Kapitel 5 : Doctor

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♪♫♪ She knew it would finish before it began
Wow baby I think you lost the plan.
♪♫♪

-INXS „Suicide blonde"-

Ungläubig scanne ich wieder und wieder mit den Augen die Erlaubnis zum Fahren, die eigentlich aus Plastik sein müsste

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Ungläubig scanne ich wieder und wieder mit den Augen die Erlaubnis zum Fahren, die eigentlich aus Plastik sein müsste. Lizenz Nr. 666-2712, ausgestellt am 1. September 1975 in Perth, trotz ihres hohen Alters noch immer makellos wie am ersten Tag. Wie ihr Besitzer dieses Kunststück hinbekommen hat? Keine Ahnung, mit meinem eigenen Führerschein bin ich nicht so pfleglich umgegangen. Was war ich froh, als ich das zerfledderte rosa Etwas endlich gegen ein Exemplar aus Kunststoff umtauschen durfte. Vorbei die Zeiten, als selbst Eva über meine Schusseligkeit den Kopf geschüttelt hat, wenn mir mal wieder der Kaffee umgekippt und über meine Papiere gelaufen ist. Na, ist die liebe Nicky mal wieder mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden?

Deshalb habe ich ihm beim Umtausch auch nicht hinterher getrauert - ganz anders als mein neues Ich, das an diesem antiken Stück ja sehr zu hängen scheint. Komisch nur, dass antik nicht so ganz der passende Ausdruck für dieses Dokument ist, nachdem so nach und nach bei mir durchsickert, warum ich so aussehe, wie ich aussehe. So groß. Knapp einen halben Kopf größer, um genau zu sein. So trainiert. So... jung!

Wie erschlagen, lasse ich den Lappen fallen und werfe einen Blick auf meine linke Hand. Abgesehen von den gleichen Schnittwunden wie auf meiner rechten, weist sie weiter keine Narben auf. Eigentlich müsste da jetzt die Stelle zu sehen sein, an der man mir den Ringfinger nach meinem Unfall mit der Ankerwinde wieder angenäht hat und weshalb ich die Gitarre ganz an den Nagel gehängt habe. Komplizierte Riffs greifen? Das war einmal - zumindest seit diesem verdammten Bootsausflug im Januar, vor sieben Jahren. Jedenfalls dachte ich das, und als ich realisiere, wie mühelos sich alle fünf Finger dieser Hand bewegen lassen, fährt mir die Erkenntnis mit einer Wucht in den Magen, dass ich förmlich Sterne sehe.

Trotz dieses letzten Beweises, weigere ich mich immer noch zu glauben, dass ich mich im Jahr 2022 wohl schon längst nicht mehr befinde. In 2015 aber auch nicht, oder besser gesagt kurz davor, als ich noch heil und unversehrt war. Zum Nachrechnen, wo ich tatsächlich gelandet bin, komme ich leider nicht mehr, weil Dr. Flanders das Zimmer betritt, die lieben Verwandten im Schlepptau - meine Ehefrau und meine beiden Brüder, um genau zu sein. Fürs Patientengespräch.

Die Diagnose schildert Dr. Flanders in wenigen Sätzen: Trümmerbruch im rechten Ellenbogen, in Kombination mit einer Fraktur der Elle und einer angerissenen Speiche. Auch das rechte Schlüsselbein hat es erwischt. Zwar nicht ganz so schlimm wie meinen Arm, doch da Prellungen bekanntlich schmerzhafter sind als Brüche, werde ich während der kommenden Wochen noch richtig viel Spaß haben. Oh Mann, stöhne ich, wenn's erst mal läuft... Also gar nicht, zumindest nicht ohne Schmerzmittel, und die haben es in sich. Sechs Wochen lang darf ich mir die bunten Pillen einwerfen - sechs lange Wochen, in denen ich nicht schwer heben darf, auch nicht mein Leichtgewicht von einer Fender Stratocaster.

Not enough timeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt