„Ich...ich hab...dich angelogen.", sage ich. „Ich habe gesagt, ich würde dir alles erzählen, aber das habe ich nicht.", gestehe ich. Er antwortet gar nichts. Absolut keine Reaktion. „Bitte werde nicht sauer, wenn ich es dir sage."
„Du kannst mir alles sagen. Das weißt du doch.", sagt er nur. Seine Stimme klingt angespannt, als hätte er etwas Angst vor dem, was ich ihm sagen könnte.
„Es war vor etwa zwei Jahren.", fange ich an. „Kurz nach der Sache mit Will."
„Der Zauberer?", fragt er. Ich nicke.
„Er war gerade zwei Wochen weg, als ich es erfahren habe." Ich halte kurz inne, um mich zu beruhigen und die ungeliebten Bilder aus meinem Kopf zu verbannen. Charlie sagt nichts, sondern lockert nur den Griff um meine Mitte etwas. „Ich... ich war schwanger.", sage ich schließlich. Sofort spannen sich seine Armmuskeln an und ich spüre, wie er tief Luft holt, aber er schweigt noch immer. Nach einer gefühlten Ewigkeit regt er sich wieder.
„Wusste er es?", fragt er. Ich schüttele den Kopf.
„Und was ist mit dem Kind passiert?", fragt er weiter.
„Ich war im Krankenhaus und es war ein Notkaiserschnitt nötig. Ich war ganz alleine, niemand war da. Ich war so froh, als es endlich vorbei war, aber ich konnte das Kind nicht ansehen. Ich hatte sowieso vor, es zur Adoption freizugeben, aber die Ärzte sagten, ich solle es mir noch einmal überlegen. Aber dann habe ich das Baby gesehen und ich wusste, dass ich es nicht schaffe, ihn anzusehen."
„Wegen ihm?", fragt er. Ich weiß sofort, wen er mit „ihm" meint: Will. Er hat seinen Namen noch kein einziges Mal ausgesprochen und ich verstehe das. Wer redet denn schon gerne über den Ex der Freundin?
„Er sah aus wie Will. Die Augen, die Haare, die Gesichtsform, die Nase. Es war er. Und ich wusste, dass ich es nicht schaffe, ihn anzusehen ohne an Will zu denken und welchen Hass ich auf ihn hatte, als er fortgegangen ist. Ich hätte immer ihn gesehen und das konnte ich nicht. Ich wollte es weder mir noch dem Kleinen zumuten.", schließe ich meine Erzählung.
„Wie heißt er?", fragt Charlie. Verblüfft über die Frage brauche ich einen Moment um mir die Antwort auf diese simple Frage klar werden zu lassen. Ich dachte, er wäre sauer, dass ich ihm ein so wichtiges Detail meines Lebens verheimlicht hatte, oder vielleicht genervt, weil das Gesprächsthema mal wieder mein Ex ist. Aber mit diesem Interesse hätte ich nie gerechnet.
„Leon."
„Schöner Name."
Das war's. Kein „Warum hast du es mir nicht gesagt?", kein „Wie konntest du nur dein Kind weggeben?", kein „Du warst von ihm schwanger und hast nicht abgetrieben?", kein „Vertraust du mir etwa nicht?". Absolut gar kein Kommentar, das meine Entscheidung auch nur annähernd in Frage stellen würde.
„Ist das alles?", frage ich und löse mich aus seiner Umarmung. „Du bist nicht sauer, nicht verwirrt, nicht ..."
„Jetzt hältst du mal die Klappe, ok?", sagt er mit seiner angenehmen tiefen Stimme, die beruhigender auf mich wirkt als alles was ich kenne, und nimmt mein Gesicht vorsichtig in seine warmen Hände. „Das muss schrecklich gewesen sein, deinen Sohn wegzugeben. Und das tut mir Leid für dich. Aber ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Du träumst manchmal davon, oder?"
„Was?", frage ich überrascht.
„Manchmal, da redest du im Schlaf und weinst. Du beruhigst dich nur, wenn ich dich in den Arm nehme, aber wach kriege ich dich nie.", erklärt er. Fassungslos starre ich ihn an, während ein paar Tränen meine Augen verlassen und sich ihren Weg über meine Wangen bahnen. Er wischt sie weg und zieht mich zu sich. Erleichtert lege ich meinen Kopf an seine Brust und spüre, wie er mir über die Haare streicht.
„Ist gut", flüstert er, als ich aufschluchze.
„Ich sehe immer diese Bilder. Alles ist voller Blut. Überall. Ich kann an nichts mehr denken als an die Schmerzen in meinem ganzen Körper. Es war der schlimmste Tag meines Lebens. Immer wieder träume ich davon. Und ich kann es nicht unterdrücken.", sage ich. Er antwortet nichts, sondern streicht mir nur über den Kopf, und genau das brauche ich jetzt auch.
„Warum hast du mich nie danach gefragt?", frage ich schließlich, als ich mich beruhigt habe.
„Naja, ich dachte mir, du sagst es mir, wenn du bereit dazu bist. Mir war klar, dass dir was Schlimmes passiert ist. Da wollte ich dich nicht überfordern."
„Danke.", sage ich nur.
„Ich hätte eine Idee, wie ich dich auf andere Gedanken bringen könnte. Es sei denn, du willst einfach nur weinen.", sagt er.
„Das hab ich heute schon viel zu lange.", sage ich und versuche mich an einem Lächeln.
„Na gut.", sagt er und steht auf. Dann hält er mir seine Hand hin. „Komm, ich zeig dir was."
Die Überraschung stellt sich letztendlich der Gang auf unseren Balkon heraus. Zuerst fiel mir nichts auf, was daran so besonders sein sollte, aber als Charlie dann seinen Zauberstab herausholte und etwas sagte, das ich, wie so oft wenn er das macht, nicht verstehe, passiert etwas Atemberaubendes. Unser Balkon verändert sich. Um das rostige rot-braune Geländer legt sich eine schmale Schnur, aus der kleine Lichter zu wachsen scheinen. Sie sind unterschiedlich in ihrer Farbe und bald zieren das Geländer viele bunte Lichter.
„Wahnsinn.", sage ich. „Ich will das auch können."
„Das war noch nicht Alles.", sagt er und grinst geheimnisvoll. Fragend sehe ich ihn an. Wieder richtet er seinen Zauberstab nach vorne, doch dieses Mal auf den Himmel.
„Cloud trahit te, et ostendit in nocte caelum.", sagt er, dieses Mal laut und deutlich. Zuerst passiert gar nichts. Doch plötzlich weht mir ein heftiger Wind durch die Haare, sodass ich die Augen zusammenkneifen muss.
„Schau!", sagt Charlie und zeigt gen Himmel. Die Wolken bewegen sich jetzt schneller als zuvor und ziehen über das Haus des Daches davon. Zurück bleibt ein klarer Nachthimmel, von dem silberne Sterne herableuchten.
„Du schaffst es doch immer wieder dich selbst zu übertreffen.", lache ich und sehe mich nach ihm um. Er hat sich auf die schäbige Holztruhe gesetzt, die von einem blauen Polster bedeckt ist und beinahe die Hälfte des Balkons einnimmt. Er lächelt mich an und sieht mit seinen treuen braunen Augen in meine kühlen grünen, während er meine Hand in seine nimmt.
„Für dich würde ich sogar die Sterne herunterzaubern, wenn ich die Macht dazu hätte." Bevor ich überhaupt darüber nachgedacht habe, was ich sagen soll, setzen sich meine Beine von selbst in Bewegung. Ich setze mich auf seinen Schoß, lege meine Hände an sein Gesicht küsse ihn. Er schlingt die Arme um meine Taille und zieht mich so nahe zu sich, wie es überhaupt nur möglich ist. Und dann küsst er mich. Mit einer Intensität, die alles bisher Dagewesene übertrifft. Und trotz der Leidenschaft trägt er die gewohnte Ruhe und Gelassenheit in sich, die ich so liebe. In diesem Moment habe ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, angekommen zu sein. Ich will einfach nur diesen Moment genießen und ihn nicht mehr loslassen. Und ich kann mir im Moment auch nicht vorstellen, jemals ohne ihn zu sein.
Und plötzlich sehe ich die vielen Bilder von Charlie und mir. Alles, was wir gesagt haben, alles, was wir getan haben, alles was wir noch vorhaben. Ich dachte, es schon vergessen zu haben, aber ich kann mich an jeden einzelnen Moment unserer gemeinsamen Zeit erinnern. Die schönen und auch die weniger schönen. An jeden Kuss, jede Umarmung, jede gemeinsame Nacht. Und ich will mehr. Mehr als alles bisher. Und zwar so lange ich ihn festhalten kann. Solange will ich nur ihn.
Langsam werden die Küsse wieder ruhiger und sanfter, bis wir uns schließlich voneinander lösen und uns Stirn an Stirn in die Augen sehen. Ja, ich bin angekommen. In diesen Augen bin ich zuhause. In diesen Augen und in seinem Herzen, das schnell in seiner sich hebenden und senkenden Brust schlägt.
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Verhängnisvolle Liebe (Charlie/Bill Weasly ff)
Hayran KurguEntscheidungen... Sie sind schwer und fordern viel Nachdenken. Man muss sich genau überlegen, welchen Weg man einschlägt, die Vor- und Nachteile abwiegen. Man muss sich bewusst sein, dass man manche Entscheidungen nicht mehr rückgängig machen kann...