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Ich bog zwei Farne zur Seite und erblickte in die Senke geduckte Hütten, dessen Dächer mit Lehm und Stroh gebaut worden waren. Ich kannte meinen Clan nicht anders, in den zwei Tagen, in denen ich weg gewesen war, hatte er sich nicht verändert. Die Lichtung bestand immer noch aus plattgetretener Erde und Gras, die Häuser, die in mehreren Halbkreisen darum standen, waren klein und hatten Fenster, die mit Leinentüchern verhängt worden waren. An der offenen Seite der Halbkreise befand sich ein riesiger Fels, dessen Oberfläche in der Sonne leicht glänzte. Er war oben flach und mit viel Mühe hatten unsere Vorfahren ein paar Treppenstufen dort eingearbeitet.

Neben mir keuchte der Vampir. ,,Keuche gefälligst leiser", wies ich ihn an. ,,Ab der Sekunde, in der du den Boden meines Clans betreten hast, hast du nach unseren Regeln zu leben, okay? Das heißt kein Gedankenlesen, keine Leute aussaugen und keine - schwarzen - Augen, klar?" Ich starrte in seine ausdruckslos wirkenden Augen, die gänzlich schwarz waren. Er zuckte mit den Schultern. ,,Klar." Dann kniff er kurz die Augen zusammen und öffnete sie nach einigen Sekunden wieder. Verblüfft beobachtete ich, wie ein harmloses Braun die Schwärze seiner Augen zu zerfressen schien. Es sah irgendwie schmerzhaft aus.

,,Wie heißt du eigentlich?", fragte ich ihn. Immerhin hatte er mir bei meiner Flucht geholfen, wobei er mir nicht besonders nett eingetrichtert hatte, dass ich keine Fragen stellen sollte. Ich verdankte ihm quasi mein Leben. Aber nur quasi.

Er zuckte wieder mit den Schultern. ,,Musst du nicht wissen." Ich verdrehte die Augen. Was für ein Idiot. Ein arroganter Idiot. ,,Hey!" Er wollte mir an die Schulter boxen, doch ich wich ihm aus.
,,Erstens wird der Clan wissen wollen, wer du bist, und dazu gehört auch ein Name. Zweitens hatte ich doch gesagt: Keine - Gedanken - lesen!"
Er schaute sich um. ,,Aber hier ist doch niemand." Ich packte ihn an der Schulter. ,,Wir sind gleich auf dem Gelände des Clans. Hier gibt es überall lauschende Seelen." Er schüttelte den Kopf und seufzte. Doch dann lenkte er ein: ,,Na gut." Ich nickte zufrieden und ließ ihn los. ,,Dann auf in die Höhle des Löwen. Das wird kein Honigschlecken." Er schaute mich einmal schräg an, dann folgte er mir, während ich mich an einem Baum vorbeischob und auf die Lichtung trat.

Als wir auf dem Platz standen, sahen uns alle an, die gerade draußen waren. Die Alte aus der Hütte gegenüber von unserer starrte an mir vorbei, zu dem Vampir, von dem ich immer noch keinen Namen bekommen hatte.
Dann hängte sie ein Wäschestück auf. Ich erkannte darin eine Hose, sie war nass, aber noch nicht gänzlich sauber; an der Seite klebte noch immer braune Erde, die jetzt nur noch schwerer auszuwaschen sein würde.

,,Ach übrigens, sag ihnen, ich heiße Adam", flüsterte der Vampir mir zu und ich nickte, zum Zeichen, dass ich verstanden hatte. Es würde nicht leicht werden, dem Clan einzureden, Adam wäre ungefährlich. Er tippte mich an. ,,Hey, mach dir keine Sorgen, das wird schon klappen." Ich nickte, war jedoch nicht so richtig überzeugt.

Ein großer Mann kam über die Lichtung auf uns zu, über seinen Schultern lag ein Fell, wahrscheinlich das eines Fuchses. Eine Kette aus Zähnen - Siegtrophäen - hing um seinen Hals und er stützte sich während des Gehens auf einen langen,  glatt geschnitzten Stock. Die Einkerbungen am oberen Ende taten seinen Rang kund und erzählten gleichzeitig von seinen vielen Siegen. Elf, um genau zu sein.
Ich kannte den Stock in- und auswendig. Ich hatte früher oft mit ihm gespielt, als Papa auf Reisen gewesen war. Da hatte er den Stock nicht gebraucht.

Ich rannte auf den Mann zu und warf mich in seine offenen Arme. Er wirbelte mich einmal herum, dann setzte er mich ab und wuschelte durch meine braunen, wilden Locken. ,,Meine Toa." So nannte er mich immer. Es war Samoanisch und bedeutete Kriegerin. Seit Mama weg war, nannte er mich so. Es gab keinen einzigen Tag der Ausnahme. Nie.

,,Wen hast du mir denn da mitgebracht?", fragte er dann und zog mich an der Hand zu Adam hin, der unschlüssig mit den Händen in den Hosentaschen dastand und in die Gegend schaute.
,,Das ist Adam, Papa. Er hat mich auf dem Weg hierher gefunden." Besonders schwer verletzt sah Adam nicht aus, deshalb versuchte ich es mit einer anderen Lüge.
,,Er hat mir geholfen den meaola zu entkommen." Das stimmte zwar, aber besonders viel hatte er nicht getan, er war nur schnell gerannt, das war alles. Adam starrte mich wütend an. Ach ja, Gedankenlesen war eine seltsame Sache.

Papa schaute mich entgeistert an. ,,Die meaola haben dich verfolgt? Die Kreaturen?", übersetzte er gleich noch für Adam mit ohne es zu wissen. Ich nickte beschämt. Sie hatten mich gefunden, während ich ein paar Blüten für die Alte von gegenüber gepflückt hatte. Sie war die Heilerin des Dorfes, auch sehr ranghoch, wie Papa, weshalb sie auch nahe des Flachen Steins wohnte, wie wir den riesigen Felsen nannten.
Die Halbkreise, die die Hütten des Clans bildeten, waren nämlich nicht einfach nur Halbkreise. Je näher man an dem Flachen Stein wohnte, desto höher war der Rang. Eigentlich war es ziemlich einfach.

Papa schnüffelte an Adam, der es mit einem Seufzen über sich ergehen ließ. Ich wusste, was er dachte: Warum hatte ich bloß die dumme Idee, in dieses Dorf zu gehen? Adam starrte mich wieder böse an. Was hatte der Typ? Vielleicht sollte er mal öfter lächeln, dann hätte er nicht so viele Falten auf der Stirn. Daraufhin guckte Adam noch wütender drein. Tja.

,,Du riechst nach meaola. Seltsam. Du bist doch ein Wolf, richtig?" Mein Körper versteifte sich vor Angst, aber Adam zuckte nicht einmal mit der Augenbraue. ,,Klar, sonst wäre ich doch nicht über die Grenze gekommen." Moment mal, welche Grenze? Adam lächelte. Meine Güte, er lächelte tatsächlich. Wie absurd. Der Typ mit den Falten auf der Stirn lächelte. Ich spürte förmlich, wie Adam meine Gedanken las, aber er ließ sich nichts anmerken. Schlau von ihm, andernfalls hätte Papa ihn sicher in die Quarantäne gesteckt. Das war die Hütte, die am weitesten entfernt vom Flachen Stein lag. Dort mussten Fremde hinein, wenn wir nicht wussten, ob sie Flöhe oder ansteckende Krankheiten besaßen. Die Quarantäne war quasi eine Zelle, doch das wollte ich Papa nicht verklickern, dann würde er mich sofort hineinstecken. Er war sehr stolz auf die Idee der Quarantäne unserer Vorfahren. Und das würde auch immer so bleiben.

Papa umrundete Adam und blieb wieder vor ihm stehen. Mittlerweile waren viele der Clanbewohner hinzugekommen, um Papas Urteil zu hören. Nun verkündete er es: ,,Ich habe nachgedacht und komme zu dem Schluss, dass es am besten ist, wenn wir Adam", er klopfte dem Genannten auf den Rücken. ,,Wenn wir ihm eine Chance geben." Ich jubelte, ich wusste nicht, warum ich es tat, vielleicht weil ich mich auf neuen Clanzuwachs freute. Doch dann redete Papa weiter: ,,Wenn er die Probe schafft." Meine Gesichtszüge fielen in sich zusammen. Das war schlecht. Sehr schlecht.

Wenn der Mond scheintWo Geschichten leben. Entdecke jetzt