Er würde das nicht schaffen. Auch wenn die anderen Clanmitglieder ihm - mehr oder weniger - glaubten, dass er ein Werwolf war... Normalerweise schafften es die wenigsten friedlich zu bleiben, wenn etwas sie aufregte und sie in Gestalt ihres Wolfs waren. Ich konnte das einigermaßen. Na ja, zumindest schaffte ich es, niemandem die Kehle rauszureißen, wenn ich in der Stadt war. Das hatte mich jahrelange Übung gekostet, eigentlich konnte niemand das einfach mal so, mir nichts, dir nicht erlernen!
Und Adam war nicht einmal ein richtiger Wolf. Er tat doch nur so, als ob!
Ich raufte mir die Haare. Er würde es nie schaffen! Nie! Es sei denn... Nein. Ich klammerte mich hoffnungsvoll an einen klitzekleinen Gedanken, eine winzige Chance, die er hatte.
Wenn er ein Doppling war, jemand, der Werwolf und Vampir zugleich war, dann hatte er eine Chance, die Prüfung durchzustehen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass er einer war... ein Doppling... das war fast so unmöglich, wie nette Vampire. Aber immerhin gab es so etwas. Wieso auch nicht? Mama hatte immer gesagt: ,,Nichts ist unmöglich, mein Schatz. Man muss es nur ausprobieren!" Vielleicht hatte sie Recht gehabt.
Ich merkte, dass die anderen aufstanden. Ich sollte mit ihnen gehen. Adam auf den ersten Teil der Prüfung vorbereiten. Doch ich konnte nicht. Zu viele Ängste wirbelten in meinem Kopf umher. Wenn die anderen herausfanden, dass ich gelogen hatte, was Adam betraf, würden sie mich dann aus dem Clan werfen? Und mein Papa... Er würde sehr enttäuscht von mir sein! Ich konnte förmlich hören, was er dann sagen würde: ,,Ich... Ich dachte, du wärest für das Wohl unseres Clans, Toa. Eigentlich bist du nicht mehr würdig, eine von uns zu sein. Du bist nicht gut genug, um meine Tochter zu sein! Geh jetzt. Es ist besser für uns alle."
Ich wimmerte wie eine getroffene Hauskatze. Dabei ging es mir doch gut! Noch, dachte ich. Ja, noch ging es mir gut, warum also machte ich mir Gedanken?Jemand berührte mich an der Schulter. Ich war so erschrocken, dass ich aufsprang und denjenigen anknurrte. Wer wagte es...? Aber es war nur Adam, der - ebenfalls geschockt - zurückwich. ,,Tut mir leid", entschuldigte er sich. Ich seufzte. ,,Nein, mir sollte es leidtun", sagte ich. ,,Ich war in Gedanken." Ich atmete tief durch. Ich musste Ruhe bewahren, ich wollte doch nicht als riesiges Nervenbündel entlarvt werden! ,,Hey", versuchte er mich aufzumuntern. ,,Ich sollte derjenige sein, der sich Sorgen macht!" Ich verdrehte die Augen und verschränkte gespielt beleidigt die Arme vor der Brust. ,,Na schönen Dank auch! Lass uns trainieren. Wenn du diese Prüfung bestehen willst, dann brauchst du Übung. Ziemlich viel Übung!" Ich lachte, er mit. Es fühlte sich gut an. Ich schaffte es, mir ein kleines Lächeln auf die Lippen zu zu zwingen. Denn auch, wenn Adam mich aufheiterte, war ich immer noch besorgt.
,,Lass uns in den Wald gehen", beschloss ich. Adam nickte. Er ging neben mir her und sagte den ganzen Weg über kein Wort.
Doch als wir die ersten Bäume passiert hatten, drehte er sich zu mir und fragte: ,,Glaubst du, ich habe eine Chance?" Ich zuckte zusammen. Hatte ich falschgelegen, bei dem Gedanken, dass es ihn nicht besonders kümmerte? Dem Anschein nach schon. ,,Ich weiß es nicht", sprach ich den Gedanken aus, der mich die ganze Zeit beschäftigte. Adam nickte, er hatte die Antwort anscheinend bereits erwartet.Wir liefen weiter und ich drosselte die Geschwindigkeit, als wir an einer Lichtung ankamen. ,,Hier ist es gut." Ich ließ mich ins Gras fallen. Es war nicht mehr so feucht, wie heute morgen. Jetzt musste es Mittag sein, die Sonne stand hoch am Himmel und warf ihre warmen Sonnenstrahlen auf die Erde. Die Vögel zwitscherten und ich schloss die Augen. Ich merkte, wie Adam mich anstarrte, ich sah seine Verwirrung nicht, doch ich wusste, dass er das nicht erwartet hatte, denn er setzte sich nicht neben mich ins Gras, sondern blieb stehen.
Nach ein paar Sekunden der Stille fragte er mich: ,,Was wird das? Ich dachte, wir üben noch einmal alle Kampfpositionen und so." Ich wusste was er meinte. ,,Ach ja? Tust du das?", fragte er herausfordernd. Dann setzte er sich doch neben mich. ,,Keine Gedankenleserei!", wies ich ihn zurecht. ,,Ich habe dir schon einmal gesagt, dass es hier überall lauschende Ohren gibt, die nur darauf warten, dass du einen Fehler machst. Und dann werfen sie dich aus dem Clan." Ich merkte, dass ich mich traurig anhörte. Ich würde ihn vermissen.
Dazu gab Adam keinen Kommentar ab und wir saßen eine Weile stumm nebeneinander.Als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich, dass Adam einfach nur vor sich hin starrte. Ich lachte. ,,Du machst das ganz falsch! Wenn du dich vor allen anderen in einen Werwolf verwandeln willst, dann musst du tief durchatmen! Spüre das Wilde in dir! Du wirst die anderen nicht beeindrucken, wenn du sie zu Boden starrst!" Ich wartete darauf, dass Adam die Augen schloss oder wenigstens versuchte, meinen Vorschlag - oder wohl eher Befehl - zu befolgen. Doch das tat er nicht, stattdessen legte er sich ins Gras und starrte weiterhin Löcher in die Luft. Das durfte doch echt nicht wahr sein!
,,Hey!", rief ich. Er reagierte nicht. Ich schüttelte ihn an der Schulter. Nicht zu fest. Doch er rührte sich wieder nicht. Vielleicht musste er auch mal nachdenken. Ich sollte ihn lieber in Ruhe lassen. Ich erhob mich und klopfte die Erde von meiner Hose. Dann warf ich noch einen letzten Blick auf Adam und rief ihm über die Schulter hinweg zu: ,,Wenn die Sonne untergeht kommst du bitte wieder zurück! Ich will keinen Ärger wegen dir!"
Die Sonne strahlte nicht mehr so hell, wie bei unserem Aufbruch. Hoffentlich fand Adam den Weg zurück in den Clan. Wenn nicht, musste ich mich auf den Weg machen und ihn finden. Das würde Papa nicht besonders freuen. Aber was soll's. Ich musste ja nicht immer den Regeln des Clans folgen und konnte selbst entscheiden, was gut für mich war und was nicht. Schließlich war ich keine Gefangene, der man einfach sagen konnte, was zu tun war! Und befolgen würde ich Befehle auch ganz sicher nicht. Da konnte man sich noch so sehr Mühe geben.
Ich ließ den Wald hinter mir und steuerte auf die Hütten nahe dem Flachen Stein zu. Erst jetzt merkte ich, dass ich mal wieder etwas im Magen vertragen konnte.

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Wenn der Mond scheint
WerwolfEin Werwolf. Ein Vampir. Eine Jagd. Die Jagd. Als Werwölfin Nova bei Vollmond im Wald einem Vampir begegnet, der sie nicht in tausend Stücke zerfetzen will, ist sie zuerst misstrauisch. Doch als er sie vor den anderen aus seiner Gruppe rettet, nimm...