Ruhe. Ruhe und Ordnung. Das war es, was Mya jetzt brauchte. Sie saß wie versteinert auf ihrem Bett und starrte auf den kleinen Zettel in ihrer Hand. Ihr ursprünglicher Drang, sofort die anderen informieren, hatte sich in der Sorge aufgelöst, zu aufgedreht zu sein, um klare Zusammenhänge herzustellen. Das Risiko war viel zu hoch, dabei vor lauter Aufregung die Hälfte zu übersehen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
Angenommen ihre Theorie stellte sich als richtig heraus und 04 stand für eine Zimmernummer, wie brachte sie das weiter? Mya atmete tief ein. Ganz ruhig, du hast Zeit, sagte sie sich in Gedanken. Jake war seit Tagen weg; auf ein paar Minuten, in denen sie nicht aktiv nach ihm suchte, kam es also jetzt auch nicht mehr an.
Sie versuchte, die vielen hundert Fragen in ihrem Kopf beiseite zu schieben, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Vielleicht würden sich damit einige dieser Fragen irgendwann von selbst beantworten. Wenn 04 für eine Zimmernummer stand, dann höchstwahrscheinlich für jenes Zimmer, das Jake zuletzt bewohnt hatte. Sie dachte zurück. Er hatte ihr erzählt, dass er nach seiner Flucht in einem eher einfachen Motel untergekommen war, und wusste seit der Nacht von Hannahs Rettung, dass er sich dabei nicht weit von Duskwood aufgehalten hatte. Hatte er womöglich sogar das Motel von Miss Walters gemeint? Immerhin war seine Antwort auf die Frage, ob er sich in Duskwood aufhielt, eher ausweichend ausgefallen. Außerdem hatte Jake ihr gesagt, dass sich gegenüber seines Motels ein chinesisches Restaurant befand, bei dessen Anblick er an sie denken musste. Was aber, wenn er zwischendurch in ein anderes Motel gezogen war? Das war zwar nicht auszuschließen, aber es könnte auch sein, dass Mya Glück hatte und sie mit diesen drei Informationen, die die Auswahl an Motels sicherlich stark eingrenzte, seinen letzten Standort herausfinden könnte.
Bäuchlings ließ Mya sich mit dem Handy in der Hand aufs Bett fallen, um diese Überlegungen mit den anderen zu teilen.Okay, das Pferd von hinten aufzuzäumen war in diesem Falle nicht besonders zielführend. Sie ermahnte sich, ruhig zu bleiben und ihre Gedanken in einer ordentlichen Reihenfolge zu äußern, um nicht noch mehr Verwirrung zu verursachen.
Abermals begann Myas Herz in ihrer Brust zu rasen, doch diesmal hatte es einen anderen Grund.
Ein unwillkürliches Lächeln trat in ihr Gesicht, als sie daran dachte, wie verlegen Jake geworden war, als er sie indirekt zum Essen eingeladen und ihr gestanden hatte, oft an sie zu denken und sich solche Situationen vorzustellen. Sofort spürte sie, wie ihre Wangen bei der Erinnerung an dieses Gespräch aus Aufregung und auch vor ein wenig Scham über ihre Antwort heiß wurden. Auch sie hatte ihm nämlich gestanden, sich hin und wieder vorzustellen, wie es wäre, ihn zu treffen, und hatte ihm auf Nachfrage sogar einige dieser Vorstellungen geschildert. Dass seine Augen ihr vertraut sein würden. Wie sie sich küssten... Sie hatte sich komisch dabei gefühlt, es ihm so offen darzulegen, doch bereut hatte sie es nie. Auch jetzt nicht.
Myas Augen schweiften über Jessys Frage. Wieso also lügen? Sie musste es ihr ja nicht unter die Nase reiben, aber es gab keinen Grund, den Tatsachen aus dem Weg zu gehen. Lilly wusste allemal im Großen und Ganzen darüber Bescheid, schließlich hatte sie Mya vor einiger Zeit ganz direkt danach gefragt.
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Duskwood - Jäger und Gejagte
FanfictionNach Richys Geständnis und Hannahs Befreiung bemühen sich Mya und ihre Freunde aus Duskwood darum, in ihren Alltag zurückzukehren, doch das gestaltet sich als schier unmöglich. Zudem quält Mya die Frage, was aus Jake wurde, der seit jener Nacht spur...