Für Bianca war der Prozess der Selbstfindung schon in ihrer Jugend mühsam und verwirrend gewesen.Mit zwölf Jahren hatte sie erstmals bemerkt, dass sie sich für Mädchen interessierte und sich nach einer kurzen Zeit, in der sie sich versichert hatte, dass ihre Gefühle tatsächlich romantischer Natur waren, eine Weile lang für lesbisch gehalten.
Damals hatte sie sich nicht wirklich mit sexuellen Orientierungen ausgekannt und die romantische Anziehung zum gleichen Geschlecht - über sexuelle Anziehung hatte sie sich damals noch nicht wirklich Gedanken gemacht - war für sie automatisch mit Homosexualität verbunden gewesen.
Erst einige Zeit später hatte sie dann begriffen, dass lesbisch von Anfang an das falsche Wort für ihre Gefühle gewesen war, da sie zusätzlich auch Anziehung zu Jungen empfand.
Daraufhin hatte sich Bianca dann als bisexuell bezeichnet und sich mit diesem Begriff auch das erste Mal bei anderen Menschen geoutet.
Einer davon war ihr enger Freund Sascha gewesen, mit dem sie bis zum heutigen Tage gut befreundet war und oft viel Zeit verbrachte.Er selbst war heterosexuell, doch anders als man es vielleicht von einem damals vierzehnjährigen Jungen erwarten würde, hatte er mehr Verständnis gezeigt als Biancas weibliche Freundinnen.
Diese hatten zwar nicht abweisend reagiert, aber die Sache anschließend möglichst kaum angesprochen, als würden sie Biancas Bisexualität lieber ignorieren und hätten irgendwie Angst vor diesem Thema.
Sascha hingegen war neugierig und aufgeschlossen gewesen, er hatte es cool gefunden, auch mit einer weiblichen Freundin über Mädchen reden zu können.
Seit Biancas erstmaligem Coming Out mit vierzehn Jahren waren nun fünf Jahre vergangen. Mittlerweile war sie neunzehn und hatte vor ungefähr einem Jahr entdeckt, dass auch Bisexualität nicht vollständig zu ihr passte.
Denn Bianca fühlte sich nicht nur zu zwei Geschlechtern hingezogen, nicht nur zu Frauen und Männern, sondern auch zu ein paar anderen Geschlechtsidentitäten, jedoch nicht allen. Aus diesem Grund war das Label Polysexuell das, was sie für sich als am passendsten empfand.
Bianca hatte gedacht, mit Polysexualität nun endlich die richtige Bezeichnung gefunden zu haben - nach drei verschiedenen Labeln wurde es ihrer Meinung nach auch wirklich Zeit - und sich nicht mehr mit ihrer sexuellen Orientierung auseinandersetzen zu müssen.
Doch seit ungefähr ihrem sechzehnten Lebensjahr spielten nun mit und mit auch sexuelle Gefühle zusätzlich zur romantischen Anziehung eine Rolle. Das alles wäre kein Problem gewesen, hätte Bianca dabei nicht ein paar Auffälligkeiten bemerkt, die sie erneut in Verwirrung versetzten.
Es war keineswegs so, dass Bianca sexuellen Handlungen abgeneigt war. Sie verspürte sexuelle Anziehung, das wusste sie. Abgesehen davon war Bianca seit einem halben Jahr in einer festen Beziehung mit Nicole. Tatsächlich hatten die beiden bereits das ein oder andere mal miteinander geschlafen, was ihnen beiden auch sehr gefallen hatte.
Doch während Nicoles sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Anziehung zu ihrer Partnerin Biancas Wahrnehmung nach immer gleich intensiv zu sein schienen, war es bei ihr selbst irgendwie anders. Natürlich wusste sie, dass nicht jeder Mensch jederzeit Lust auf Sex haben musste.
Darum ging es ihr auch gar nicht.Jedoch gab es Phasen, in denen Bianca ihre sexuelle Anziehung zu Nicole plötzlich vollständig zu verlieren schien oder diese zumindest abgeschwächt war.
Natürlich fand sie ihre Partnerin attraktiv, aber ein Bedürfnis nach Sex mit ihr hatte sie in diesen Zeiträumen absolut nicht und zusätzlich konnte die Neunzehnjährige dann auch nicht nachvollziehen, wie sie jemals sexuelle Anziehung hatte verspüren und sich Sex hatte wünschen können.
Es war alles sehr verwirrend und rätselhaft gewesen.
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AroAce-Spektrum Oneshots
Short StoryGeschichten über Romantik und Sex - davon gibt es hier auf Wattpad mehr als genug. Aber was ist eigentlich mit den Menschen, die in diesem Bereich ein bisschen anders ticken? Mit den Menschen, die so oft vergessen werden, weil ihre Identitäten so un...