✿Cupiosexualiät✿⁠

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Leanders Blick schweifte über die vielen Gebäude, die sich viel zu schnell an ihm vorbei bewegten. Es fühlte sich komisch an, wieder hier zu sein, auch wenn er sich monatelang darauf gefreut hatte.

Leander war fünfzehn Jahre alt und hatte fast das gesamte letzte Schuljahr als Austauschschüler in Kanada verbracht. Er liebte die englische Sprache und das Land, doch gleichzeitig hatte er natürlich seine Heimat Deutschland und sein deutsches Umfeld immer wieder vermisst.

Ursprünglich hatte Leander sein Auslandsjahr eigentlich in England oder Schottland verbringen wollen. So wäre er deutlich näher an Deutschland gewesen und hätte seine Familie in den Ferien sogar besuchen können.

Doch er hatte sich dann dagegen entscheiden müssen, weil die aktuelle politische Situation in Großbritannien ein Problem für sein alltägliches Leben und seinen Schulbesuch hätte darstellen können.

Denn Leander war ein Transjunge und ihm war durchaus bewusst, dass Großbritannien es transgeschlechtlichen Jugendlichen vor allem in Schulen nicht gerade leicht machte. Wenn er Pech gehabt hätte, hätte es sein können, dass er dort als Mädchen die Schule besuchen und sogar die weibliche Schuluniform hätte tragen müssen.

Kanada hingegen war politisch deutlich weiter was sexuelle und geschlechtliche Vielfalt anging - teilweise sogar fortschrittlicher als Deutschland - und war daher für Leander die sicherere Wahl gewesen.

Und rückblickend bereute er seinen Aufenthalt in dem nordamerikanischen Land überhaupt nicht, es war die beste Entscheidung seines Lebens gewesen.

In Kanda hatte er als Junge zur Schule gehen und leben können. Abgesehen davon gab es dort, anders als in Deutschland, niemanden, der ihn vor Beginn seiner Transition gekannt hatte, so dass er mit deutlich weniger Transfeindlichkeit zu kämpfen gehabt hatte.

Leander hatte noch keine Hormontherapie begonnen, schließlich war dies in Deutschland erst ab sechzehn Jahren möglich, doch trotzdem war er sich bewusst, dass sein Passing ziemlich gut war.

Zwar wurde er manchmal für etwas jünger gehalten, als er war, aber niemand, den er traf, zweifelte anhand seines Aussehens seine Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht an.
In Kanada hatte Leander vollkommen er selbst sein können und auch ein paar gute Freund*innen gefunden, die ihn so akzeptierten, wie er war.

In Deutschland war ihm dies nie so wirklich geglückt, vor allem sein Coming out mit zwölf Jahren hatte ihn sehr vielen Anfeindungen ausgesetzt und er hatte es danach nicht mehr wirklich geschafft, enge Freundschaften mit Gleichaltrigen zu schließen.

Doch das war in Ordnung für Leander gewesen, denn er war ohnehin schon immer besser mit Erwachsenen zurecht gekommen, seine engste Bezugsperson war vermutlich seine Großmutter. Diese liebte er sehr und besuchte sie auch, so oft er konnte.

Auch wenn sein Flugzeug aus Kanada erst vor einer Dreiviertelstunde in Deutschland gelandet war, saß Leander nun nicht in einer Straßenbahn, die ihn nach Hause zu seiner Mutter brachte, sondern in einer S-Bahn, mit der er zum Altersheim gelangte, in dem seine Großmutter lebte.

Endlich wurde die richtige Haltestelle ausgerufen und Leander erhob sich sofort. Er packte den Griff seines schweren, bis zum Rande vollgestopften Rollkoffers und warf sich seine große Umhängetasche über die Schulter. Kaum hatte die Bahn dann angehalten und die Tür sich geöffnet, schritt er auch schon auf den Bahnsteig hinaus.

Der Fußweg zum Altersheim dauerte normalerweise zehn Minuten, doch mit seinem schweren Gepäck beladen fühlte er sich für Leander doppelt so lang an.

Vielleicht wäre es klüger gewesen, tatsächlich zuerst nach Hause zu fahren, wie seine Mutter es vorgeschlagen hatte, und später oder am nächsten Tag seine Großmutter zu besuchen.

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