40. Beautiful

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Deutschland, September 2012

„Vermisst du Harry manchmal?" wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Völlig in Gedanken versunken, stand ich an dem großen Waschbecken in der Küche meiner Eltern in Köln und bearbeitete die große Pfanne vom Frühstück. Wir sind für Marshalls Konzert in Frankfurt über das Wochenende nach Deutschland gekommen. Erst hatte ich nicht mitgewollt, weil ich den Aufwand für drei Tage mit den Kindern viel zu groß fand. Aber mit dem Versprechen meine Eltern zu sehen, hatte Marshall dann doch gewonnen. Auch nach so vielen Jahren war das Reisen im Privatjet für mich noch immer komisch. Während die Kinder sich mit ihren Pyjamas und Kuscheldecken sehr wohlfühlten, hatte ich Sorge, dass wir auch ja nichts dreckig machen würden, bis Marshall mich daran erinnerte, dass der Flieger ihm gehörte. „Let them be!", hatte er versucht mich zu beruhigen und sich neben Jona fallen lassen, „It's like a car, just bigger and it flys!" Ich hatte meine Augen verdreht und ihn ungläubig angeschaut „And 100 times the price!"

„Mom?", hörte ich Alainas Stimme und drehte mich zu ihr um. Sie saß an der großen Kücheninsel und hatte einen kleinen Bilderrahmen in der Hand. Ich umrandete die Kücheninsel und kam auf sie zu um zu sehen, was auf dem Foto war. Es war ein Bild von Harry und mir, als wir uns gerade kennengelernt hatten, es war im Sommer in London im Garten seines Apartments aufgenommen worden. Ich trug ein kurzes blaues Kleid und war barfuß, neben mir stand Harry in einem Arsenal Trikot und kurzen Shorts, er hatte seinen Arm um meine Schultern gelegt sah zu mir runter. Ich nahm ihr das Bild aus der Hand und lächelte „Das war 1997!" Alaina strich mit ihren Finger über das Bild. „Du bist so jung!", flüstert sie und schaut wieder auf das Foto. Ich lächelte sie an und nickte „Ich war da so alt wie du jetzt!" Alaina legte ihren Kopf schief, „Wusstest du da schon, dass du ihn mal heiraten würdest?" fragte sie mich und legte den Kopf schief. Ich schüttelte den Kopf und wusste nicht so recht wo diese Unterhaltung hinführen würde. Alaina hatte seit drei Jahren den gleichen Freund einen sehr netten Jungen – Matt. Aber ich war mir sehr sicher, dass keiner der beiden schon bereit war zu heiraten und weder Marshall noch ich waren dafür bereit unsere Größte los zu lassen. Also versuchte ich meine Worte weise zu wählen. „Nein, dafür war ich noch viel zu jung." Ich legte das Foto zur Seite und sah sie aufmerksam an. „Hast du noch mehr Fotos?", fragte sie mich und ich nickte. Eine halbe Stunde später saßen Alaina und ich zusammen auf der Couch im Wohnzimmer und blätterte durch dicke Fotoalben. Alben von meiner Zeit in London vor Harry und auch danach. Ich zeigte ihr Bilder von meiner Studentenwohnung und meinen Freundinnen mit denen ich zusammen Deutschunterricht in einem kleinen Spracheninstitut in Paddington gegeben hatte. „Wieso bist du fürs College so weit weg gegangen?", wollte Alaina wissen und blätterte zurück auf die Seite, die mich mit einem großen Koffer vor einem alten Wohnhaus in London zeigte. "Ich wollte die Sprache lernen und mehr von der Welt sehen!" Alaina nickte und blätterte weiter. „Wie hast du Harry kennen gelernt?", fragte sie mich und deutete auf ein Bild, das Harry, mich und ein paar Freunde in einem Pub zeigte. Wir alle hatten glühende Wangen und grinsten über das ganze Gesicht. „Ich war mit meinen Mitbewohnern feiern und dann hat er mir einen Drink ausgegeben. Ich hab ihn erst gar nicht erkannt und dann haben wir Nummer ausgetauscht. Damals hatte ich noch kein Handy. Er hat mich auf dem Haustelefon angerufen." Alaina sah mich überrascht an, „Ja so einfach war das früher gar nicht!" Ich strich ihr die langen braunen Haare aus dem Gesicht, während sie weiter durch das Fotoalbum blätterte. So intensiv hatte ich noch mit keinem unserer Kinder über Harry gesprochen. Er war ein ständiger Begleiter in unserem Haus und Jona, Alex und Torrie hatte jeder ein Foto von ihm in ihrem Zimmer. Aber er wurde nicht jeden Tag zur Sprache gebracht. Die Kinder wussten von Harry und wenn sie etwas wissen wollten erzählte ich von ihm. Es war nicht komisch, dass ihr Vater jemand anderes war als ihr Dad. Für unsere buntgemischte Familie war das nichts Besonderes. Die großen Mädchen hatten noch eine andere Mom und Alaina hatte sogar zwei. Und die Mittleren hatten eben noch einen anderen Vater. Alle Kinder hatten dies als völlig normal akzeptiert. Einfach weil sie es nicht anders kannten. Whitney machte keinen Unterschied zwischen Jona, Hailie oder Matt. Das alles waren ihre Geschwister, egal in welcher Konstellation. Vielleicht war es für die Kinder aber auch so einfach, weil Marshall und ich nie eine große Sache aus unserer Familienkonstellation gemacht hatten. Wir waren eine Familie, wir liebten uns und wie wir zu einer Familie geworden waren spielte keine Rolle, weil wir uns alle liebten und zusammen gehörten. „Warum habt ihr so früh geheiratet?", hallte Alainas Stimme jetzt an mein Ohr. Sie war auf der Seite mit Harrys und meinem offiziellen Verlobungsbild angekommen. Zusammen standen Harry und ich im Drwaing Room vom Buckingham Palast. Harry trug einen dunkelblauen Anzug und eine hellblaue Krawatte passend zu meinem knielangen Kleid mit ausgestelltem Rock. „You look so pretty!", sagte Alaina und rutschte zurück ins Englisch. Ihre Finger strichen über meine langen blonden Haare, die über meine Schultern flossen. Ich lächelte und nickte, „Das war ein sehr schöner Tag"", bestätigte ich und ließ meinen Blick auf meinen großen Verlobungsring fallen. „Hast du ihn noch?", fragte Alaina und deutete auf den Ring. „Ja, vielleicht möchten Jona und Alex ihn mal benutzen!" Alaina lächelte mich an und ich schlang meine Arme um sie. „Wieso habt ihr so früh geheiratet? Du warst so jung!" wollte Alaina wissen erneut wissen, sie schien nicht los zu lassen, aber ich zuckte mit den Schultern. „Es hat sich richtig angefühlt und die Presse war schrecklich. Ich konnte nirgendwo mehr hingehen und nach unserer Verlobung konnte Harry endlich Security für mich beantragen, das hat vieles besser gemacht.", erinnerte ich mich und biss mir auf die Lippen „Diese Zeit war für mich sehr schlimm. Ich hatte ständig Angst und habe mich sehr alleine gelassen gefühlt. Ich war mit der gesamten Situation sehr überfordert und wusste nicht was von mir verlangt wurde oder was ich machen sollte! Das hat dein Dad schon besser gemacht, ich bin froh, dass er unbedingt in Michigan bleiben wollte. Zuhause ist es viel ruhiger und wir können relativ normal leben!" Ich legte das Fotoalbum zur Seite und zog Alaina noch näher an mich ran. Zu meiner Überraschung ließ sie die Nähe zu und lehnte sich an mich. Es war nicht mehr oft, dass sie sich mit neunzehn von mir überhaupt umarmen ließ, jetzt mit ihr in meinem Arm zu liegen sog ich auf. Alaina war die Älteste und hatte von all ihren Geschwistern am meisten mitbekommen. Egal ob es um Marshalls und meine Beziehung, seine Drogenprobleme, meine Fehlgeburten oder Kims zahlreiche Ausrutscher ging – immer hatte Lainey am meisten mit bekommen. Alaina war schon acht gewesen als ich sie kennen gelernt habe und zwölf als Marshall und ich zusammengekommen sind. Manchmal fühlte es sich an, als wenn uns diese Jahre gestohlen wurden. Jedoch wären wir sonst nie zu einer Familie geworden. Alles passierte aus einem bestimmten Grund. „I love you so much baby!", flüsterte ich in ihre Haare und spürte wie sie ihre Finger in meine Seite grub. „Warst du sehr traurig als er gestorben ist?", durchbrach Alainas Stimme nach einer Zeit die Stille. Noch immer hielt ich sie im Arm und strich immer wieder über ihren Oberarm. Ich nickte bevor ich realisierte, dass sie mich nicht sehen konnte. „Ja, ich habe gedacht mein Leben wäre vorbei und wusste nicht mehr wie ich weiter machen sollte. Wenn Alex und Jona nicht da gewesen wären, wäre ich ganz bestimmt morgens nicht mehr aufgestanden." Kurz hörte ich auf zu sprechen und Alaina setzte sich auf. „Dein Dad hat mir während dieser Zeit sehr geholfen. Er war meine unverhoffte Rettungsleine. Ein Freund, dem ich alles erzählen konnte und mir sicher war, dass er nie auch nur ein Wort über das verlieren würde was ich ihm erzählte. Wir haben viele Abende und ganze Nächte lang telefoniert. Durch die Zeitverschiebung war er immer noch wach, auch wenn alle anderen schon längst am Schlafen waren!", erinnerte ich mich lächelte. „Lief da was?", fragte Alaina und sah mich aufmerksam an, geschockt schüttelte ich den Kopf „ Nein nie. Wir waren wirklich nur Freunde alles andere kam später." Alaina nickte und biss auf die Unterlippe. „Baby was ist wirklich los?", fragte ich sie. Alaina senkte den Kopf und ich sah wie einzelne Tränen langsam auf ihre gefalteten Hände fielen. „Wenn sie nicht aufhört Drogen zu nehmen bringt sie sich um!" schluchzte Alaina und es dauerte einen Moment bis ich realisierte um was es ging. Dawn. Alainas leibliche Mutter. Dawn war Kims Zwillingsschwester und Marshall und Kim hatten sie kurz nach ihrer Geburt adoptiert. Während Kim sich mittlerweile erholte, konnte Dawn die Finger nicht von den Drogen lassen und lebte mittlerweile in einem Trailerpark in Detroit zusammen mit einem Freund der auch gleichzeitig ihr Dealer war. Nachdem Dawn auch aus der siebten Rehaklinik abgehauen war, hatten Marshall und Kim zusammen mit Alaina beschlossen den Kontakt zu Dawn abzubrechen. „Oh Baby!", sagte ich und zog Alaina wieder an mich. Alaina weinte an meiner Schulte und hielt sie ganz fest an mich gedrückt. Sie schien sich gar nicht mehr beruhigen zu können, also ließ ich sie einfach weinen. Ich wiegte sie immer wieder hin und her, während sie ihre Arme um mich geschlungen hatte und in meine Armbeuge weinte.

„What's going on?", drang Marshalls Stimme an mein Ohr. Ich war so auf Alaina fixiert gewesen, dass ich ihn gar nicht bemerkt hatte. 

Second Chances (Eminem Story)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt