mich mit Fragen über alles und jedes zu bombardieren, was wir unterwegs zu sehen bekamen. Offensichtlich hatte sich das Land massiv verändert seit dem dreizehnten Jahrhundert. Ich war ausgelaugt und meine Stimme heiser als ich Matt und Vic begrüßte und für den Ritter die Autotür öffnete.

Der Fluch des Raben | Wattys 2023 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt