7. Spitze

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Jetzt sitze ich allein in dem hässlichen Krankenhausflur. In meinem Kopf wechseln sich die Szenen ab, tragen mich zurück an Tage, die ich gerne vergessen würde.

Alex und ich sind ein halbes Jahr zusammen und weil mir meine Mutter ständig in den Ohren liegt, fahre ich heute mit ihm zu meinen Eltern. Alex sitzt nervös neben mir und knetet seine Hände. Ich kann ihm nicht dabei zusehen, aber ich muss auch Autofahren. Er hat sich heute sogar richtig in Schale geworfen, für seine Verhältnisse.

Keine Löcher in der Hose, keine lackierten Fingernägel, nur ein schlichter schwarzer Kapuzenpulli. Sein Iro ist einem verwuscheltem Look gewichen und der Kajal ist auch verschwunden. So bekomme ich ihn nur zu sehen, wenn ich ihn gleich nach Dienstschluss von der Arbeit abhole. Dann hat er sogar fast keine Piercings im Gesicht, weil das Hotel es nicht erlaubt.

„Püppi, hör auf, dich selbst fertigzumachen. Meine Eltern sind voll ok.", versuche ich ihn zu beruhigen.

Ich höre ihn schnauben. „Ja, das sagst du so leicht. Was ist, wenn sie mich nicht mögen?"

War klar, dass der Satz kommt. „Dann fahren wir wieder und ende.", meine ich lachend, aber der Witz kommt nicht gut.

„Daniel!" vorwurfsvoll hebt sich seine Stimme. „Ich mein es ernst."

„Ich auch! Wart ab, du und meine Mutter werdet euch blendend verstehen.", versuche ich positiv auf ihn einzuwirken und lege zur Beruhigung, meine Hand auf sein Knie.

Aber Alex ist mit seinen Gedanken schon wieder an einem anderen Thema dran. „Warum wohnst du eigentlich nicht bei deinen Eltern im Haus? Du hast doch gesagt, da ist noch eine Wohnung drin?"

„Wegen meinem Vater."

„Ist der homophob?", fragt er ängstlich. Bestimmt erinnert er sich gerade an seine Eltern.

„Nein überhaupt nicht, aber ich muss mein Glück nicht überstrapazieren. Vor dir war mein Lebenswandel nicht gerade harmlos und ich wollte einfach nicht, dass meine Eltern alles mitbekommen. Mein Vater ist, wie soll ich das sagen?", überlege ich laut. „Er ist manchmal ein bisschen altmodisch in seinen Ansichten, was Beziehungen angeht. Die Wohnung gibt mir ein paar Freiräume.", versuche ich zu erklären.

„Ah, verstehe!", meint er grinsend. „Ich hätte auch gerne die Möglichkeit.", seufzt Alex leise.

„Warum ziehst du dann nicht einfach zu mir?"

Die Worte sind schneller raus, als mein Kopf sie denken konnte, aber keine schlechte Idee! Ich versuche gelassen zu bleiben, aber beobachte Alex aus dem Augenwinkel, um seine Reaktion zu sehen.

„Dein Ernst jetzt? Das ist ein bisschen schnell, oder?", meint er grinsend und sieht wesentlich entspannter aus als noch vor wenigen Minuten.

„Ja, vielleicht, aber das Angebot steht und du kannst es dir ja überlegen.", sage ich flapsig und hoffe, es kommt locker rüber. Ich bin immer noch ein bisschen erschrocken über mich selbst. Sonst bin ich doch auch nicht so impulsiv.

„Danke Daniel, ich lasse es mir durch den Kopf gehen."

Die Ablenkung hat anscheinend funktioniert, Alex zappelt nicht mehr nervös, er sieht nachdenklich zum Fenster raus. Ist auch nicht besser, weil ich nicht weiß, ob ich mit meinem Angebot eine Grenze überschritten habe. Aber weil es so locker zur Sprache kam, mache ich mir keine großen Sorgen.

Der Nachmittag mit meinen Eltern verläuft ganz so, wie ich es mir gedacht habe. Alex und meine Mutter sind sofort ein Herz und eine Seele. Mein Vater und ich bin nur als Dekoration präsent. Die beiden schnattern aufgeregt und tauschen sogar Nummern aus.

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