In dieser Nacht träume ich etwas, das ich schon längst für vergessen gehalten hatte. Aber es überrascht mich, an wie viel ich mich von damals noch erinnern kann. Wie detailliert ich mich noch an den Tag zurückerinnern kann, an dem ich William kennenlernte. Ich hatte gerade meinen Abschluss gemacht und wollte erst einmal Abstand. Da ich es liebe, zu reisen, führte mich mein Weg nach Paris. Die Stadt der Liebe. Nur, dass ich gar nicht darauf aus war, nach der Liebe zu suchen. Eigentlich hatte ich die Nase von all dem voll. Die Schule hatte nur so von Romanzen und verliebten Teenies gewimmelt und langsam konnte ich es nicht mehr sehen. Ich war nur in Paris, weil ich die Stadt einmal sehen wollte. Meine Mutter hatte früher immer von der Schönheit der französischen Hauptstadt geschwärmt. Dort hat sie meinen Dad kennengelernt. Sie hat mir die Geschichte so oft erzählt, dass ich sie irgendwann auswendig mitsprechen konnte. Trotzdem konnte ich sie nicht oft genug hören. Sie erzählte von Lichtern bei Nacht und dem beschienenen Eiffelturm und den vielen Brücken über die Seine. Ich wollte das alles mit eigenen Augen sehen.
Doch als ich dann dort war, merkte ich, dass meine Erwartungen übertroffen wurden. Schon nach einigen Tagen hatte ich meinen Lieblingsplatz gefunden, an dem ich mich beinahe jeden Tag mit meinem Kaffee in der Hand und meinem Fotoapparat in der anderen auf einer kleinen Bank niederlies. Ich schaute den vorbeilaufenden Menschen zu, die sich hektisch durch die Menschenmengen drückten, telefonierten oder wild auf ihren Handys herumtippten. Sie waren so in Eile, dass sie gar nichts um sich herum bemerkten. Und ich saß einfach nur jeden Tag an derselben Stelle auf meiner Bank und schaute mir den Sonnenuntergang an. Die Sonne spiegelte sich im Wasser der Seine, die unter mir entlang floss und lies die kleinen Wellen glänzen. Ich hätte stundenlang zusehen können. Meinen Fotoapparat stellte ich niemals aus. Immer wieder entdeckte ich etwas, das ich für wichtig empfand und festhalten musste. Ich fotografierte Menschen, das Wasser, die Sonne, die Boote und Fähren auf dem Fluss
Je weiter der Tag voranschritt, desto ruhiger wurden auch die Menschen, die an mir vorbeiliefen. Manche vereinzelte Paare blieben stehen und sahen ebenfalls die glühend rote Sonne an. Sie hielten ein Schloss in den Händen. Und sie schlossen es am Brückengeländer an. Ich knipste ein Foto. Dann wünschten sie sich etwas und warfen den Schlüssel in die Tiefen der Seine. Immer wieder überkam mich eine Gänsehaut, wenn ich das sah. Diese Menschen sahen einfach nur glücklich und zufrieden aus. So viel friedliche Ruhe wie an den Abenden auf der Pont de Arts habe ich selten irgendwo gesehen.
--- Sechs Jahre zuvor ---
Das Paar am Brückengeländer hat gerade den Schlüssel in den Fluss geworfen und war weitergegangen, als ich ihn sehe. Er sitzt zwei Bänke rechts von mir und dreht einen Kaffeebecher in seinen Händen, während er den Boden vor seinen Füßen betrachtet. Rote Haarsträhnen fallen ihm ins Gesicht und verdecken seine Augen. Er trägt ein schwarzes Shirt und eine dunkle Lederjacke, sowie Jeans, die aussehen, als hätten sie ihre besten Tage schon lange hinter sich. Ausgetretene Chucks vollenden das Bild. Beim genaueren Hinsehen bemerke ich, dass seine längeren Haare mit einem Lederband im Nacken zusammengehalten werden. An seinen Handgelenken trägt er ebenfalls Lederbänder. Er hätte eigentlich perfekt auf ein Rockkonzert gepasst, aber hier auf dieser beinahe leeren Brücke mitten Paris wirkt er etwas verloren, obwohl er etwas an sich hat, das sich am besten mit Standhaftigkeit beschreiben lässt. Er ist wie ein Fels im Meer, der dort bleibt und nicht von der Stelle weicht, egal, wie sehr die Wellen auch an ihm zehren. Er sitzt einfach nur da und schaut zu Boden. Mich würde wirklich brennend interessieren, was er hier macht. Er wirkt fehl am Platz. Während ich ihn so angeschaut habe, ist mein Kaffee schließlich kalt geworden. Also stehe ich seufzend auf und laufe zum nächsten Mülleimer. Zufälligerweise steht dieser genau neben der Bank, auf der der Mann sitzt. Als ich am Eimer angekommen bin, sieht er schließlich auf und blickt mich an, wobei ein schwaches Lächeln über sein Gesicht huscht. Ich lächele kurz zurück, dann werfe ich meinen Becher in den Eimer.
„Ist er nicht gut?", fragt der Mann plötzlich und mustert mich interessiert.
„Er hat schon geschmeckt, aber kalt mag ich ihn nicht mehr."
„Verständlich.", sagt er schlicht, lächelt, und schaut wieder in Richtung des Geländers. Kurz zögere ich, dann drehe ich mich um, werfe mir meine Tasche mit meinem Fotoapparat über die Schulter und gehe an ihm vorbei. Als ich an meinem Hotel ankomme, ist es bereites dunkel. Trotzdem beschließe ich, in die Bar des Hotels zu gehen und noch etwas zu trinken. Ich setze mich auf einen Barhocker und bestelle mir einen Cocktail. Doch kaum habe ich ihn vor mir stehen bekomme ich unerwartete Gesellschaft.
„Kleine Welt, nicht?", fragt eine tiefe Männerstimmen neben mir. Als ich meinen Kopf wende bin ich für einen Moment sprachlos, fange mich aber bald wieder.
„Ja stimmt. Es sei denn du verfolgt mich.", sage ich lachend. Er grinst.
„Ich glaube, das muss ich gar nicht. Sieht so aus, als würden wir im selben Hotel wohnen. Ich bin Bill.", stellt er sich vor.
„Scarlett.", sage ich. „Und heißt du wirklich Bill oder ist das?"
„Eigentlich William. Aber so nennt mich keiner."
„Dann wirds ja Zeit, dass jemand damit anfängt.", grinse ich. „Und? Du bist sicher noch nicht so lange hier, du wärst mir aufgefallen."
„Bin gestern Abend angekommen. Aber was verschlägt dich nach Paris?"
„Ich wollte nach meinem Abschluss mal etwas Erholung. Was ist mit dir?"
„Geschäftliches. Ich arbeite bei der Bank. Und die lassen die Neuen eben die Drecksarbeit machen."
„Ja, das kann ich mir vorstellen."
„Wie lange bleibst du?", fragt er.
„Keine Ahnung. Mal sehen wie lange mein Geld reicht. Ich bin spontan."
„Spontan... Aha.", grinst er und trinkt einen großen Schluck aus seiner Bierflasche. „Was ist mit spontanen Dart?"
„Ich bin kein guter Gegner. Ich lasse immer alle gewinnen.", sage ich.
„Da haben wir ja was gemeinsam."
„Na gut. Beweis es!", sage ich.
Fünf Stunden und Zwei Tage später blicke ich auf die hell erleuchtete Stadt hinab und mich durchläuft ein Schauer. Die ganze Stadt liegt uns zu Füßen, in all ihrer Pracht. Es ist wunderschön hier. Ohne es recht zu merken, ist meine Hand in meine Handtasche gewandert und greift nach meiner Kamera. Schnell halte ich sie auf den Horizont und drücke ab.
„Du fotografierst?", fragt er.
„Ja. Wenn ich etwas Schönes sehe, muss ich es einfach speichern. Und auf Bildern geht das am besten.", erkläre ich und mache noch ein Bild. Doch bevor ich ein weiteres Mal auf den Auslöser drücken kann, nimmt er ihn mir aus der Hand und richtet ihn auf mich.
„So, jetzt hast du von allem Schönen hier oben ein Foto.", grinst er und steckt die Kamera zurück in meine Tasche.
Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er ein Stück näher an mich heranrückt, bis sich unsere Hände, die auf dem Geländer liegen, berühren. Ich wende den Kopf in seine Richtung und muss dabei ein gutes Stück nach oben schauen. Seine braunen Augen strahlen etwas aus, das ich nicht ganz deuten kann. Aber sie faszinieren mich. So treu und unschuldig, aber trotzdem geheimnisvoll. Sie mustern mich neugierig, während er mir langsam immer näher kommt. Er umschließt meine Hand mit seiner und legt die andere an meine Wange. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich halte die Spannung zwischen uns kaum aus. Ich will, dass er mich endlich küsst, ich will, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch ausbrechen, ich will ihn einfach nur bei mir spüren. Ich schaue ihm tief in die Augen und er lächelt. Dann legt er vorsichtig die Lippen auf meine. Sofort bricht in mir ein Vulkan aus. Mein Verstand vernebelt und ich erwidere den Kuss, der nach einer Weile stürmischer wird. Ich spüre seine Zunge an meinen Lippen und öffne ohne zu zögern den Mund. In meinem Kopf dreht sich alles und ich habe das Gefühl vom Boden abzuheben und den Sternen entgegenzufliegen. Seine Arme umschlingen jetzt meine Taille und ich kralle die Hände in seine Haare. Er stöhnt kurz auf, was mich nur noch glücklicher macht. Dann zieht er mich immer näher zu sich und ich fahre mit einer Hand von seinem Nacken über seinen Hals bis ich sie dann auf seiner Brust ruhen lasse.
Ich erwache durch die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Als ich die Augen aufschlage, bemerke ich, dass ich auf Wills muskulöser Brust liege und meine linke Hand daneben. Sein Arm hält mich fest umschlungen. Ich spüre wie sich sein Brustkorb hebt und senkt und sein Atem mir durch die Haare streift. Ich ziehe seinen Geruch ein und bin für einen Moment unfähig zu denken. Erneut schließe ich die Augen und kuschele mich näher an ihn. Er seufzt im Schlaf und schlingt auch den anderen Arm um mich.
Nach einer Weile bewegt er sich jedoch und streicht mir eine meiner pechschwarzen Strähnen aus dem Gesicht hinter das Ohr.
„Morgen!", flüstere ich und fahre mit der Hand über seine Brust. Ich spüre, wie sein Herz schneller schlägt und er eine Gänsehaut bekommt.
„Morgen, Engel!", sagt er leise und streicht mir wieder durch die Haare.
Eine Weile sagen wir gar nicht, liegen einfach nur eng umschlungen in seinem Bett im Hotelzimmer und genießen den Moment.
„Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?", fragt er nach einer Weile.
„Bis jetzt nicht, aber seit gestern Abend bin ich mir nicht mehr so sicher. Was ist mit dir?"
„Ich auch nicht, bis ich dich gesehen habe.", sagt er leise. Lächelnd sehe ich ihn an. Dann hebt er mein Kinn etwas an und küsst mich sanft. Ich habe das Gefühl zu schweben. Ich erwidere den Kuss und er lächelt etwas.
„Wirf du ihn!", sagt Will drei Monate später und legt mir den Schlüssel in die Hand.
Wir stehen Hand in Hand auf der Pont de Arts in Paris und haben gerade ein Schloss am Brückengeländer befestigt. Er greift nach meiner freien Hand und verschränkt seine Finger mit meinen. Ich lächele ihn an. Dann blicke ich auf den kleinen silbernen Schlüssel in meiner Hand.
„Ich liebe dich!", sage ich und sehe ihm in die Augen.
„Und ich liebe dich!", sagt er und küsst mich. Der kleine Schlüssel fällt mir aus der Hand und in die Tiefen der Seine. Unsere Liebe ist besiegelt.
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Verhängnisvolle Liebe (Charlie/Bill Weasly ff)
FanfictionEntscheidungen... Sie sind schwer und fordern viel Nachdenken. Man muss sich genau überlegen, welchen Weg man einschlägt, die Vor- und Nachteile abwiegen. Man muss sich bewusst sein, dass man manche Entscheidungen nicht mehr rückgängig machen kann...