17 - Der Geist

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In dem Moment, als das Licht im Depot erlosch, griff Lou nach meiner Hand, als ob er mir Unterstützung anbieten wollte. Ich unterdrückte ein Kichern und drückte seine klammen Finger. Wenn jemand hier Unterstützung brauchte, war das sicher nicht ich.

Die Präsenz des Geistes schwang durch jede Faser meiner Körpers. Ich sah mich nach meinen Begleitern um, deren Gesichter nun nur noch vom schwachen blauen Schein von Matts Bildschirm beleuchtet wurden. Mein Partner hatte längst gelernt, seine Elektronik von dem zerstörerischen Effekt einer Manifestation abzuschirmen.

Vic und Lou sahen erschüttert aus, aber Matt hatte keine Zeit, schockiert zu sein. Er vergrößerte den roten Fleck, der nun auf dem Bildschirm aufglühte, ein Musterbeispiel konzentrierter Effizient, bis ein Grinsen auf seinem Gesicht erschien. „Nur ein einzelner Geist, aber mit einem erstaunlich mächtigen Signal. Die weiße Dame hat eine beachtliche Aura."

Soviel hatte ich auch schon festgestellt, aber mein Bauchgefühl bestätigt zu wissen half mir, mich zu fokussieren. „Sie kommt jetzt näher. Lou und Vic, bitte geht rüber in die Küchenecke. Ich wette der Geist wird durch die Lampe angezogen, und glaubt mir, ihr wollt nicht zwischen ihr und dem Objekt ihrer Begierde stehen." Das wollte ich auch nicht, aber dies war nicht der Moment, mit meinen Freunden die feineren Aspekte von Kontakten mit Geistern zu diskutieren.

Zumindest konnte ich mich bei Matt darauf verlassen, dass er genug Erfahrung besaß, einen direkten Kontakt mit einem Geist zu vermeiden. Er hob seinen Laptop auf ohne den Schirm zuzuklappen, um ein Minimum an Beleuchtung sicherzustellen, und begleitete die beiden anderen in die Küchenecke. Ich folgte ihnen, wobei ich rückwärts ging, um den Raum hinter uns nicht aus den Augen zu lassen.

Eine plötzlicher Temperatursturz ließ mich frösteln und sagte mir, dass der Geist nun in der Nähe war. Ich kreuzte die Arme, um meinen Körper warmzuhalten, und wich zurück. Mit lautem Getöse stürzte ein Küchenstuhl um, als ich dagegenstieß. Vics panischer Aufschrei ging in dem Lärm unter.

„Sch..." Ich bückte mich, um den Stuhl aufzuheben. Wenn ich Pech hatte, vertrieb der Radau den  Geist. Ich presste die Zähne zusammen und konzentrierte mich auf meinen sechsten Sinn während sich mein Handgelenk wie der Tummelplatz einer Legion von Ameisen anfühlte. Der Geist war immer noch in der Nähe aktiv, aber ich konnte die Dame nicht genau lokalisieren.

„San." Lou hatte die Stimme zu einem Raunen gesenkt und der Finger, mit dem er auf den Schreibtisch mit der Lampe zeigte, zitterte. Dann sah ich es auch.

Direkt vor dem Tisch sammelte sich ein dünner Rauchfaden, wirbelte um sich selbst und drehte sich in einer wachsenden Spirale nach oben. Ich hielt den Atem an während er sich ausdehnte, um sich griff und immer neue seidige Stränge der durchscheinenden Materie sich umeinander wickelten und zusammenzogen — bis sie die grobe Form einer Person annahmen, die vor dem Tisch schwebte.

Im blauen Licht von Matts Bildschirm konnte ich durch die Gestalt hindurch immer noch die kleine Lampe erkennen, die auf Vics Arbeitstisch stand. Aber der Geist wurde von Minute zu Minute solider und körperhafter. Die flexiblen ektoplasmischen Fäden verwoben sich nun zur Illusion eines langen, fließenden Gewandes. Das weite Kleidungsstück fegte über den Boden und die Person zog sich einen durchscheinenden Schal um die Schultern.

Ohne einen einzigen Blick in unsere Richtung griff die Frau nach der Lampe und bedeckte gleichzeitig mit dem Schal ihr dunkles, in Flechten gelegtes Haar. In dem Moment, als sie die Lampe berührte, wurde die Gestalt solide, und einige gekringelte Locken stahlen sich unter den Schal hervor. Sie glänzten schwarz im Licht von Matts Bildschirm während sich das weiße Kleid in einem Spiel von Licht und Schatten bewegte.

Unsere Besucherin war wunderschön und trotzdem beängstigend. Und sehr jung, vielleicht nicht einmal in ihren Zwanzigern. Ich holte tief Luft. Mir war klar, dass es an mir lag, etwas zu tun. Wenn wir etwas über die Motivation des Geists erfahren wollten, musst ich einen Kontakt aufbauen—jetzt. Ich räusperte mich.

Der Fluch des Raben | Wattys 2023 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt