•Kapitel 10•

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Die Hand mit der Weintraube blieb vor mir in der Luft stehen und ich sah ihn fragend an.

"Wir brauchen alle Infos die wir kriegen können um deine Mutter da raus zu holen, du bist die beste Quelle." Versuchte er zu erklären und sah mich abwartend an.

Ich nickte langsam, während sämtliche Zahnräder in meinem Kopf zu rattern begannen.

Er wollte sie retten. Warum half er mir, was hatte er davon? Verfolgte er einen Plan mit mir oder war er einfach nur nett?

"Das letzte Mal hab ich sie auf einem Video gesehen." Begann ich schließlich und unwillkürlich kehrten auch die Bilder dieses Tages in meinen Kopf zurück.

"Sie muss irgendwo in eingesperrt gewesen sein, denn sie war auch gefesselt. Man hat leider nicht viel erkannt, sonst wüsste ich mehr."

Ich raufte mir mit einer Hand die Haare, mit der anderen legte ich die Weintraube auf den Tisch, die ich immernoch in der Hand hielt.

Warum hatte ich nicht mehr erfahren, dann wäre ich jetzt etwas nützlicher, anstatt nur ungenaue Angaben geben zu können.

Ich spürte eine Hand auf meinem Knie und sah auf. Silvan hatte sich vorgebeugt und sah mich eindringlich an.

"Es ist nicht deine Schuld, bitte mach dich deswegen nicht fertig. Wir holen sie da raus, genauso wie dich." Er versuchte mich ein wenig aufzubauen, doch seine Worten hatten kaum einen Effekt.

Zwar hatte er die bedrohliche Aura eines Alphas abgelegt und versuchte so wenig wie möglich seiner eigenen Anspannung zu übertragen, doch es trug trotzdem kaum zu meiner Entspannung bei.

Die schlimmsten Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab und ich versank beinah ganz in meiner düsteren Gedankenwelt.

"Mein Vater hat sie vielleicht schon längst getötet." Gab ich nach einer Weile tonlos von mir, während Bilder von getrocknetem Blut und Folterkammern an meinem inneren Auge vorbei flogen.

Einmal hatte ich mich als Kind in unsere Kerker geschlichen und es sofort bereut. Zum einen hatte mein Vater mich beim Schnüffeln erwischt und mich deshalb fast bewusstlos geschlagen, zum anderen verfolgten mich die Erinnerungen an diesen schrecklichen Ort heute noch manchmal in meinen Träumen.

"Davon gehen wir aber nicht aus." Erwiderte Silvan entschlossen und drang damit wieder in mein Bewusstsein vor. "Er hat kaum einen Nutzen davon, außerdem ist sie ein Druckmittel gegen dich."

"Aber ich bin jetzt verschwunden und keiner weiß wohin." Wandte ich ein und stützte den Kolf erneut in die Hände.

"Jenkins ist wahrscheinlich am ausrasten weil ich noch nicht angekommen bin und mein Vater denkt dass ich geflohen bin." Nuschelte ich verzweifelt in meine Hände und ignorierte dabei die braunen Haarsträhnen, welche nach vorne fielen und mein ohnehin nicht sichtbares Gesicht verdeckten.

"Das ist die andere Sache, die es zu besprechen gibt. Ich nehme dich in mein Rudel auf."

Ich erstarrte kurz und sah ihn dann entgeistert an. "Was!?"

"Silvan schien nach den richtigen Worten zu suchen, bevor er zu einer Erklärung ansetzte: "Okay, ich erkläre dir kurz unseren Plan:

Morgen früh werde ich dich in mein Rudel aufnehmen, wodurch du für dein altes Rudel vom Radar verschwindest.

Dein Vater hat dich nicht verbannt, wozu nur er als Alpha in der Lage ist, weshalb du entweder in ein anderes Rudel aufgenommen wurdest oder tot bist. Letzteres ist wahrscheinlicher.

Kurz davor setzte ich Jenkins davon in Kenntnis dass ich eines seiner Autos verunfallt auf meinem Gebiet vorgefunden habe und gebe dabei dem Angriff der Rouges die Schuld.

Dein Vater und er werden sich absprechen und zu dem Schluss kommen dass du tot bist, da ich dich mit keinem Wort erwähne und niemand von den beiden Kontakt zu dir hat. Wahrscheinlich werden sie denken dass du den Rudellosen verwundet entkommen und später gestorben bist.

Das zieht auch meinen Kopf für's Erste aus der Schlinge, da ich sie nicht wirklich anlüge."

Ich hörte dem Ganzen mit einem mulmigen Gefühl zu und war mir unsicher was ich davon halten sollte.

Ich wäre unglaublich erleichtert meinen Vater und Alpha Jenkins los zu sein, doch mir war auch bewusst dass ich auf diese Weise abhängig von Silvan wäre.

Dieser hatte mich während seines Berichts aufmerksam beobachtet und schien mir jetzt ein wenig Zeit geben zu wollen um das Gesagte zu verdauen.

"Wie soll das meiner Mutter helfen?" Fragte ich schließlich und beschloss meine innere Unruhe für den Moment zu ignorieren.

"Ich hab bereits heute Abend eine kleine Gruppe meiner Krieger auf den Weg zu Alpha Delaney's Revier geschickt um die Umgebung auszukundschaften und sich für eine schnelle Befreiung bereit zu machen.

In besten Fall können sie die Chaos-Phase kurz nach deinem offiziellen Verschwinden nutzen." Antwortete Silvan ruhig, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.

Ziemlich überfordert atmete ich aus und raufte mir zum dritten mal an diesem Abend die Haare.

Das war ein Haufen an Infos und insgeheim bewunderte ich die Durchdachtheit dieses Plans sogar ein wenig, auch wenn er furchtbar riskant war und nur auf Spekulationen beruhte.

Wie einfach er es dargelegt hatte, als ob es nichts weiter wäre in ein fremdes Gebiet einzudringen und jemanden daraus zu entführen.

"Ha! Ich wusste dass unser Mate perfekt ist!" Triumphierte Nova natürlich prompt.

"Er ist noch lange nicht perfekt, niemand ist das. Auch wenn sein Plan vielleicht funktioniert."

"Sei nicht so pessimistisch, Novemeber. Ein bisschen Hoffnung darf man haben und unser Mate bietet da großes Potenzial."

Ich ließ mir ihre Worte ein wenig durch den Kopf gehen und musste feststellen dass sie nicht ganz Unrecht hatte.

Auch wenn Silvan bisher ziemlich viele Stimmungschankungen mir gegenüber gehabt hatte, war diese Situation eine Verbesserung. Und auch die Tatsache dass er mir ohne zu Zögern helfen wollte war einfach zu schön um wahr zu sein.

Ich wollte gerade wieder zum sprechen ansetzen, als Silvan das Wort wieder ergriff und noch etwas ergänzte:

"Natürlich wird unser Eingriff nicht ohne Folgen bleiben. Bevor du fragst, auch darüber hab ich mich schon mit Henyo und auch Soley unterhalten, da haben wir die selben Ansichten."

"Henyo?" Fragte ich aus Reflex, da mir dieser Name bisher unbekannt war.

"Mein Beta."

Ich nickte nur und starrte nachdenklich vor mir auf den Tisch. Dort lag noch immer die Weintraube, weshalb ich nach kurzem Zögern wieder danach griff und sie mir in den Mund schob.

Ein lautes Poltern ließ mich und mein Gegenüber zusammen zucken, fast so als ob jemand mit voller Wucht gegen die Eingangstür gelaufen wäre.

Ich konnte nicht mal richtig blinzeln so schnell war Silvan aufgesprungen und hatte sich lautlos zur Tür bewegt.

"Bleib wo du bist und lass niemanden hier rein außer mir!" Rief er mir noch zu bevor er aus dem Zimmer verschwand.

Ich hörte wie er die Tür von außen absperrte und kurz darauf wurde etwas Blitzendes unter der Tür durchgeschoben.

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