Kapitel 16

58 10 0
                                    


„Du sagtest vorhin, dass du denkst, mich nicht zu kennen.", sagt er.
„Ja, ist ja auch so.", sage ich und schaue wieder den Wald an.
„Nein! In diesem Punkt habe ich nie gelogen. Du kennst mich wirklich am besten. Sogar besser als Charlie. Und mit ihm habe ich mein ganzes Leben verbracht. Alleine, dass du immer gemerkt hast, wie es mir gerade ging. Du wusstest es, bevor ich überhaupt irgendetwas sagen konnte."
„Stimmt.", sage ich leise und sehe ihn lächelnd an. 


Ein seltsames flaues Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Es fühlt sich irgendwie vertraut an, aber auch wieder fremd. Ich weiß nur, dass es mich unendlich glücklich macht. Er dreht jetzt auch den Kopf zu mir und sieht mir in die Augen. Was in den nächsten Sekunden passiert, nehme ich gar nicht richtig war. Doch plötzlich liegen seine Lippen auf meinen. Ich erwidere wie in Trance den Kuss und spüre wenig später seine Hände auf meiner Hüfte, die mich näher an ihn ziehen. Meine Arme lege ich um seinen Hals und lasse mich auf seinen Schoß ziehen.
Was tue ich hier bloß? Ich weiß, dass es falsch ist, aber mir fehlt die Willensstärke, ihm zu widerstehen. Der Kuss wird stürmischer und ich gehe darauf ein. Er küsst so wie damals. Leidenschaftlich und trotzdem mit unendlicher Ruhe und Sanftheit. Genauso, wie unser erster Kuss vor sieben Jahren in Paris. Seine Hände streichen mir jetzt durch die Haare und lassen dadurch nur noch mehr Erinnerungen von damals hochkommen. Ich muss das hier beenden. Es ist falsch. Ich liebe Charlie, nicht Bill. Ich liebe Charlie, ich liebe Charlie! rede ich mir ein, aber ich schaffe es nicht, mich loszureißen. Er hat mich schon wieder völlig unter Kontrolle.
„Scar!", höre ich plötzlich eine Stimme. Charlie! Ich schaffe es jetzt doch mich von ihm zu lösen und springe auf. Jedoch sehe ich Charlie nirgends, wahrscheinlich ist er noch im Haus und sucht mich da. Ich starre Bill an, er mich.
„Das ist nie passiert!", sage ich und er nickt.
„Ok!", sagt er etwas außer Atem. Er sieht aus, als bereue er das Geschehene auch.

---Seine Sicht---
Was habe ich getan! Ich heirate morgen! Verdammt! Aber ich hatte mich einfach nicht mehr unter Kontrolle. Wer wen zuerst geküsst hat, weiß ich nicht und ich würde wahrscheinlich einen enormen Selbsthass entwickeln, wenn ich es war. Warum hat es überhaupt so viel Spaß gemacht? Das dürfte nicht sein. So ein Mist! Ich kann mich doch jetzt nicht in meine Ex verlieben. So kurz vor der Hochzeit! Obwohl ich weiß, dass es eigentlich schon zu spät ist. Ich habe mich in sie verliebt. Schon wieder. Der Kuss war wie damals. Leidenschaftlich und trotzdem so sanft und intensiv. Es war wunderschön. Ich darf es auf keinen Fall noch einmal soweit kommen lassen. Das steht fest. Ich will gerade etwas sagen, als Scar mir zuvorkommt: „Das ist nie passiert!"
„Ok!", sage ich immer noch etwas außer Atem. Sie dreht sich um und läuft in Richtung Haus.
„Scar!", rufe ich ihr hinterher. Sie dreht sich um und bemüht sich um eine neutrale Miene, aber ich kann die Tränen in ihren Augen sehen.
„Es tut mir leid.", sage ich.
„Mir auch." Damit rennt sie zurück zum Fuchsbau.

---Ihre Sicht---
„Scarlett!", ruft Charlie wieder.
„Ich bin hier.", rufe ich zurück und sehe ihn wenig später aus dem Haus kommen.
„Morgen! Wie lange bist du schon wach?", fragt er, als ich bei ihm angekommen bin.
„Schon etwas länger.", sage ich und bleibe vor ihm stehen. Ich schaffe es kaum, ihm in die Augen zu sehen. Der Kuss mit seinem Bruder ist immer noch ein großer Bestandteil meiner Gedanken. Das ändert sich zu meinem Missfallen auch nicht, als er eine Hand an mein Gesicht legt und mich küsst. Ich erwidere den Kuss zwar, aber ich bin immer noch viel zu verwirrt, um etwas dabei zu fühlen. Zumindest glaube ich, dass es daran liegt. Es muss einfach daran liegen. Ich kann mich doch jetzt nicht in meinen Ex verlieben.
„Was ist los?", fragt Charlie und löst sich ruckartig von mir.
„Nichts.", sage ich und setze ein strahlendes Lächeln auf. „Was soll los sein?" Er seufzt und verdreht die Augen.
„Du brauchst gar nicht erst versuchen, mich anzulügen. Also was ist los?"
„Nichts, Charlie! Ehrlich! Ich hab, nur schlecht geschlafen.", sage ich. Er kauft es mir nicht ab, das merke ich sofort. Wieder seufzt er und sieht mir fest in die Augen. Ich zwinge mich selbst nicht wegzusehen, was ich im Moment am liebsten tun würde. Am liebsten würde ich wegrennen. Ich halte seinen vorwurfsvollen Blick kaum aus. In kann nicht in diese treuen, unschuldigen Augen sehen und im direkt ins Gesicht lügen.
„Scarlett.", sagt er nur leise und lässt seine Hand sinken, bis er meine erreicht hat, die er dann umschließt. Ich liebe es, wie er meinen Namen sagt, aber das lässt meine Schuldgefühle nur noch stärker werden. „Ich will dich nicht dazu zwingen, es mir zu sagen, ich will nur, dass du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, ok?", sagt er und sieht mir immer noch fest in die Augen. Wie kann man so einen wunderbaren Menschen nur so schrecklich hintergehen? Ich könnte mir selbst verprügeln. Charlie hat das nicht verdient. Ich kenne keinen Menschen, der ihn an Mitgefühl, Herzensgüte und Freundlichkeit übertreffen könnte. Das macht ihn so verdammt wertvoll, so verdammt perfekt. Und was mache ich? Ich küsse nicht diesen wunderbaren Menschen, sondern seinen Bruder.
„Danke.", sage ich und lass meinen Kopf an seine Brust sinken, um ihn nicht ansehen zu müssen. Er legt seine Arme um mich und küsst mich auf den Scheitel, wie er es immer macht. Ich klammere mich an ihn, obwohl es mir falsch vorkommt. Er kann mir keinen Halt geben. Auch Will kann es nicht. Ich bin alleine. Alleine, obwohl er hier ist. Er liebt mich, das weiß ich. Und Will hat Recht. Wenn er erfährt, dass ich seinen Bruder geküsst habe, zerstört es ihn. Er wirkt nach außen hin wie ein starrer Fels, den nichts umwerfen kann. Aber nach innen hin ist er wie Glas. Fällt es einmal zu Boden, zerspringt es in tausend Stücke.
„Charlie, wenn du irgendwann mal sauer auf mich warst oder ich was Blödes gesagt oder gemacht hab, es tut mir leid. Es tut mir alles so leid. Du hast das nicht verdient.", sage ich.
„Oh Scarlett! Das muss es doch nicht. Wie kommst du jetzt überhaupt darauf?"
„Ist doch egal. Ich will nur, dass du weißt, dass mir alles, was ich jemals gemacht hab, schrecklich leid tut."
„Hör auf, sowas zu sagen!", sagt er und streicht mir durch die Haare.
„Ich musste es aber sagen."
„Wehe, du kommst noch einmal auf die Idee! Ich habe mindesten genauso viel Blödes gemacht, wie du. Also sag sowas nie wieder!", sagt er, wobei seine Stimme einen strengen Unterton annimmt.
„Ok!", sage ich leise und löse mich soweit aus seiner Umarmung, dass ich ihn ansehen kann. „Ich liebe dich, Charlie!", sage ich. Und tatsächlich geht es meinem Gewissen dadurch besser. Der Kuss mit Will ist passiert und wird nie wieder passieren. Ich liebe Charlie wirklich. Das bilde ich mir nicht ein. Und das kann Will auch nicht ändern.
„Ich dich auch, Süße!", lächelt er.
Erleichtert lege ich meine Hände in seinen Nacken und küsse ihn. Dieses Mal dauert der Kuss um einiges länger, als der vorherige. Trotzdem müssen wir ihn unfreiwillig abbrechen, da Bill von draußen hereinkommt und die Tür hinter sich schließt.
„Geht in euer Zimmer!", sagt er genervt. „Das ist ja ekelig." Dann läuft er an uns vorbei und verschwindet die Treppe rauf. Kurz danach brechen Charlie und ich in Lachen aus. Der kann einem mit seiner miesen Laune echt alles versauen, aber davon lasse ich mich jetzt ganz sicher nicht beeinflussen. Er hat mir heute schon genug Ärger gebracht.

Verhängnisvolle Liebe (Charlie/Bill Weasly ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt