Schönes Wetter für die nächsten Tage haben sie im Radio angekündigt, doch das ist alles nur eine Frage der Sichtweise. Wenn man unter schönem Wetter strahlenden Sonnenschein ohne auch nur das kleinste Wölkchen versteht und es einen überhaupt nicht kümmert, dass die Temperaturen bereits dabei sind, über das erträgliche Maß hinaus zu steigen, dann war die Vorhersage wohl eher für Touristen geeignet, zu denen ich jetzt ja wohl erst mal gehören werde.
Doch im Gegensatz zu den Scharen von Europäern und Amerikanern, die Jahr für Jahr unseren schönen Kontinent besuchen, hatte ich schon so oft das Vergnügen, in die mehr als heftigen Gewitter und Wolkenbrüche zu geraten, dass ich inzwischen gar nicht mehr zählen kann, wie häufig wir um ein Haar weggespült worden wären, ob mit oder ohne Bus.
Für die Optimisten unter all denen, die es für eine gute Idee halten, die Weihnachtsfeiertage in Down Under zu verbringen: Tut euch selbst einen Gefallen und verzichtet darauf. Sucht euch lieber eine Jahreszeit aus, in der ihr nicht von der Sonne gegrillt oder von unberechenbaren Wassermassen weggeschwemmt werdet; es sei denn, ihr steht auf Gewitter mit Tausenden von Blitzen, die eher an das Inferno der Hölle erinnern als an eine Lightshow von Pink Floyd oder Jean-Michel Jarre und seid nicht so vergesslich wie meine Fahrerin, die unsere gemeinsame Ballonfahrt kaum noch erwarten kann.
Mit so viel guter Laune am Morgen muss ich erst mal klarkommen.
Hat nicht schon mein Déjà-vu mit diesem Luxushobel in grabber green, wie diese Farbe offiziell heißt, gereicht? Jetzt sind wir darin nicht nur zu unserem nächsten Ziel unterwegs, sondern meine „beste Freundin" scheint zu denen zu gehören, die Reden für Gold halten. Und im Gegensatz zu mir hat sie ziemlichen Redebedarf. Ja, ja, ich weiß: Nur mit halbem Ohr zuzuhören, ist so ziemlich unhöflich. Aber es ist ja auch nicht Eva, die den Schock, im falschen Körper und in der falschen Zeit unterwegs zu sein, erst noch verdauen muss. Kein Wunder, dass mir da überhaupt nicht nach Smalltalk ist
„Hör mal, Nicky", durchbricht Evas Stimme das schon seit längerem in der Luft hängende Schweigen, „falls du immer noch sauer bist - das mit unserem Streit tut mir leid..."
Streit? Nach Smalltalk klingt das nicht. Eher nach einer Entschuldigungsarie. Da ich nicht den blassesten Dunst habe, um was es bei dem Streit ging, ziehe ich es vor, mich weiterhin einsilbig zu geben. Ist vielleicht nicht die dümmste Taktik. Denn was soll ich auch schon darauf antworten? Ein „ist schon gut" vielleicht? Oder „mir tut's auch leid"? So eine Antwort würde im ersten Moment zwar alles leichter machen, aber schlauer wäre ich danach auch nicht. Also warte ich weiter ab und fummele statt dessen an den Knöpfen des Radios herum, um einen vernünftigen Sender reinzubekommen.
„... ich weiß, ich hätte nicht so ausrasten dürfen. Aber gestern Abend, da sind bei mir einfach die Sicherungen durchgebrannt..."
Soll vorkommen, denke ich mir, und wenn dann noch ein Gewitter mit im Spiel ist... Denn so viel habe ich inzwischen mitbekommen: Die Damen hatten sich kräftig in der Wolle, doch als Gefahr drohte, war der völlig missglückte Versuch, sich zu amüsieren, plötzlich nebensächlich geworden - auch wenn die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, 1:200,000 beträgt. Doch da Eva dieses Schicksal nicht herausfordern wollte, handelte sie instinktiv. Ihre Freundin von der Straße und ins Auto zu zerren, war in dieser Situation daher nur eine Frage von Sekundenbruchteilen gewesen. Sonst wäre dies hier ihr letztes Weihnachten geworden.
Was sie aber nicht daran hindert, Nicky dafür jetzt die Leviten zu lesen.
„Aber jetzt mal Butter bei die Fische. Wer von uns beiden wollte denn unbedingt dem Winterblues entfliehen? Mal was erleben, das dich auf andere Gedanken bringt. Aber kaum sind wir angekommen, geht es mit dem Gejammer von vorne los. Ganz ehrlich, Nicky? Ja, es ist scheiße, dass du deinen Job verloren hast, und das nach dreißig Jahren, und es mit der Suche nach einem neuen schwierig werden könnte..."
Da muss ich ihr recht geben.
„... Aber hey! Erstens hast du eine Abfindung bekommen, von der andere nur träumen können. Und zweitens: Für wieviel Monate muss dir die Firma dein Gehalt weiter zahlen?"
Darauf kann ich ihr auch keine Antwort geben. Wie heiß es doch so schön: andere Länder, andere Sitten? Leider hilft diese Weisheit uns nicht weiter, wenn ich noch nicht mal weiß, wie bei mir zu Hause sowas geregelt wird. Bisher hatten meine Jungs und ich immer das Glück, bei 'nem anderen Label unterzukommen, auch wenn nicht immer der berühmte Topf voll Gold dabei war.
O Mann, wenn ich nur an die Zeiten denke, in denen wir nicht mal wusste, wie wir den Strom bezahlen sollten, den wir beim Üben in einer nach Öl stinkenden Garage verbraucht haben. Oder wir uns irgendwo im Outback irgendwas zusammengebrutzelt haben, weil die Kohle mal wieder nicht für ein anständiges Zimmer oder Essen im Pub gereicht hat.
„Aber das ist ja auch egal. Was passiert ist, lässt sich sowieso nicht mehr ändern..."
Auch damit liegt sie richtig.
„... dein dauerndes Selbstmitleid aber schon! Und dein ständiges Gefasel von wegen man müsste nochmal zwanzig sein oder meinetwegen zehn Jahre jünger oder älter... "
Ach du Scheiße, da bin ich ja in was reingeraten: eine Frau in der Midlife-Crisis. Irgendwann in der Mitte des Lebens erwischt es wohl offenbar jeden. Und ich Idiot hab immer gehofft, dass dieser Kelch an mir vorbeigeht. Blöd nur, dass ich grade selber richtig tief drinstecke, wenn auch anders, als Eva annimmt.
„... oder davon, dass du am liebsten mit irgendwem tauschen würdest, egal mit wem."
Wie bitte? Entgeistert bleibt meine Hand wie eingefroren am Radio kleben, denn mitten in das, was meine Fahrerin da gerade vom Stapel lässt, erklingt eine weibliche Stimme und bringt das Problem auf den Punkt.
♪♫♪ If I were a boy, even just for a day I'd roll outta bed in the mornin' and throw on what I wanted, then go ♪♫♪
Einmal zu tauschen, auch wenn's nur für einen Tag ist... Diese Bestätigung hätte nun wirklich nicht sein müssen, und trotzdem: Wenn das der Grund ist, weshalb ich hier feststecke, bin ich geliefert. Ich kann kaum glauben, was mir da gerade aus dem Soundsystem des Shelby entgegen schallt.
♪♫♪ Drink beer with the guys and chase after girls, I'd kick it with who I wanted
and I'd never get confronted for it 'cause they'd stick up for me ♪♫♪Das ist doch exakt das, was bei uns nach vielen unserer Gigs abgeht - jedenfalls immer dann, wenn ich mit meinem Best Buddy oder mit meinem jüngsten Bruder unterwegs bin. Oft ist nicht ganz klar, wer da wen anstachelt, aber bis jetzt ist doch immer alles gutgegangen. Meistens wenigstens.
Hey guys - das war Beyoncé mit ihrem Hit von 2008. Wir wünschen ihr viel Glück für die kommenden Grammys und schalten nun zurück zu Jessica Mauboy, unserer eigenen one and only Beyoncé.
Ach du Scheiße! Das war deutlich. Da habe ich wohl den Ton zu weit aufgedreht. Um wen es sich bei der zuletzt genannten Dame handelt, ist mir gerade mal so ziemlich egal. Bei dem Song von der für die Grammys Nominierten hat es nämlich blitzartig klick gemacht. Apropos Blitz... Sagt man nicht, dass der Blitz niemals zweimal hintereinander an derselben Stelle einschlägt?
Das mag ja für die Mehrheit zutreffen. Es ist halt nur blöd, wenn man selbst zu den Betroffenen zählt und vor dem ersten Einschlag gerade noch flüchten konnte, während der zweite eher symbolisch gemeint ist.
1240 Wörter.
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Not enough time
Bilim KurguOh, wie gerne würde ich mit dir tauschen... wie oft haben wir das schon gedacht, ohne es ernst zu meinen oder zu erwarten, dass sich dieser Wunsch erfüllt. Für Nicole Simon wird aber genau dieser Traum Wirklichkeit, ohne dass sie es gewollt hätte. ...