Kapitel 4

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Ich brauchte keine Sekunde, um meinen ganzen Körper auf Flucht umzustellen. Denn ihn erkannte ich sofort, auch wenn ich ihn zum ersten Mal in menschlicher Form sah. Der Sibling. Die Narbe über seinem Auge würde ich unter tausenden wiedererkennen.

»Na, na, na, du willst doch nicht wieder wegrennen.« Kaum hatte ich die Türklinke in meiner Hand, war er hinter mir und umschlang meine Taille mit einem Arm. Ein ungewollter Schrei entwich meiner Kehle, sobald ich den unglaublichen Schmerz wahrnahm, den seine Kraft auslöste. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Was sollte ich tun?

»Ich hoffe, du hast es dir nicht allzu gemütlich hier gemacht.«

„Fahr zur Hölle", fluchte ich, dann holte ich aus und schlug meinen Kopf mit voller Wucht nach hinten. Ich traf ihn, er stöhnte und reagierte sofort. Seine schnellen Reflexe machten es ihm möglich, mich zu greifen und mit dem Gesicht voran auf den Boden zu drücken. Die Luft wurde mir aus den Lungen gedrückt, sein Knie drückte in meinen Rücken und brachte mich zum Keuchen.

„Bleib ganz ruhig, Melanie. Ich bin auf deiner Seite."

„Arsch...loch!", zischte ich durch meine Zähne. Schwarze Punkte tanzen erneut in meinem Blickfeld.

»Ethan.« Ein weiterer Mann kam durch das Fenster gesprungen und sah seinen Verbündeten mahnend entgegen. »Vergiss nicht, wer sie ist und wer bei ihr ist.«

Bei mir ...? Bei mir!

»DEAN! AiD-« Mein Schrei wurde durch eine riesige Hand verschluckt. Reflexartig biss ich einfach zu. »Hilfe!«

»Verdammt, danke, dass du sie daran erinnert hast!«, knurrte er hinter mir. Im selben Moment zog er mich vom Boden und lief los – mit mir über seiner Schulter.
Strampelnd versuchte ich es ihm so schwer wie möglich zu machen, doch sein Griff war unnachgiebig. Seine Schulter drückte gegen meinen Brustkorb. Ich bekam keine Luft.

Die schwarzen Punkte in meinem Blickfeld verdichteten sich zu einer einzigen Masse. Meine Schläge auf Ethans Rücken wurden schwächer. Ich merkte, wie mein Körper mich das zweite Mal heute verlassen wollte.
Ebenfalls zum zweiten Mal war es Dean, der mich auffing, bevor ich fallen konnte. Ich sah ihn nicht kommen, doch sobald er mich packte bekam ich wieder Luft. Die Wucht seiner Geschwindigkeit schleuderte Ethan mehrere Meter weit in den Gartenzaun, hinter dem gestern noch die Familie saß.

„Ich weiß, es tut weh. Aber atme, Melanie", befahl er, während seine Aufmerksamkeit auf dem Geschehen lag. Er hielt mich vor seiner Brust in seinen Armen, mein Kopf fiel gegen seine Schulter und ich hielt mir meine Seite. Er hatte Recht – es tat weh.

Meine Augen fielen zu, auch wenn mich die ganze Situation auf Alarmbereitschaft setzen sollte. Es war, als wäre ich in Watte. Und als ich die Augen wieder öffnete, war Dean dabei mich im Auto anzuschnallen. Es ging alles so schnell. Bevor ich realisierte, dass ich wahrscheinlich kurz bewusstlos war, startete er bereits den Wagen.

„Wie lange war ich weggetreten?", fragte ich, während ich versuchte mich aufzusetzen. Dean fädelte sich in den Verkehr ein. Als ich in den Seitenspiegel schauen konnte, waren wir bereits einige hundert Meter vom Haus entfernt.

„Gar nicht", murmelte Dean, dabei überprüfte er jeden Spiegel mehrmals.

„Oh." Natürlich. Die Schnelligkeit.

Die Knöchel seiner Hände standen weiß hervor, während er das Lenkrad umgriff. Von der sonstigen Ruhe war nicht mehr viel zu sehen und ich konnte es ihm nicht verübeln. Dennoch wollte seine angespannte Form nicht zu seinem Fahrstil passen.

„Willst du nicht schneller fahren?", murmelte ich unbehaglich. Auch wenn weder er noch ich einen Sibling ausmachen konnten, hieß es noch lange nicht, dass wir aus dem Schneider waren.

Long WayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt