13. Aufwachen

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Verwirrt öffne ich die Augen und sehe, meine Hand auf Rüdigers Panzer liegen. Wieso liege ich bäuchlings auf der Couch? Der arme Kerl versucht verzweifelt, meiner Pranke zu entkommen, aber sie ist zu schwer. Erschrocken ziehe ich die Hand zurück, lasse Rudi frei, der schnell in Richtung Garten verschwindet.

Innerlich stöhne ich auf, wieder ein Traum mit Erinnerungen stelle ich bekümmert fest. Kein Wunder waren sie doch der Grund, warum ich heute Nacht keine Ruhe finden konnte. Trauer schwappt über mich, zerrt innerlich und saugt jede Kraft aus mir.

Ich fühle mich wie ein Luftballon, der langsam die Luft verliert, bis er am Ende klein und runzlig am Boden liegt. Schlaff, unansehnlich, bereit für den Mülleimer.

„Hast du hier geschlafen?", unterbricht Jonas Stimme meine düsteren Gedanken.

Bewegungslos brumme ich nur ein „hmmm".

„Ich mach uns mal Kaffee.", meint er und geht in die Küche.

Langsam versuche ich, mich zu erheben und iiiiiihhhh, ich klebe schon wieder. Ohne langes Zögern verschwinde ich in die Dusche. Wasche alle Überreste der vergangenen Nacht von mir. Schrubbe wie wild, als ob es helfen könnte zu vergessen.

Das muss aufhören! Diese Träume, dieses Verlangen es muss weg! Es ist doch nur ein Schatten, der übrig geblieben ist, eine Verklärtheit. Es sind Erinnerungen an ein paar Tage, in denen alles gut war. Wie wenn alte Leute über „Früher" sprechen und dabei die Realität verlieren. Aber ich habe sie nicht vergessen und vermutlich werde ich das auch nie.

Mürrisch, wie soll es auch anders sein, steige ich aus der Dusche und rubble mich genauso grob ab, wie ich mich gewaschen habe. Während ich die Zähne putze, sehe ich in ein Gesicht, das mir leblos entgegenblickt.

In diesen Augen ist nichts zu finden außer leere. Keine Wärme oder Freude, kein Schmerz oder Trauer. Nur braune runde Scheiben die vermögen die Welt zu erkennen aber nicht sie zu sehen. Kaffee. Ja, den könnte ich jetzt gut vertragen und danach kann meinetwegen die Welt einstürzen.

Jonas sitzt bereits am Tisch und löffelt Müsli in den Mund. Auch er sieht unzufrieden aus. Nein, das ist nicht das richtige Wort, eher abgekämpft. Müde, so wie er es selbst beschrieben hat. Ob er auch keine Lust mehr auf die Scheiße hat, so wie ich? Erschrocken über meine eigenen Gedanken sehe ich ihn genauer an.

Ja, ich beschwere mich ständig innerlich, aber was ist, wenn jemand wie Jonas wirklich suizidal ist? Was weiß ich schon über ihn und seine Verfassung?

Angst steigt in mir auf und ich weiß nicht, wie ich es beenden soll. Ich könnte ihn nach seiner Vergangenheit fragen, aber selbst, wenn er mir antworten würde, ich bin kein Therapeut, der irgendetwas beheben könnte. Ich setzte mich zu ihm aber dieser blöde Gedanke und die Angst wollen nicht verschwinden.

„Sag mal, hast du eigentlich irgendwo noch Familie?", frage ich ihn aus dem Blauen heraus.

Jonas wirkt nicht überrascht und kaut gemütlich fertig. „Ja theoretisch schon, praktisch nein. Aber es hat nichts mit meinem schwul sein zu tun. Ich bin ein Hurensohn, das meine ich wörtlich und bei meinen Großeltern aufgewachsen.", antwortet er mir und stopft sich den nächsten Löffel in den Mund.

Oh, ja, was sagt man darauf? Jonas schluckt runter und spricht erstaunlicherweise weiter.

„Meine Großeltern sind schon einige Jahre Tod. Was aus meiner Mutter geworden ist, weiß ich nicht und meinen Erzeuger kann man sowieso nicht herausfinden, außer ich mache einen Massengentest.", kichert er. „Aber ich schätze, das ist es nicht, was du eigentlich wissen möchtest, stimmts?"

Ich kann ihm darauf keine Antwort geben, was will ich denn wissen? Das er stabil ist und sich nichts antut, aber das kann ich nicht fragen.

„So uninteressant ist das gar nicht.", antworte ich stattdessen.

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