„Natürlich können wir auf die beiden aufpassen, Mya. Das ist überhaupt kein Problem", meinte Rosi lächelnd. Mya stand vor ihrer Tür und obwohl sie sich Mühe gegeben hatte, unter Make-Up und Winged Eyeliner ihre Müdigkeit zu verbergen, sah sie wohl noch immer mitgenommen genug aus, um Rosi Sorgen zu machen. Man konnte es der Dame ansehen.
„Sie retten mir damit das Leben", antwortete sie ihr lächelnd. „Ich weiß nur nicht, wie lange ich weg sein werde."
„Das macht gar nichts, Mya. Wenn Ihr Freund in einer Notlage steckt, sollten Sie unbedingt zu ihm." Das war es nämlich, wie sie Rosi die Situation zusammengefasst hatte. Ihr Lächeln beruhigte Mya ein wenig. „Allerdings sind Jeffrey und ich in zehn Tagen zu unserer Tochter eingeladen, um ein Wochenende mit ihr und unseren Enkeln zu verbringen."
Mya nickte hektisch, schüttelte dann den Kopf und nickte anschließend wieder. Seit sie in der Früh aufgestanden war, war sie völlig überdreht. „Ich werde bis dahin wieder zurück sein. Wenn nicht, werde ich euch rechtzeitig anrufen und eine Alternative organisieren, versprochen."
„Dann wünsche ich Ihnen eine gute Reise. Die Ersatzschlüssel zu Ihrer Wohnung haben wir ja noch."
„Tausend Dank, Rosi. Sie wissen nicht, wie sehr Sie mir damit helfen. Ich werde mich revanchieren, sobald ich zurück bin." Mya hätte sich fast vor der älteren Dame verbeugt, doch die legte ihr nur vorsichtig eine Hand auf die Schulter.
„Machen Sie sich keine Gedanken", winkte sie ab, „wir machen das doch gerne. Sagen Sie, sind alle Sachen für die Katzen immer noch da, wo sie vorher waren?"
„Ja, alles unverändert. Ich werde heute noch einen Vorrat einkaufen", erklärte Mya. „Ach, und sollten die beiden abends nicht rechtzeitig nach Hause kommen, können sie auch eine Nacht draußen verbringen."
„Wir werden gut auf die beiden aufpassen."
„Ich hinterlasse Ihnen auf dem Wohnzimmertisch noch eine Telefonliste mit Notfallkontakten, für den Fall der Fälle."
„Mya, machen Sie sich doch nicht so viele Gedanken. Sie sollten sich lieber um Ihren Freund kümmern", meinte Rosi unter dem noch immer deutlich besorgten Lächeln.
„Ja, das... Das sollte ich. Ich sage Ihnen morgen noch Bescheid, bevor ich losfahre", murmelte Mya nickend.
Damit verabschiedete sie sich von ihr und kehrte in ihre Wohnung zurück. Rosi und Jeff hatten in der Vergangenheit schon mehrfach auf Romeo und Lola aufgepasst, während Mya ihre Familie besucht hatte, aber sie war auch nicht so nervös, weil sie sich Sorgen um die Zuverlässigkeit ihrer Nachbarn machte. Es lag eher daran, dass nichts so lief, wie es sollte. Natürlich war ihr Auto noch nicht einsatzbereit und die Werkstatt bezweifelte, dass die für die Reparatur benötigten Teile im Laufe des Tages noch geliefert würden, sodass Mya auf ihr Motorrad angewiesen war – was an sich kein Problem wäre, würde der Wetterbericht für morgen nicht nur in Shefford, sondern auch in Duskwood Dauerregen melden. Als würde das nicht reichen, war das Motel in Duskwood aus ihr unerfindlichen Gründen für die kommenden Tage ausgebucht. Nun, es war kein besonders großes Motel, aber wieso buchten so viele Leute in einem kleinen Ort wie diesem ein Zimmer? Mya glaubte, dass die Ereignisse, durch die der Ort derzeit in den Medien repräsentiert wurde, einen Haufen sensationsgeiler Abenteuertouristen angelockt hatte, die mehr über Hannahs und Amys Schicksal und die Nummer mit dem Mann ohne Gesicht erfahren wollten. Sie war also gezwungen, auf ein kleines Hotel in einem Nachbarort von Duskwood auszuweichen, von dem sie bis zur Stadtgrenze etwa eine zehnminütige Fahrt haben würde. Es war die preisgünstigste Alternative, die ihr zur Verfügung stand, ohne ständig weite Strecken pendeln zu müssen.Den Großteil des Tages verbrachte Mya damit zu packen, Vorräte für ihre Katzen einzukaufen, ihre gepackte Tasche wieder und wieder auf ihrer Vollständigkeit zu überprüfen, ihr Motorrad mit Satteltaschen auszustatten und ihre Eltern darüber zu informieren, dass sie für einige Tage nicht in der Wohnung sei und sie dem Ehepaar Williams unter anderen auch ihre Nummern für den Notfall hinterlassen werde.
„Ich besuche ein paar Freunde, die ich vor ein paar Wochen kennengelernt habe", hatte sie ihren Eltern am Telefon im fröhlichsten Ton gesagt, den sie zustande gebracht hatte. „Ich glaube, ich muss hier einfach mal rauskommen."
Sie hatten ihr darin zugestimmt und viel Spaß gewünscht. Mya fühlte sich furchtbar. Sie log ihren Eltern praktisch ins Gesicht. So war sie eigentlich nicht. Aber es brachte auch nichts, ihnen keine 24 Stunden vor der Abreise zu erzählen, was passiert war.
Erst am frühen Abend hatte Mya wieder ausreichend Zeit und den Kopf frei genug, um sich ihrem Handy zu widmen. Viele Leute hatten ihr nicht geschrieben.

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Duskwood - Jäger und Gejagte
FanfictionNach Richys Geständnis und Hannahs Befreiung bemühen sich Mya und ihre Freunde aus Duskwood darum, in ihren Alltag zurückzukehren, doch das gestaltet sich als schier unmöglich. Zudem quält Mya die Frage, was aus Jake wurde, der seit jener Nacht spur...