✿Asexualität✿

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Seit Alexander an diesem Morgen aufgewacht war, war er so fröhlich gewesen, wie lange nicht mehr. Heute war ein besonderer Tag, endlich kam seine Freundin Tina ihn übers Wochenende besuchen.

Die beiden waren seit Monaten ein Paar, doch leider wohnte Tina in einer anderen Stadt und sie konnten sich nur selten sehen. Den Rest der Zeit telefonierten sie ständig oder chatteten miteinander.

Alexander liebte seine Freundin sehr und er war froh um jede Sekunde, die er mit ihr verbringen konnte. Er war nicht nur glücklich, sondern auch stolz gewesen, als er seinen Freunden verkündet hatte, dass die beiden fest zusammen waren.

Die Jungs hatten ihm auf die Schulter geklopft und ihn beglückwünscht, denn damit war er in seinem Freundeskreis einer der wenigen. Der einzige seiner Freunde, der ebenfalls eine Beziehung führte, war Emmanuel.

Dieser war schon mit seiner Freundin Monica zusammen, seit Alex denken konnte und die beiden schienen ein tolles Paar zu sein. Manchmal schwärmte Emmanuel vor den Jungs sogar von seiner Feundin, was Alex zu beginn sehr süß gefunden hatte, doch mit der Zeit, als sie alle etwas älter geworden waren, hatten sich die Gespräche einem anderen Thema zugewandt. Wenn Emmanuel nun von Monica sprach, geschah es eher in einem sexuellen Kontext.

Er erzählte dann ganz stolz davon, wann oder wie lange er es mit seiner Freundin getrieben hatte und was für einen tollen Körper sie seiner Meinung nach hatte.

Natürlich freute sich Alex für seinen Freund, dass er eine attraktive Freundin und offenbar auch regelmäßig tollen Sex hatte, doch gleichzeitig brachten Emmanuels Erzählungen darüber auch Probleme mit sich.

Zum einen fand Alex es ein wenig respektlos und übergriffig Monica gegenüber, dass ihr fester Freund so offen und schamlos über ihr gemeinsames Sexleben sprach. Doch viel problematischer war für ihn, dass mit Emmanuels Berichten vom Sex auch der Druck auf ihn selbst wuchs, endlich mit Tina zu schlafen.

Dabei wollte Alex das gar nicht wirklich. Er liebte Tina über alles, aber er war mit ihrer Beziehung bis jetzt auch immer so äußerst zufrieden gewesen, eigentlich brauchte er keinen Sex.

Anfangs hatte er geglaubt, er sei vielleicht noch etwas unreif im Vergleich zu seinen Freunden, schließlich waren sie alle erst siebzehn und die meisten Jungen befanden sich da noch mitten in der Pubertät. Auch die Jungs hatten ihm gesagt, das würde schon noch ganz bald kommen, doch irgendwie hatte Alex das Gefühl, dass das nie passieren würde.

Und noch viel mehr: mittlerweile war er sich fast schon sicher, dass er niemals Sex haben wollte. Diesen Gedanken hatte er bis jetzt jedoch niemandem gegenüber laut ausgesprochen, seinen Freunden gegenüber hatte er einfach immer behauptet, Sex stände für ihn einfach nicht an erster Stelle.

Aber wenn Alex ehrlich zu sich selbst war, fand er Geschlechtsverkehr sogar fast schon abstoßend. Er verstand nicht, was Menschen so toll daran fanden, ihre Geschlechtsteile, die dabei auch noch vermutlich seltsam riechende Flüssigkeiten absonderten, aneinander zu reiben oder Körperteile in den anderen einzuführen.

Nicht nur wirkten diese Praktiken objektiv betrachtet auf ihn äußerst seltsam, er fand es sogar ziemlich eklig. Gleichzeitig verstand Alex nicht, was ihm das ganze geben sollte. Er hatte noch nie das Bedürfnis nach Sex oder einem Orgasmus, den alle immer als so besonders bezeichneten, verspürt und verstand nicht ganz, warum man nicht einfach ein genauso schönes Leben ohne diese Dinge haben konnte.

Schließlich hatte er selbst das bis jetzt auch geschafft und hätte glücklicher nicht sein können. Über all das vor sich hingrübelnd, wie er es in den den letzten Wochen ständig getan hatte, spazierte Alex den Bahnsteig entlang.

Ein Blick auf die Anzeigetafel zeigte ihm, dass Tinas Zug in wenigen Minuten ankommen müsste. Dann würde er endlich wieder seine wunderbare Freundin im Arm halten und all das Chaos in seinem Kopf hoffentlich für eine Weile vergessen können.

AroAce-Spektrum OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt