31.Innerer Kampf

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Allison

Schwer zu sagen, ob ich lebte.
Denn leben ist relativ.
Wenn die Tage vorbeiziehen, du dich nicht weiterentwickelst und das Leben nicht genießt, dann lebst du nicht. Nicht wirklich.
Du existierst nur.
Ich existiere nur.

Mit diesen Gedanken schleppte ich mich einen weiteren Morgen aus dem Bett. Ich war bereits seit 4 Tagen wieder in Hogwarts. Und ich dachte wirklich, dass ich hier wieder glücklicher werden könnte. Aber ganz im Gegenteil- ich hasste diesen Ort.
Ich hasste es hier zu sein.
Ich hasste es im Manor der Malfoys zu sein.
Ich hasste es irgendwo und nirgendwo zu sein.

Ich war in meinen Gedanken und in meinem Körper gefangen. Und das realisierte ich besonders nach Dumbledore's Tod.
Jeder hasste mich. Ich hasste jeden.
Ich befand mich in einer Spirale und wusste nicht wie ich da wieder herauskommen könnte.
Ich war innerlich leer.
Innerlich tot.

Und dazu kam das ständige Getratsche. Ich hörte es um mich- in den Gängen, im Gemeinschaftsraum, in den Klassenzimmern, in der Großen Halle.
„Grausam"
„Mörderin"
„Monster"
Ich fand keinen Halt mehr.
Wie ist es nur so weit gekommen?

Nachdem ich meine Tasche genommen hatte, war ich eigentlich bereit für den Unterricht. Doch ich blieb vor der Tür stehen um durchzuatmen. Danach trat ich erst aus dem Zimmer, welches ich mir immer noch mit Pansy teilte, heraus in den Gemeinschaftsraum der Slytherins. Es war relativ leer, da die meisten bereits beim Frühstück saßen. Ich würde erst zum Mittag wieder in die Große Halle gehen, denn ich mied sie so oft wie ich nur konnte.

Als ich bei meinem ersten Unterricht (Verwandlung) angekommen war, begrüßte mich Professor McGonagall knapp. Ich wusste, dass sie mich nicht mehr ausstehen konnte, aber wie sollte ich ihr das übel nehmen?

„Ich soll Ihnen von Professor Snape ausrichten, dass er Sie in der Mittagspause in seinem Büro erwartet.", wendete sie sich noch einmal zu mir.
Ich nickte.
„Danke für das Überbringen.", ich schlug mein Buch auf und nach und nach trödelten die anderen Schüler auch zu ihrer ersten Stunde des Tages ein.
Alles schien irgendwie doch wie immer, auch wenn es das definitiv nicht war.

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Nach meinen weiteren zwei Stunden Zauberkunst lief ich in den Kerker zum Büro von Severus Snape, bis mir auffiel, dass es dort nicht mehr war. Das hatte ich total vergessen.
Ich suchte stattdessen Dumbledore's altes Büro auf.

Angekommen versuchte ich es mit dem alten Passwort, welches natürlich nicht mehr funktionierte.
„Falsches Passwort.", vernahm ich.
Doch die Treppe erschien trotzdem und ich stieg auf eine Stufe, die mich direkt zur offenen Tür des Büros brachte.
Er saß am Schreibtisch.
Ich wollte hineinlaufen, doch plötzlich sah ich dieses Gemälde über seinem Schreibtisch hängen. Es zeigte Dumbledore, welcher gerade mit einer Frau aus einem anderen Gemälde sprach.

„Allison?", mein Professor schaute mich etwas irritiert an, bis ihm bewusst wurde, weshalb ich stehen geblieben war.
Er schaute zum Porträt und dann zurück zu mir.
„Du kannst ruhig hereinkommen, Allison.", versicherte er mir.
Ich wusste es, doch trotzdem trat ich ehrfürchtig in diesen Raum.
Aus Angst, dass er mich ansehen würde.

„Sie wollten mich sprechen?", ich kam direkt zum Punkt. Meine Stimme zitterte.
Mir kam es so vor, als hätte ich ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesprochen. Ich weiß nicht warum, aber mir war so, als hätten wir, seitdem ich ihn kannte, eine besondere Bindung aufgebaut. War das Einbildung?
Nein. Das konnte nicht sein.

„Setz dich doch.", seine Gesichtszüge wirkten weich. Weicher als sonst. Sollte mich das beunruhigen?
Ich meine, ich fand den Ausdruck auf seinem Gesicht eher beruhigend, aber der Grund dafür, war vielleicht unschön.
Menschen neigten dazu, freundlicher zu wirken, wenn irgendetwas Schlimmes passiert war oder es der Person, die vor ihnen stand, nicht gut ging-

Ich merkte, dass ich immer noch unbeholfen da stand, also setzte ich mich schnell.
Ich spürte den Blick von Dumbledore, der nun auf mir lag. Mir wurde schlecht.
Aber ich schaute das Porträt trotzdem an, weil ich dachte, dass ich etwas sagen müsste.
„Vielleicht sollten wir doch besser nach oben gehen."
Die Stimme meines Gegenübers riss mich aus meinen Gedanken.
Ohne darauf zu antworten, stand ich wieder auf und wartete, bis er sich ebenfalls erhob.
Es war besser. Definitiv.

Ich folgte ihm die Treppe hinauf. Es sah alles so anders aus. So, als hätte dieses Büro nie den Besitzer gewechselt.
Oben angekommen standen dort zwei Sessel, doch ich blieb lieber am Fenster stehen, also tat er es mir gleich.
„Wie geht es dir?", fragte er mich.
An sich eine normale Frage, wenn es andere Umstände gäbe.
„Ich dachte, es würde um den Unterricht gehen.", sagte ich bedacht.

„Auch. Du kamst nicht zu mir, um die Stunden für den privaten Unterricht zu erfragen, obwohl es dein Abschlussjahr und somit dein wichtigstes Schuljahr ist. Ich weiß, dass dir viel an deinen Noten lag, dein Zeugnis fast makellos war. Also schließe ich daraus, dass dein Abschluss in den Hintergrund gerückt ist oder es dir nicht gut geht. Ich vermutete Letzteres.", mit einer solchen Deduktion hatte ich nicht gerechnet.
Aber ich wusste nicht, ob es der erste oder zweite Grund war. Hingen sie beide nicht zusammen?

„Ich wollte nachfragen kommen, aber..", mir fiel einfach keine gute Ausrede ein.
Ich wollte Sie nach alledem nicht sehen?
Ich bin zur Zeit nicht auf meine Noten fokussiert, weil ich andere Dinge im Kopf habe?
Ich hatte keine Motivation dazu?
Alles ziemlich schlecht, wenn man mich fragt. Also beendete ich den Satz nicht. Ich fing anders an.
„Ich wollte nicht nachfragen kommen."

Er lief auf einen der grünen Sessel zu und forderte mich damit auf, ebenfalls Platz zu nehmen, auch wenn ich durch das Sitzen nur ungeduldiger wurde.
„Du wolltest nicht zu mir kommen, weil? Mir kam es so vor, als hätten wir ein gutes Verhältnis miteinander.", wir saßen wieder direkt gegenüber voneinander und seine Augen durchbohrten mich förmlich.
Er erwartete einen Grund.

„Haben wir. Es ist nicht persönlich. Nur irgendwie.. Sie haben seine Stelle. Sein Büro. Seinen Stuhl in der großen Halle.
Sie stehen dort, wo er stand..", ich atmete scharf aus.
Er erinnerte mich in seiner jetzigen Position an ihn. Auch wenn sie eigentlich total unterschiedliche Menschen sind.

Er nickte nachdenklich. Vielleicht verstand er mich.

„Ich weiß, dass es hart für dich sein muss. Aber vergiss nicht, weshalb du es getan hast, Allison. Nicht, weil du ein schlechter Mensch bist.", seine Worte sollten mich trösten, doch das taten sie nicht.
„Draco akzeptiert mich nicht mehr. Außerdem habe ich bereits zwei Menschen-", ich konnte es nicht sagen. Dabei ist es nur ein Wort:
umgebracht.

Ich schaute zu Boden.
„Sieh mich bitte an, Allison.", sagte er. Doch ich konnte nicht. Ich fühlte mich hundeelend.
„Deinen Pflegevater hast du umgebracht, weil du Angst vor ihm hattest. Angst, dass er dich töten könnte. Er war kein guter Mensch-"
Ich stimmte nicht zu.
„Ich bin auch kein guter Mensch. Indem ich ihn umgebracht habe, als er schon im Sterben lag, habe ich genau das bewiesen.", stoppte ich ihn.
Er konnte nicht sagen, dass er einer war, denn ich habe etwas Schlimmeres getan- ich habe gemordet. Und das ist das Schlimmste, was man machen kann.

Er stand auf und kniete sich vor mir hin, damit er in mein Gesicht sehen konnte.
„Allison. Sag das nicht. Deine Taten haben Gründe. Seine hatten das nicht. Das ist ein Unterschied.", ich merkte, wie Tränen meine Wangen hinunterrollten. Ich konnte sie nicht stoppen.
„Sieh mich an.", wiederholte er sich.
Doch wenn ich das jetzt täte, dann wäre ich verwundbarer, als er mich je zuvor gesehen hat.
Trotzdem hob ich den Kopf.
Was hatte ich noch zu verlieren?

Ich hatte bereits vorher gewusst, wie er mich ansehen würde. Doch dieser mitleidige Blick nahm mir jegliche Fassung. Ich wünschte, ich wäre nicht hier.
Nicht hier und würde nicht vor dem einzigen Menschen weinen, dem ich jemals vertraut habe.

Doch er tat etwas Unerwartetes.
Severus Snape nahm mich tatsächlich in den Arm.
Er strich beruhigend über meinen Rücken.
Und ich hinderte ihn nicht. Ich war zum einen zu verwirrt und fühlte mich gleichzeitig zu ausgelaugt um gegen ihn anzukämpfen.
Ich hatte meine makellose Maske, die ich noch vor wenigen Monaten perfektionierte, auf dem Weg bis hier hin verloren.
Und das vermutlich endgültig.

Severus Snape&Allison Malfoy- Die kalten HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt