7 - Geist der Vergangenheit

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Ich blickte einen Moment lang meinem davonfahrenden Partner nach, bevor ich mich umdrehte und zum Eingang des Schlosses hinüberging. Der schwarze Rabe auf dem Wappenschild über dem Torbogen begrüßte mich wie ein alter Freund. Mir stand immer noch der Tag vor ein paar Monaten in Erinnerung, als ich zum ersten Mal durch dieses altehrwürdige Tor ging. Damals wirkte es auf mich, als würde sich der stilisierte Vogel über mich lustig machen. Nun las ich das Funkeln in seinen schwarzen Augen eher als Humor denn Missgunst.

Marie und Frédéric, das französische Paar, das ich beim Frühstück kennengelernt hatte, saßen trotz des kühlen Nachmittags in Korbstühlen im Hof und studierten ihren Reiseführer. Ich winkte und sie grüßten zurück. Unter seinem momentanen Besitzer Louis Connelly diente das Schloss von Corbières als Backpacker-Herberge und war dank seiner wachsenden Reputation als Geisterschloss rege besucht.

Ich holte mir in der Küche etwas zu essen und zog mich in die Bibliothek zurück. Das Eckzimmer im ersten Stock beherbergte eine umfangreiche Sammlung von Büchern. Von zerlesenen Taschenbüchern bist zu mächtigen Wälzern mit Ledereinband deckten sie alle Wände und jedes erdenkliche Thema von lokaler Pflanzenkunde bis Science Fiction ab. Mehrere Voreigner des Schlosses hatten zu der Sammlung beigetragen, und ich rechnete es Louis hoch an, dass er sie unterhielt und dem Publikum zugänglich machte. Trotzdem verbrachten nur die wenigsten Gäste Zeit in dem Raum. Sie kamen für die Natur, für sportliche Aktivitäten oder, in den letzten Monaten, in der Hoffnung, einen Blick auf ein Gespenst zu erhaschen.

Deshalb hatten Matt und ich die Bibliothek als informelles Hauptquartier der Geistergarde GmbH in Beschlag genommen. Wir hatten die Firma gegründet, nachdem wir das Schloss erfolgreich von einer Horde ektoplasmischer Raben befreit hatten, welche die Gäste belästigten. Unser damaliger dritter Partner, Theo, war selbst ein Geist und Teil des Problems gewesen. Ihn mit seiner verlorenen Frau und dem Neugeborenen Sohn zu vereinigen, hatte eine Weile gedauert, aber als es gelang, verschwanden auch die aufsässigen Geistervögel im steigenden Wasser des Sees. Dieser Erfolg und Louis' Dankbarkeit und Unterstützung hatte uns den Mut und die finanziellen Mittel gegeben, unser eigenes Geschäft zu gründen.

Seit damals hatten wir einige kleine Fälle von paranormaler Aktivität in der Region gelöst. Ich kicherte leise, als ich an den schwarzen Gespensterhund dachte, der nachts in einem leeren Parkplatz heulte. Das Tier erwies sich als quietschfidel, allerdings geplagt von Flöhen und in Bedarf eines geordneten Heims. Der schwierigste Teil unserer Aufgabe war es gewesen, einen neuen Besitzer für den Hund zu finden. Matt überzeugte schließlich die Nachbarin, die uns engagiert hatte, sich um den Labrador zu kümmern. Als wir uns verabschiedeten, wirkten sowohl die neue Herrin wie auch der Hund zufrieden mit dem Arrangement. Eine Woche später erhielten wir sogar eine Dankesnachricht mit einem Selfie der Frau mit ihrem nun deutlich ordentlicher aussehenden Haustier.

Ich setzte mich auf das knarrende Ledersofa, um unsere Geschäftsmails zu lesen. Kaum hatte ich mich eingerichtet, hüpfte auch schon Mister Mortimer in meinen Schoß, um sich die Ohren kraulen zu lassen. Ich verdächtigte den schwarzen Kater, der eigentliche Herr des Schlosses zu sein. Aber er hatte für meine Vorwürfe nur einen unergründlichen Katzenblick übrig. In unserem Posteingang fand ich nur Werbung und ein Angebot, für unser Firma Ouija-Séancen durchzuführen. Ich schrieb eine freundliche, aber anlehnende Antwort. Mir war schon lange klar, dass die meisten sogenannten Medien Fälschungen waren. Wer tatsächlich mit Geistern kommunizierte, hütete sich davor, Kollegen Dienste anzubieten, die im gleichen Feld arbeiteten. Das brachte mich darauf, eine Internetseite nach anderen Firmen zu durchsuchen, die sich auf Geister spezialisierten.

Der Nachmittag verging darüber wie im Flug, und als das Tageslicht von der Dämmerung verschlungen wurde, gesellte sich der Schlossbesitzer und Herbergsleiter zu mir. Lou trug Jeans und trotz der kühlen Temperaturen eines der Batik-T-shirts, die zu seinem unvermeidlichen Hippie-Look gehörten. Er küsste mich auf die Wange und grinste, als sein Blick auf die Wanderschuhe fiel, die ich immer noch trug. „Sieht nicht so aus, als hättest du die Füße voller Blasen. Wann bist du zurückgekommen?"

Der Fluch des Raben | Wattys 2023 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt