„Wie oft warst du schon hier?", fragt Bill, während wir Hand in Hand durch die Winkelgasse laufen. Mittlerweile ist es schon fast Herbst und die bunten Blätter eines Baumes wehen über die gepflasterte Straße.
„Erst dreimal. Charlie hat mir damals den Laden von Fred und George gezeigt. Der ist echt beeindruckend."
„Schon. Ich war erst einmal dort."
„Was?", frage ich fassungslos. "Das ist der Laden schlechthin hier. Und du warst erst einmal dort?"
„Ja, ich konnte mich anfangs gar nicht dafür begeistern. Dieses ganze Zeug, das einen Nasenbluten bekommen lässt, oder wovon man ständig aufs Klo muss, ist nicht so meins."
„Ginny hat gesagt, dass du damals immer vorkosten musstest."
„Ja, aber unfreiwillig. Ich habe meistens gar nicht mitbekommen, dass ich sowas gegessen habe.", erzählt er. Ich muss lachen. Ja, die Zwillinge sind Meister darin, Leuten ihre Erfindungen anzudrehen, ich spreche da aus eigener Erfahrung.
„Was ist das da?", frage ich Bill, als ich ein großes Gebäude am Ende der Straße entdecke.
„Das ist Gringotts, die Zaubererbank."
„Also für die arbeitest du?"
„Ja, und da muss ich jetzt auch noch schnell was erledigen.", sagt er. „Willst du mit?", fragt er. Ich will schon nicken, als mir ein Mann ins Auge fällt. Er steht an die Wand gegenüber dem Laden der Zwillinge gelehnt und blickt abwechselnd auf seine Uhr und die Menschen, die an ihm vorbeilaufen. Ich bemühe mich ihn nicht anzustarren und schüttele den Kopf.
„Ich sehe mich noch etwas hier um, ok?", sage ich zu Bill.
„Ja ok. Aber geh ja nicht in die Nokturngasse, verstanden?"
„Keine Sorge, ich pass schon auf, wohin ich trete.", lache ich.
„Na gut.", meint er, klingt aber wenig überzeugt. „Ich beeil mich." Damit verschwindet er zwischen den Menschen in Richtung Gringotts. Mein Blick wandert wieder zu dem Mann am Laden der Zwillinge. Ich habe mir diesen Moment oft ausgemalt und habe dabei immer gehofft, dass er mich nicht mehr hassen würde. Aber es ist eben nur ein Wunschgedanke. Trotzdem kann ich den Drang zu ihm zu gehen, nicht unterdrücken. Ich muss etwas grinsen, als ich sehe, dass er den blauen Pullover trägt. Den hatte er früher schon so gerne an. Genauso wie die ausgewaschene Jeans und das Lederband um seinen Hals.
„Bitte hass mich nicht, bitte hass mich nicht.", denke ich, während ich auf ihn zugehe. Ich stehe beinahe neben ihm, trotzdem bemerkt er mich nicht.
„Charlie?", frage ich vorsichtig. Sein Blick schnellt herum. Als er mich sieht weiten sich seine Augen etwas. Er sieht aus, als wäre er halb schockiert, halb erschrocken. Einen Moment starrt er mich nur an.
„Hi.", sage ich, in der Hoffnung, er taut aus seiner Starre auf. Und tatsächlich. Er schüttelt leicht den Kopf, als wolle er sich aus einer Trance aufwecken und lächelt schief.
„Scarlett, hi! Lange nicht gesehen!"
„Stimmt! Wie geht's dir?", frage ich vorsichtig. Ich spüre, dass es ihm mehr als unangenehm ist, mit mir zu reden.
"Gut, sehr gut!", sagt er schlicht. Erleichtert lächele ich. Wenigstens redet er überhaupt mit mir.
"Das ist schön."
"Was ist mit dir?", fragt er
"Ach, mir geht's auch gut. Und Bill übrigens auch. Er vermisst dich, du hast dich so lange nicht gemeldet.", sage ich und könnte mir im nächsten Moment die Zunge abbeißen. Das war nun wirklich nicht nötig.
"Wozu ich allen Grund hatte, denke ich.", sagt er kalt. Er klingt verletzt wütend. Ich will schon Luft holen, um mich zu entschuldigen, als er mir zuvorkommt.
"Entschuldige, ich...", fängt er an, aber ich kann nicht anders, als ihn zu unterbrechen.
"Schon ok. Ich kann es dir nicht verübeln."
"Nein, ich... Es ist ok.", sagt er. „Mir geht's gut, wirklich. Und ich bin dir nicht mehr böse, ehrlich." Überrascht schaue ich auf. Ich habe mit Vielem gerechnet, aber nicht damit.
"Das ist toll, aber mir tut es immer noch leid.", sage ich.
"Das muss es nicht, es freut mich, wenn du glücklich bist. Mach dir keinen Kopf." Ich atme erleichtert aus.
"Charlie, das mit Fred tut mir leid.", sage ich nach einer kurzen Zeit.
"Danke, schon ok."
Ich will gerade noch etwas sagen, als plötzlich eine Frau neben ihm auftaucht und nach seiner Hand greift. Sie hat schöne blaue Augen und unnatürlich dunkelblaue Haare, die in wilden Locken um ihr Gesicht fallen. Sie ist unverschämt hübsch, das muss ich zugeben.
"Da bist du ja, ich hab dich überall gesucht, Charlie!", sagt sie, dann sieht sie mich. "Oh, hallo!", grinst sie.
"Hi, ich bin Scarlett.", sage ich.
"Ich heiße Azure.", sagt sie. Wie passend, denke ich. Der Name hat sicher was mit ihrer Haarfarbe zu tun. Aber ich fühle mich als seine Ex etwas unwohl hier.
"Ähm... Ich geh dann besser. Macht's gut!", sage ich und wende mich zum Gehen.
"Nein, kein Problem!", sagt Azure. "Woher kennt ihr euch?", fragt sie dann neugierig und sieht Charlie an. Die Situation ist mir jetzt schon etwas unangenehm, so wie Charlie auch. Er sieht etwas fragend zu mir. So unsicher, wie eh und je, er hat sich kaum verändert. Ich nicke vorsichtig.
"Wir... waren mal zusammen!", erklär er ihr. Sofort zuckt sie zusammen. Charlie sieht sie an und verschränkt seine Finger mit ihren. Ist sie wirklich so eifersüchtig? Weiß sie etwa nicht, was damals zwischen mir und Charlie vorgefallen ist?
"Ich sollte dann wirklich gehen.", sage ich schnell und drehe mich um. Zügig laufe ich um die nächste Ecke und lehne mich erst einmal gegen die Wand. Er hasst mich nicht mehr, das ist das Wichtigste. Und er hat wieder eine Freundin. Das heißt, dass es ihm gut geht. Ich freue mich wirklich sehr für ihn. Ich hatte Angst, dass er sich zurückziehen würde und an dem Verrat, den ich und Bill begangen hatten, kaputt geht. Er ist eben nicht so, wie er körperlich ist. Nicht stark, standhaft und unnahbar. Er ist das komplette Gegenteil: sensibel, etwas unsicher und leicht zu verletzen. Aber er ist ein wunderbarer Mensch und ich wünsche ihm nur das Beste.
„Scar!", ruft eine Stimme neben mir. Erschrocken drehe ich mich um und sehe in Wills besorgte Augen. „Alles ok?", fragt er.
„Äh... ja... ja klar... alles ok.", sage ich.
„Was ist los?", fragt er skeptisch.
„Ich...ich hab...Charlie getroffen."
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du wegen ihm kein schlechtes Gewissen haben musst?", seufzt er.
„Ich habe aber immer noch ein schlechtes Gewissen! Ich habe ihn betrogen und ihn hintergangen. Und du kannst mir nicht erzählen, dass es dir anders geht."
„Ich weiß, dass das nicht fair war, aber es ist eben jetzt so. Es bringt nichts, wenn du dich da jedes Mal aufs Neue reinsteigerst."
„Es war einfach falsch.", sage ich. Wie kann er das nur so auf die leichte Schulter nehmen? Er hat seinen Bruder hintergangen, der daraufhin ein Wrack war, und kann nicht zugeben, dass er deshalb ein schlechtes Gewissen hat.
„Es war also falsch, dass du ihn verlassen hast?", fragt er. Seine Augen blitzen zornig auf. Ich weiß, worauf diese Unterhaltung hinausläuft. Und ich kann es ihm nicht verübeln, dass er so denkt, aber er versteht mich in diesem Punkt etwas falsch.
„Nein, Will. Das meine ich doch gar nicht!"
„Ach und was dann?", fragt er. Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Er denkt, dass ich es als einen Fehler ansehen würde, Charlie verlassen zu haben. Aber so ist es nicht. Ich finde einfach nur, dass er es nicht verdient hat, so behandelt zu werden.
„Wenn du es als einen Fehler ansiehst, mit mir zusammen zu ein, dann sag es jetzt.", sagt er sauer.
„Nein!", rufe ich laut. „Mir ist es nur nicht so egal, wie es Charlie geht, wie dir.", schreie ich ihn an. Er starrt mich nur an. Sofort tut mir leid, was ich gesagt habe. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er völlig herzlos ist, was seine Familie angeht, aber ich weiß, dass er es nicht so meint. Er will nur die Vergangenheit ruhen lassen, während ich das einfach nicht schaffe.
„Er ist mir nicht egal.", sagt er nach einer Weile leise und sieht mir dabei in die Augen.
„Ich weiß.", sage ich. „Tut mir leid."
„Mir auch. Ich hab das nicht so gemeint vorhin."
„Ich weiß.", sage ich.
„Wie geht es ihm?", fragt er.
„Gut, denke ich. Zumindest hat er das gesagt."
„Das ist schön."
„Er hat eine Freundin.", sage ich dann.
„Wirklich?", fragt er überrascht. Ich nicke.
„Es geht ihm gut, keine Sorge.", sage ich. „Er sah glücklich aus." Er lächelt erleichtert. Mit dieser Information scheinen sich seine Sorgen endgültig in Luft aufgelöst zu haben.
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Verhängnisvolle Liebe (Charlie/Bill Weasly ff)
FanfictionEntscheidungen... Sie sind schwer und fordern viel Nachdenken. Man muss sich genau überlegen, welchen Weg man einschlägt, die Vor- und Nachteile abwiegen. Man muss sich bewusst sein, dass man manche Entscheidungen nicht mehr rückgängig machen kann...