Kapitel 28

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Zeitsprung
„Es ist soweit.", sagt Will und knetet nervös seine Hände. Ich muss mich auf das Atmen konzentrieren, um nicht zu hyperventilieren.
„Oh Gott, ich bin so aufgeregt." Unruhig rutsche ich auf dem Stuhl hin und her, der ein leises Quietschen von sich gibt. Die unheimliche Ruhe indem leeren Zimmer macht mich völlig kirre. Nur eine Uhr tickt gleichmäßig vor sich hin. Seufzend lege ich meinen Kopf auf Wills Schulter und fange an, an meinem Pullover herumzuzuppeln, um mich abzulenken. Nach einer Weile greift er nach meinen Händen und hält sie fest.
„Ich hab keine Ahnung, was ich ihm sagen soll.", sage ich.
„Ich auch nicht.", gibt er zu. Meine Nervosität wird immer schlimmer. Das Ticken der großen Uhr uns gegenüber an der Wand treibt mich in den Wahnsinn. Der Zeiger scheint sich keinen Millimeter zu bewegen, obwohl es mir vorkommt, als würden wir schon zwei Stunden hier sitzen. Die Sekretärin sagte, dass die andere Familie noch nicht da sei und wir noch warten müssten, es aber nicht mehr lange dauere. Das hoffe ich auch, denn ich bin viel zu aufgeregt, als das ich noch länger hier Nichts tuend sitzen kann.
„Scarlett?"
„Ja?" Ich sehe Will an, aber der starrt nur geradeaus. Erst jetzt registriere ich, dass nicht er mich angesprochen hat. Vor uns steht ein 14-jähriger Junge mit braunen Augen und kurzen strubbeligen roten Haaren. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gedacht ich würde ein altes Bild von Will betrachten. Der Junge sieht mich mit seinen warmen braunen Augen an, die ein leichtes schelmisches Funkeln in sich wahren. Unter ihnen zeichnet sich eine gerade Nase ab, die den Schatten, den das Licht auf seine linke Gesichtshälfte wirft, abschneidet. Über ihr entdecke ich leichte Sommersprossen verteilt. Ein paar rote Haarsträhnen hängen ihm ins Gesicht. Er verzieht seinen Mund zu einem schwachen, schüchternen Lächeln, das als einziges nicht in das Bild einer Will-Kopie zu passen scheint.
„Leon.", flüstere ich fassungslos und stehe auf. Obwohl er erst 14 ist, ist er schon ein Stückchen größer als ich.
„Du bist meine Mutter?", fragt er zögernd.
„O mein Gott!", flüstere ich. „Ja...Ja bin ich." Ich weiß nicht was ich sagen soll. Viel zu gerührt bin ich über das Lächeln des Jungen.
„Du siehst aus, wie ich mir dich vorgestellt habe.", sagt er. Das reicht, um mir die Tränen kommen zu lassen.
„Du hast dir mich vorgestellt?" Er nickt.
„Ist das mein Vater?", fragt er leise. Dieses Mal bin ich die, die nickt.
„Hallo.", sagt Leon und sieht Will an.
„Mein Vater ist voll cool!", flüstert er mir zu.
„Ja, das ist er.", sage ich lächelnd. Ich bin völlig überwältigt von dem Moment und Will scheint es nicht anders zu gehen. Wir unterhalten uns sehr lange mit Leon und erfahren eine Menge über seine Pflegefamilie, seine Freunde und seine Hobbies. Will fängt an zu lachen, als er hört, dass er sehr gut Dart spielen kann, was mich auch zum Schmunzeln bringt, weil ich mich an den Abend in Paris vor vielen Jahren zurückerinnern muss, an dem ich Will kennengelernt habe. Also von uns hat er dieses Talent ganz sicher nicht. Außerdem spielt er seit acht Jahren Tischtennis und spricht fließend Französisch, da sein Pflegevater Franzose ist. Ich kann zwar kein einziges Wort Französisch, aber Will versteht fast alles, auch wenn er es nicht gerne spricht. Leon staunt außerdem nicht schlecht, als er erfährt, dass er seinen Namen Will zu verdanken hat. Außerdem hat er eine Laktoseintoleranz und besitzt eine Schlange, die in einem Terrarium in seinem Zimmer lebt. Am Ende des Tages bin ich so glücklich wie nie und als wir uns verabschieden, nimmt Leon die Einladung, uns mal zu besuchen, fröhlich an. Mein langjähriger Traum ist heute in Erfüllung und ich kann nicht anders als mich trunken vor Glück zuhause auf das Bett fallen zu lassen und die Augen zu schließen.

Verhängnisvolle Liebe (Charlie/Bill Weasly ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt