Kapitel 2 : Searching

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Erst dieses er und dann reden sie mich auch noch mir „Mr. Farriss" an. Ich höre ihre Worte, doch ich begreife nicht, was sie sagen. Selbst als die drei Weißkittel zur Tür raus sind, habe ich noch immer nicht verstanden, was hier gerade geschehen ist. Oder immer noch geschieht.

Statt dessen klammere ich mich immer noch an die Vorstellung, dass mir trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch irgendwo etwas in einen meiner Drinks gekippt wurde. Wie verzweifelt muss ich sein, dass ich mir aus reinem Selbstschutz einrede, unter schlimmen Halluzinationen zu leiden oder in einem bösen Traum festzustecken? Nur damit ich nicht durchdrehe? Ja, ganz bestimmt ist das so. Gleich wird Eva reinkommen und mich aufwecken. Dann werde ich mich erheben und mit meiner besten Freundin frisch und fröhlich zur Tür hinaus spazieren. Danach dann ab in den nächsten Pub und ein Glas auf unsere Versöhnung trinken.

Doch nichts passiert und während ich warte, macht sich ein dringendes Bedürfnis bemerkbar. Ein Ziehen im Unterleib, und der Druck nimmt mit jeder Minute, die ich warte, unaufhaltsam zu. Wenn ich nicht bald was dagegen unternehme, bekommen wir ein Malheur. Houston, wir haben ein Problem? Ich könnte jetzt nach einer Schwester klingeln oder aber selbst aktiv werden. Da kann Dr. Flanders noch so sehr betonen, dass ich absolute Ruhe bräuchte - bevor ich es so weit kommen lasse und am Ende in der Tinte sitze, lege ich doch selber Hand an.

Also ziehe ich mich ächzend mit der linken Hand am Bettgalgen hoch und brauche dazu zwei Anläufe. Mindestens genauso lange dauert es, bis ich die Beine aus dem Bett geschwungen und am Fenstersims Halt gefunden habe. Von dort hangele ich mich an den Wänden entlang bis zur Tür, wo ein grauer Frotteemantel vom Haken baumelt. Wer den dort aufgehängt hat, muss gewusst haben, dass ich die Klinik frühestens am nächsten Morgen verlassen werde.

Plötzlich schwindet meine Zuversicht, dass jemand „Alles nur geträumt" rufen wird. Im Gegenteil, mit einem Mal wird mir so richtig blümerant, und das liegt bestimmt nicht daran, dass die Wirkung des Narkosemittels nachlässt. Bitte, lieber Gott, lass dies alles bloß ein böser Traum sein, bete ich nicht zum ersten Mal still und leise vor mich hin. Als ob das helfen würde. Dabei weiß ich vermutlich längst, dass mit mir überhaupt nichts stimmt; dass ich nicht mehr dieselbe bin.

Ein kaum noch zu unterdrückender Drang lässt mich das Problem fürs erste beiseiteschieben. Mit letzter Kraft schleppe ich mich zur Kloschüssel, wo mir mit erschreckender Deutlichkeit klar wird, dass ich von nun an im Stehen pinkeln kann - doch der wahre Schrecken soll erst noch auf mich zukommen.

Das Ende ist nah: Mit diesem Satz wird in Endzeit-Thrillern die Apokalypse angekündigt - jetzt beherrscht er mein ganzes Denken und lässt mich innerlich zittern, bevor ich mich dazu durchringen kann, die Augen zu öffnen. Ob ich für den Blick in den Spiegel bereit bin, spielt keine Rolle, denn das, was mich erwartet, lässt sich doch ohnehin nicht mehr abwenden. Oder vielleicht doch? Ich atme ein letztes Mal tief durch und stelle mich dem Unvermeidlichen.

Das erste, was ich sehe, sind dunkelbraune Haare. Die Farbe stimmt schon mal, und auch der Nasenrücken weist die gleiche verräterische Röte auf, die man bekommt, wenn man zu lange der Sonne ausgesetzt war. So weit so gut. Vom Rest kann ich das jedoch leider nicht behaupten, denn anstatt der mir wohlbekannten Frau Anfang fünfzig mit frisch beim Friseur übertönten Haaransätzen blickt mir aus dem Spiegel ein Typ mit Zahnlücke entgegen. Und die Frisur erst... zuletzt habe ich so eine Vokuhila-Matte auf Bildern von Wolfgang Petry gesehen, bei Eva auf dem Smartphone. Komisch - dass dieser Haarschnitt am anderen Ende der Welt eines Tages wieder hip sein würde, muss mir irgendwie entgangen sein.

Vielleicht war ich aber auch zu sehr mit mir selbst beschäftigt, und am Ende hatte Eva womöglich sogar recht mit diesem Vorwurf, den sie mir zuletzt an den Kopf geknallt hat. Kurz bevor es im wahrsten Sinne des Wortes bei uns geknallt hat. Mich würde nicht wundern, wenn sie immer noch sauer wäre; was erklären würde, warum sie sich bisher noch nicht hat blicken lassen.

Aber was mache ich mir hier eigentlich vor. Das Gesicht im Spiegel kann wie der übrige Körper unmöglich zu mir gehören, und doch tut es das und kommt mir auf merkwürdige Weise bekannt vor. Viel zu bekannt - von alten Fotos. Wenn ich mich nicht irre, habe ich sogar noch das eine oder andere auf meinem Smartphone. Mein altes Galaxy - natürlich! Dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin... Manchmal ist man aber auch wie vernagelt!

Mir mit der linken Hand vor die Stirn zu schlagen, war keine gute Idee. Tiefe Kratzer am Handrücken, die niemand verbunden hat und die blau angelaufene Schwellung über dem linken Auge lassen mich aufjaulen. Schmerz, lass nach! Aber wenigstens bin ich jetzt hellwach und gehe dichter ran an den Spiegel, um mein neues Ich genauer zu betrachten.

Nein, nein, nein - das kann nicht sein. Das da bin doch niemals ich - denn dann müsste der da doch mindestens zehn Jahre älter sein als ich und nicht gerade mal dreißig. Was zum... Entschlossener denn je, steuere ich den Schrank an, in dem sich meine Sachen befinden, wenn ich nicht komplett falsch liege. Gegen das Wäschefach gelehnt, wühle ich mich mehr schlecht als recht mit einer Hand durch herabhängende Kleidungsstücke, von denen ich immer noch glaube, dass sie mir gehören. Wie man sich doch irren kann.

Statt über mein geliebtes Outfit aus Parka und Röhrenjeans gleiten meine Finger über Klamotten, die eher einem Mann von einem Meter siebenundsiebzig und durchschnittlicher Statur passen würden als einer Frau mit Kleidergröße 38/40. Auch mein so heiß ersehntes Smartphone fehlt. Dafür aber fällt mir beim Durchsuchen des Schranks ein Stück gestärktes Papier in die Finger, das sich beim Aufklappen als Führerschein entpuppt, ausgestellt von einer Behörde in Perth. Endlich! Ein Anhaltspunkt in Form eines offiziellen Dokuments. Doch das schaue ich mir besser im Sitzen an, da ich ahne, dass mir die Wahrheit im wahrsten Sinne die Füße wegreißen wird.

Mit zitternden Fingern öffne ich den zusammengefalteten Führerschein, und da steht es schwarz auf weiß. Inhaber der Lizenz Nr. 666-2712: Timothy William Farriss, geboren am 16. August 1957 in Perth, Western Australia.

 August 1957 in Perth, Western Australia

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1034 Wörter.

Not enough timeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt