22. Shooting

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Am Sonntag habe ich sturmfrei, weil Jonas Freunde besucht. Das Wetter passt perfekt für eine große Radtour. Meinen Rucksack stopfe ich mit Verpflegung voll und bin unterwegs. Es gibt hier viele wunderschöne Wege, am Wasser entlang, aber heute zieht es mich mehr in die Weinberge. Ich fahre die Strecke nicht zum ersten Mal, aber heute nehme ich ihre Schönheit als besonders wahr.

Schon die letzte Woche habe ich bemerkt, dass sich mein Blickwinkel auf vieles verändert. Zum Leidwesen meiner Kollegen entdecke ich Missstände, die mir vorher nicht aufgefallen sind. Jetzt versuche ich, diese zu beheben, was nicht unbedingt auf Zustimmung stößt.

Mir ist bewusst, dass Veränderungen mehr Arbeit bedeuten, aber nur für eine kurze Dauer. Deshalb verändert man etwas. Aber das muss in diese Sturschädel erst rein. Zum Glück bin ich nicht zimperlich und wenn ich ganz ehrlich bin, macht es mir sogar richtig Spaß. Mein Job hat auf diese Weise wieder etwas mehr Würze bekommen und stachelt meinen Ehrgeiz an.

Nach gut zwei Stunden finde ich ein einladendes Plätzchen mitten in einem Weinberg. Genieße die warme Sonne, das weiche Gras, auf dem ich sitze. Jonas kommt mir dabei in den Sinn, unser Ausflug mit Rüdiger. Ich sehe ihn, wie er zärtlich mit der Hand über die Grashalme streicht. Es ist ein schönes Bild und sagt so viel über ihn aus.

Seine Achtsamkeit, seine Verehrung für die kleinsten Dinge. Seine Hingabe, die ich in vielen Bereichen sehen kann. In ihm wohnt eine Ruhe, um die ich ihn beneide. Er strahlt eine Herzlichkeit und Wärme aus, die mich magisch anziehen. Jonas ist schön, von innen!

Immer öfter ertappe ich mich dabei, in anzusehen, weil ich von ihm fasziniert bin. Die Art, wie er spricht, meistens leise und besonnen, aber wenn er einen im Tee hat, wird seine Stimme fest und ihm rutschen Kraftausdrücke raus. Das Kneten seiner Hände, wenn er nervös ist, oder ihre sanften Bewegungen, wenn er sich in ein Thema vertieft.

Ich weiß, dass ich gerade von meinem Mitbewohner, meinem Freund schwärme, aber ich bin allein und es ist nur in meinem Kopf, deshalb schäme ich mich nicht dafür. Ich würde mir mehr Sorgen über mich selbst machen, wenn ich Jonas Vorzüge nicht erkennen würde.

Ob das die ersten Anzeichen dafür sind, dass ich mich wieder für einen neuen Menschen öffne? Vielleicht bin ich noch nicht bereit für eine neue Beziehung, aber es ist ein Anfang, der Hoffnung gibt. Deshalb verscheuche ich meine Gedanken über Jonas auch nicht mehr aus meinem Kopf. Sie ebnen den Weg, in meine Zukunft. Zumindest glaube ich das. Und solange es so harmlos bleibt, fühle ich mich sicher.

Das Wochenende ist vorbei und die neue Woche hat es in sich. Es vergeht kein Tag, an dem ich vor 20 Uhr zu Hause bin. Selbst heute, am Freitag schaffe ich es nicht, bis Mittag mit meiner Arbeit fertig zu werden. Jonas war so lieb und hat mich mit Essen versorgt. Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich jeden Abend so müde war das wir uns nicht viel unterhalten haben.

Morgen ist das Shooting und unsere Badezimmer haben an diesem Abend Hochkonjunktur. Jeder von uns möchte sich von seiner besten Seite zeigen und ist mit dem Beauty-Programm beschäftigt. Am Samstag wird es kurz noch mal hektisch, weil wir nach Klamotten sucht, die Marcos Anforderungen entsprechen. Pünktlich um 13 Uhr stehen wir vor einer alten Fabrik, zu der mich das Navi geführt hat.

Es wirkt ein bisschen wie in einem schlechten Horrorfilm. Von außen sieht das Gebäude schon sehr heruntergekommen aus. Jonas neben mir sagt kein Wort, als wir auf den Eingang zugehen und Marco uns entgegenkommt. Er ist schon ein Hingucker, groß, dunkle Haare, gepflegter Bart. Bekleidet in Designer-Klamotten, begrüßt er uns herzlich. Das ist auch nötig, um bei Jonas das Eis zu brechen.

Marco erklärt uns aufgeregt, warum er sich für diese Lokation entschieden hat. Er möchte die Gegensätze zwischen weicher Haut, kalten Stein oder Metall einfangen. Jonas fragt einige Dinge und die beiden versinken in ein Gespräch über Kunst, an dem ich nicht teilhaben kann. Macht aber nichts ich sehe mich so lange ein bisschen um.

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