Kapitel 1

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Das Haus war halb eingefallen und roch nach verfaultem Holz. Fenster gab es nicht mehr und selbst die Tür konnte ich nicht richtig schließen. Der Boden knarzte mit jedem Schritt so laut, dass ich immer einen Schrecken bekam.

Jedes beschissene Mal. Und doch war es der beste Unterschlupf, den ich seit Monaten hatte.

Traurige Welt.

Meine Muskeln brannten von der Flucht am Vortag. Seit einigen Tagen wurde ich verfolgt. Auch wenn ich nicht wusste von wem, war ich lieber vorsichtig.

Man wusste nie, was einen heutzutage anfiel.

Der nasse Stoff der Couch war kalt und brachte mich zum Erzittern. Meine gute Regenjacke lag noch am Fluss – ich musste sie bei dem plötzlichen Aufbruch zurücklassen. Nicht, dass sie mir gepasst hatte. Trotzdem vermisse ich sie wie nichts anderes. Ich sollte sie bei Gelegenheit wieder holen.

Mein Magen knurrte und ich legte meine Hand an die krampfende Stelle. In meinem Rucksack lag noch ein Energieriegel, den ich in einem alten Küchenschrank gefunden hatte. Doch ich wusste es besser, als ihn jetzt schon zu essen.

Die Stimme meines Vaters dröhnte in meinen Ohren. Rationieren, Melanie. Wir müssen auf unsere Vorräte achten.

Die kleine Hütte mitten im Wald – im Nirgendwo – musste einem alten Jäger gehört haben. Ich nahm an, dass ihn niemand vermisste. Sonst hätte einer seine Leiche aus dem Schlafzimmer geholt. Sie lag immer noch dort.

Wenn es eine Schaufel gegeben hätte, würde ich ihn begraben. Doch die gab es nicht und so dankte ich ihm im Stillen für die Munition, samt Gewehr in seinem Schrank und breitete eine Decke über ihn aus.

Mit dem Revolver in meiner Hand streckte ich mich auf dem Sofa aus und entspannte für einen Augenblick. Die Müdigkeit, die ich seit Tagen von mir geschoben hatte, übermannte mich und doch ließ sie mich nicht schlafen.

Die Blätter der Bäume raschelten angenehm in meinen Ohren, vereinzelt knackte mal ein Ast und die Vögel zwitscherten fröhliche Lieder. Scheinbar alles in Ordnung.

Ein leises Lachen entkam mir bei meinen Gedanken.

Wann war es schon so? In Ordnung? Das war es schon seit sieben Jahren nicht mehr.

Angespannt durch meine plötzlichen Gedanken atmete ich schwer aus und setzte mich wieder auf. Das Holster, wo die zweite Pistole drin steckte, drückte unangenehm in meine Seite. Ich bekam das Bedürfnis, sie einfach mal abzulegen, verwarf diese Idee allerdings gleich wieder.

Die Vögel hörten auf zu singen.

Von einer Sekunde auf die andere waren meine Muskeln zum Zerreißen gespannt und ich hielt den Revolver geladen auf Augenhöhe. Lauschend setzte ich einen Schritt in den Raum, knirschte die Zähne zusammen und verfluchte den Fußboden für die lauten Töne, die er von sich gab.

»Du solltest nicht so laut sein.« Eine belustigte Stimme ertönte über mir. Ich reagierte sofort, setzte einen Schritt zur Seite, zielte nach oben in die Öffnung des Dachs und nahm den Mann ins Visier. Lange blonde Haare fielen ihm ins Gesicht und verdeckten das breite Lächeln.

Er saß unbeirrt auf einem Querbalken, nichtsahnend, dass ich die nächste Sekunde abdrückte. Es knallte laut, dröhnte in meinen Ohren, zusätzlich zu seinem kurzen Aufschrei. Er müsste sich in letzter Sekunde noch bewegt haben.

Verdammt.

»Alber nicht rum, Mason.« Kaum hörte ich diesen Satz, erklang ein Rauschen der Luft und ich wurde zu Boden gerissen.

Der Revolver flog mir aus der Hand. Ächzend krabbelte ich in seine Richtung, doch der zweite Mann war schneller und trat ihn mir direkt vor meiner Nase weg. Instinktiv schaute ich mich schnell um.

Long WayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt