Mya schob ihr Handy zurück in die kleine Umhängetasche, die sie bei sich trug, und lehnte sich auf der Bank zurück, um den traumhaften Anblick, der sich ihr bot, nochmals zu bewundern.
Natürlich hatte ihre Anwesenheit in Nash Hills Rosengarten ein ganz konkretes Ziel, doch sie wollte zwischen all der Aufregung, die sie permanent umgab, nicht gänzlich vergessen, ihren Ausflug und die Freizeit ein kleines bisschen zu genießen. Die Mittagssonne strahlte heiß vom wolkenlosen Himmel, es roch nach Sommerwind und frischer Wiese und vor allem nach den tausenden Rosenblüten, die sie umgaben. Jetzt im Juni blühten die allermeisten der unzähligen Rosen, die in allen erdenklichen Farben und kunstvollen Formationen die schmalen Wege zäunten und den Park in ein Meer aus Blüten verwandelten. Mya hatte unter einem filigranen Pavillon Platz genommen, dessen Träger dicht berankt waren, und für einen kurzen Moment bereut, alleine gefahren zu sein. Die anderen hatten sich allesamt dazu bereit erklärt, sie zu begleiten, doch aus einem Bauchgefühl heraus hatte sie entschieden, dass sie in dieser Situation Zeit und Platz für ihre eigenen Gedanken benötigte und deswegen die Angebote abgelehnt. Auch wenn es nicht dasselbe war wie echte Gesellschaft, fühlte sie sich nun zumindest etwas weniger einsam, nachdem sie Antonia geschrieben hatte.
Der besagte kreuzförmige Brunnen war nur wenige Meter vor ihr. Sanft lief Wasser aus dessen Mitte über die glatte Schieferoberfläche und an den Rändern hinab in ein kaum sichtbares Auffangbecken, sodass es den Anschein erweckte, als sei der Brunnen von einer sich nicht bewegenden Schicht Wasser überzogen. Es kostete Mya regelrecht Überwindung, nicht direkt darauf loszustürmen und jeden Millimeter des Brunnens und alles, was ihn umgab, abzusuchen. Gleichzeitig dankte sie sich dafür, sich diese kleine Auszeit gegönnt zu haben, um nochmal Kraft, Harmonie und Atem zu sammeln, wie eine Art Ruhe vor dem möglichen Sturm. Sie hatte keine Vorstellung, wie das nächste Rätsel aussehen könnte oder ob sie dieses Mal etwas mehr bekommen würde, als einen Zettel mit einer verschlüsselten Botschaft darauf, aber zumindest hatte sie keinen Zweifel, dass sie hier am richtigen Ort war. Dazu kam, dass die Tatsache, sich mitten am Tag an einem öffentlichen Platz zu befinden, ihr die Angst nahm, von irgendwem belauert zu werden. Unter normal Umständen, oder besser gesagt, noch vor ein paar Wochen, hätte sie sich für eine solche Idee allein für paranoid erklärt, aber inzwischen fand sie diese Vorstellung erschreckend real. Sie traute sich nicht eine Einschätzung darüber zu treffen, wohin dieses Spielchen sie führen sollte oder wozu, weshalb sie es umso wichtiger fand, auf jedes Szenario vorbereitet zu sein.
Mya nahm gerade den letzten Schluck des Kaffees, den sie sich vor Betreten des Parks genehmigt hatte, als sie das Vibrieren ihres Handy bemerkte.
Es machte sie nervös. Nur ganz unterschwellig, aber doch prominent genug, um sie zum Nachdenken anzuregen.
Was dachte sie, wer ihr wohl schrieb? Glaubte sie, dass sie ihren Hinweis im Messenger erhalten würde? Hoffte sie nach wie vor auf eine Nachricht von Jake? Fürchtete sie, dass dieses ganze Katz-und-Maus-Spiel eine Falle war, in die geradewegs hineinlief, weit weg von Freunden, Familie, Wohnung und Heimat? Sie konnte es nicht beantworten. Sie konnte nur sagen, dass dieses verdammte Handy sie nervös machte.
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Duskwood - Jäger und Gejagte
Hayran KurguNach Richys Geständnis und Hannahs Befreiung bemühen sich Mya und ihre Freunde aus Duskwood darum, in ihren Alltag zurückzukehren, doch das gestaltet sich als schier unmöglich. Zudem quält Mya die Frage, was aus Jake wurde, der seit jener Nacht spur...