20. Kapitel

6 0 0
                                    

Pov: Cho

Die letzte Woche war die verwirrendste meines gesamten Lebens.
Mit der Zeit begann ich die Sache mit meiner Mutter zu realisieren, das sie jetzt einfach weg war und auch nicht wieder kommen würde. Es war schade, denn wenn jemand ein langes sowie schönes Leben verdient hätte, dann wäre es meine Mama gewesen.

Aber man kann die Dinge nunmal nicht ändern und das Hinnehmen ist eine Sache für sich, schließlich wurde ich von dieser Frau groß gezogen und habe alles, was mich ausmacht, von ihr gelernt. Sie war nicht immer für mich da, wie Mütter es sollten, denn sie war keine klassische Mutter, das mochte ich an ihr.

Die ganze Sache mit dem ‚rosa Messer' ging mir auch nicht mehr aus dem Kopf, besonders der Fakt, das ich weder dem Polizisten, noch den netten Leuten, die mir später meine Sachen gebracht hatten, und nochmal über die ganze Sache ausfragten, nichts darüber erzählt hatte.

Wieso wusste ich selbst nicht, denn in irgendeiner Weise war es ein wichtiges Motiv des Täters und auf der Insel liefen ja sicherlich wenige Menschen mit farbigen Messern rum, oder?

Vielleicht schämte ich mich aber auch ein wenig dafür, weil es wie ein altes Krimi-Klischee klang, aus diesen schlecht synchronisierten schwarz-weiß Filmen, die Maik sich so gerne anschaute. Sie hatten Titel wie „Der See.", „Der Zug" oder „Die Nachbarn". Früher hatten wir beide uns an Halloween zusammen unter eine Decke gekuschelt und sowas geschaut, bis der Mond aufging und Maik heimgehen musste. Kein einziges Mal habe ich danach zugegeben, wie viel Angst ich vor diesen Filmen hatte.

Und wer hätte es anders erwartet, kam neben meinen Familien-Sorgen auch noch diese Geschichte mit Tao dazu, aus dem man nie schlau werden würde, ehrlich gesagt, gab ich das auf. Müsste ich ein Buch über diesen Jungen schreiben, würde ich ihn: „Laufendes Fragezeichen" taufen und wahrscheinlich hätte er überhaupt keine Stimme in meiner Welt.

Er war nämlich ein sehr körperlich bezogener Mensch, wie ich lernen durfte, der lieber seine Gestik, Mimik und Körpersprache nutze als tatsächlich zu reden. Manchmal war das ein wenig nervig, wenn man nicht wusste, was sein Gegenüber gerade dachte.

Angegriffen hatte er mich in den letzten Tagen natürlich nicht nochmal, dabei ging er Situationen, in der ich auf seine Freunde treffen könnte, aus dem Weg.

Er erklärte mir jede einzelne unausgesprochene Regel dieser Schule -die ich zugegeben schwachsinnig fand- und dann trennte er das Zusammenleben mit mir, mit jenem Leben, in dem er der Klassenkönig war und unschuldige auf dem Gang trat. Es war, wie als würde er sich zwei verschiedenen Persönlichkeiten hingeben, die nichts gemeinsam hatten.
In meiner Anwesenheit war er fürsorglich, kümmerte sich um mich -die Nase war zum Glück nicht wirklich gebrochen gewesen, aber für mich hatte es sich so angefühlt- und schenkte mir den Körperkontakt, von dem ich nie wusste, das ich ihn so dringend brauchte.

Dieser Tao war mir definitiv lieber als der, von einer selbstgefälligen Wand umgebenem, Angeber.

•••

Ich grummelte müde und wollte mich gerade umdrehen, als ich die Hand um meine Seite vernahm und mich kein bisschen bewegen konnte. Meine schwitzende Wange lag an nackter Haut, das spürte ich, und meine Haare wurden durch einen gleichmäßigen Atem hin und her gepustet.

Tao war wohl letzte Nacht hier eingeschlafen, begann ich zu realisieren. Das ist noch nie zuvor passiert und in mir machte sich eine Angst breit, das er sich danach nie wieder abends zu mir legen würde.

Die einst so ruhige Atmung wurde beständiger und ich konnte fühlen, wie seine Hand in meinen Nacken strich, mich leicht kraulte. „Morgen..", flüsterte Tao's frühe Stimme mir ins Ohr, rauer und dunkler als die Eigentliche.
Mich überfuhr eine Gänsehaut von dem Punkt, an dem er mich berührte, bis in meine Zehenspitzen hinein.
„M-morgen Tao..", nuschelte ich verlegen zurück, dann traute ich mich aufzuschauen.

Sein Körper lag leicht höher als meiner und die Haut, welche ich an der Wange fühlte, war seine nackte Brust, auf der eine schwarze Kette ruhte, die mir vorher nie aufgefallen war. Gold-braune Augen lagen ausdruckslos auf mir, was mich augenblicklich erröten ließ. Seine Haare waren zwar etwas verwuschelt, aber wahrscheinlich lange nicht so schlimm wie meine Eigenen.

„Weißt.. du noch was du gestern Abend zu mir gesagt hast?", fragte ich ihn dann sanft, obwohl ich wusste, das da wieder einmal Alkohol im Spiel gewesen war, als er sich zu mir gekuschelt hat und in mein Ohr säuselte, wie hübsch ich doch sei. Wie meine Haut so gebräunt matt und trotzdem glatt war, ob ich nicht vielleicht irgendein speziales Shampoo benutze, weil ich so gut riechen würde. Irgendwann hatte er sogar die Vermutung aufgestellt, meine Augen scheinen heller als der Mond und ich müsse deswegen ja von einem anderen Stern sein, nicht von der Erde, was eine seltsame Bemerkung gewesen wäre, wüsste ich nicht, das er voll war.

Leider war ich persönlich sehr anfällig für solche unernsten Komplimente, deswegen hakte ich nochmal nach.

Tao sah mich stumm an, vergrub dann aber verlegen seinen Kopf in meine Haare und versteckte somit die Röte in seinem Gesicht. „Ja..", lachte er verzweifelt. „Ahr.."
„Ist nicht schlimm!" Das war es wirklich nicht und er sollte sich nicht dafür schämen, deswegen versicherte ich ihm das gleich nochmal. „Mach dir keine Sorgen, ich sage es niemanden."

Einige Minuten blieb es still, Tao drückte sich weiterhin gegen mich und schaute mich dann wieder so an, wie er es vor ein paar Tagen in dem Nebengang getan hatte, wo wir uns zum ersten Mal küssten.
Bis heute blieb es auch bei diesem einem Kuss, welchen ich, wenn ich die Augen fest schloss, noch immer auf meinen Lippen spüren konnte.

„Cho..", hauchte er kaum hörbar, auf meiner Stirn machte sich der Atmen bemerkbar, den dieses Wort erforderte und durch die Art, wie er sprach, schieß mir die Hitze ins Gesicht, sprudelte in meinen Ohren.

„Ja..", versuchte ich es ihm nachzumachen, genauso leise und rau, doch mit meiner Stimme klang es eher, wie als wäre ich mies heiser.
Tao rutschte das Stück zu meinem Gesicht runter, strich über meine Wange und plötzlich trennten uns nur noch wenige Zentimeter voneinander.

„Ich wünschte du wärst ein Mädchen.."

Jap, das tat verdammt weh. Nur weil er von seinen Freunden nicht mehr ernst genommen werden würde, hätte er einen Jungen am start, schämte er sich jetzt für seine Gefühle mir gegenüber.

Es fiel mir nicht leicht, das muss ich zugeben, aber ich löste mich aus seinem Griff, setzte mich kerzengerade auf und blickte verächtlich auf ihn herab. Auch wenn ich es zwischendurch bezweifelte, ich wollte ihn jetzt nicht mehr küssen, nicht, wenn er sowas sagte.

„Ich wünschte du wärst ehrlich!", spuckte ich verletzt aus und lief schnurstracks aus dem Raum, einfach in meinem Schlafshirt über den Gang, welcher noch komplett leer war. Ungewöhnlich, kam mir in den Sinn, aber die anderen Probleme raubten ihm die Wichtigkeit.

Die Tür, aus der ich gekommen war, öffnete sich nur ganz kurz danach wieder und ich vernahm Schritte hinter mir, die ich deutlich zuordnen konnte.

Ich lief schneller, sie liefen schneller.

Gerade wollte ich um die Ecke biegen, da wurde ich zurück gezogen und seine stämmige Hand drückte meine Schulter gegen die billige Tapete. Er musterte mich, wie ein Schäfer sein ausgebrochenes Lämmchen betrachten würde, wie ein älterer Mann seine Frau ansah, die versuchte seiner Gewalt zu entfliehen und doch war da wie immer das Verletzliche, in dessen Deutung ich ganz gut geworden bin.

„Chowa, ich-„

Er kam nicht dazu etwas zu sagen, denn mich überkam die Wut, nicht genug für ihn zu sein, nur weil ich einen Penis unten dran hatte und klatschte ihm ordentlich eine.

Tao, der das gar nicht kommen sehen hatte, zuckte zurück, seine Wange färbte sich seltsam rosa und für einen Moment dachte ich, er würde gleich ausholen und mich totschlagen, doch dieser Blick legte sich wieder. „Okay, die habe ich wohl verdient. Sag mal, wenn du schon so kräftig zuhauen kannst, wieso tust es dann sonst nie?"

forever and beyond Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt