Der Raum, in den Mya von der kleinen brünetten Sekretärin geführt wurde, war definitiv kein Verhörraum. Es sah eher aus wie ein Büro, das derzeit niemandes fixen Arbeitsplatz darstellte, mit einem leicht abgenutzten Schreibtisch, einem durchgesessenen dunkelgrünen Bürostuhl, zwei großen, aber fast leeren Regalen und einem Bildschirm, aber keinem dazugehörenden Computer auf dem Tisch. Den Handwerkern nach zu urteilen, die ihr auf dem Weg in dieses Zimmer entgegen gekommen waren, konnte man annehmen, dass das Revier gerade Renovierungsarbeiten unterlag, weshalb sie den nur halbfertig wirkenden Raum nicht hinterfragte.
"Mister Bloomgate wird gleich bei Ihnen sein", kündigte die Dame mittleren Alters ihr freundlich an, bevor sie die Türe hinter sich schloss und Mya alleine zurückließ. Diese sah sich fragend um, bis ihr ein zweiter Stuhl in einer Ecke auffiel, den sie zum Schreibtisch zog und dort Platz nahm. Jetzt hieß es, abzuwarten. Hoffentlich nicht zu lange. Sie hatte das Gefühl, mit jeder verstreichenden Minute, in der sie sich Gedanken darüber machen konnte, was gleich passieren könnte, ein Stück weit mehr ihre Nerven zu verlieren. Nervös wischte sie sich ihre feuchten Handflächen im Schoß ab.
War das eine der von Lilly befürchteten Taktiken? Man könnte sich erhoffen, dass es sie zermürben und schneller zum Reden bringen könnte, wenn man sie nur lange genug mit ihren Gedanken und Ängsten alleine ließ. Zwar hatte sie sich im Vorfeld genau diese Situation vorgestellt und sich auch exakt ausgemalt, wie sie darauf reagieren würde, aber die Umsetzung war nicht so einfach, wie gedacht - in ihrer Vorstellung war sie dabei absolut cool und entspannt geblieben, denn was sollte ein bisschen Wartezeit schon mit ihr machen? Nun, sie hätte es besser wissen sollen. Unauffällig sah Mya sich im Raum um. Gab es hier Überwachungskameras? Beobachtete man sie vom Nebenzimmer aus und interpretierte ihr angespanntes Händereiben, das Umsehen, das Hin- und Herrutschen auf dem Stuhl, bis man der Meinung war, dass sie während des Verhörs einknicken würde? Okay, das ging möglicherweise ein bisschen zu weit. Langsam wurde sie paranoid.
Das Öffnen der Tür befreite Mya glücklicherweise von ihrem Verfolgungswahn, doch keineswegs von ihrer Nervosität. Es trat ein Mann ein, den sie auf Mitte fünfzig schätzte, mit graumeliertem, dunkelbraunem Haar und einem durchaus stattlichen Schnauzbart auf der Oberlippe. Durch seine fast schlaksige Figur, die in einem hellblauen Hemd und einer dunklen Stoffhose steckte, wirkte er auf sie im ersten Moment nochmals größer, als er sowieso war. Ein Funkgerät und etwas, das Mya für einen Taser hielt, waren am Gürtel an seiner Hüfte befestigt. Mit dem Fuß schloss er die Türe hinter sich, während er kurzzeitig darauf konzentriert war, den Inhalt der beiden Tassen in seinen Händen nicht zu verschütten. Rasch stellte er sie auf dem Schreibtisch ab, als Mya sich etwas zu hektisch erhob, und hielt ihr die Hand hin, die sie reflexartig ergriff.
"Guten Tag. Alan Bloomgate", stellte er sich mit seiner durchdringenden Stimme vor, während er sie mit einem kräftigen Händedruck begrüßte.
"Mya Graham", antwortete sie ihm darauf fast stimmlos, versuchte aber dennoch, irgendwie ein selbstsicheres Auftreten zu wahren.
"Es freut mich, dass wir uns endlich persönlich unterhalten können. Nehmen Sie doch Platz." Er deutete auf den Stuhl, der hinter Mya stand, und setzte sich ihr gegenüber hin. Sie folgte der Einladung verspannt. Der Duft von Kaffee erfüllte die warme Luft im Büro.
Beinahe plakativ nahm er einen Schluck aus seiner Tasse.
"Sie haben an den Kaffee gedacht", stellte sie schmunzelnd fest.
"Natürlich. Brauchen Sie etwas? Milch oder Zucker?"
Eigentlich trank sie ihren Kaffee nicht schwarz, aber sie wollte verhindern, wieder mit ihren
Zweifeln alleine gelassen zu werden. "Nein, danke."
"Hatten Sie eine gute Fahrt nach Duskwood?, erkundigte Alan sich beiläufig.
"Etwas nass, aber ansonsten ja. Danke."
"Ich muss gestehen, ich hatte ein anderes Bild von Ihnen im Kopf." Er lächelte nun seinerseits, was jedoch nicht bei seinen strengen graublauen Augen anzukommen schien. Es waren wohl die tiefen, buschigen Augenbrauen, die ihm diesen harten Blick verliehen.
Welches Bild hatte er denn von ihr gehabt? Wahrscheinlich keine Frau, die sowohl von der Länge, als auch Breite her in der Kinderabteilung shoppen konnte. Oder worauf wollte er hinaus? Sie zog herausfordernd eine Braue hoch.
"Weniger tätowiert und gepierct?", fragte sie amüsiert nach.
Alan lachte leise. "Ich meinte damit eher, etwas älter."
Älter? Dass sie ein Babyface hatte, wusste Mya auch so. Er wäre nicht der erste, der ihr das sagte. Allerdings musste er wissen, wie alt sie war, denn sie hatte bei ihrer Ankunft ihren Personalausweis bei der Sekretärin abgegeben, den diese eingescannt und mit Sicherheit Alan vorgelegt hatte. Bevor Mya darauf reagieren konnte, sprach der Polizist schon weiter.
"Sie werden sich bestimmt heute noch mit Ihren neuen Freunden treffen." Er formulierte es nicht wie eine Frage. "Sie haben sich sicherlich einiges zu erzählen, nach allem, was passiert ist."
"Allerdings", bestätigte Mya seine Feststellung, ohne zu erwähnen, dass dieses Treffen bereits stattgefunden hatte.
"Wie lange kennen sie die Gruppe jetzt schon?"
Das war also seine Methode? Er wollte sein Verhör klingen lassen, wie beiläufige Fragen inmitten eines gemütlichen Kaffeekränzchens. Es war tatsächlich ein bisschen so, wie Mya es sich vorgestellt hatte, was ihr dabei half, ihr Selbstvertrauen nach und nach wiederzuerlangen.
"Seit etwa einem Monat", antwortete sie ihm wahrheitsgemäß.
"Und Sie wissen wirklich nicht, wie Ihre Freunde an Ihre Nummer kamen?"
"Wie gesagt, durch Hannah. Wie oder warum genau, weiß ich leider nicht."
"Aber Sie haben mit Sicherheit eine Vermutung, wie es dazu gekommen sein könnte."
Seine Tonfall klang unterschwellig provokant, zumindest glaubte Mya das. Langsam schüttelte sie ihren Kopf.
"Um ehrlich zu sein, nein." Ohne ihren Blick von Alan abzuwenden, trank sie einen Schluck des starken, säuerlichen Kaffees.
"Das verwundert mich ein bisschen", murmelte Alan daraufhin, wobei er sich nachdenklich mit zwei Fingern über den Schnäuzer fuhr, "immerhin gäbe es eine ganz naheliegende Erklärung sowohl dafür, als auch, weshalb wir auf Hannah Donforts Handy keine Nachricht finden konnten, die Ihre Nummer beinhaltet hat."
Die Polizei hatte also Hannahs Handy. Zwar hätte sie damit rechnen müssen, aber bis jetzt war ihr dieser Gedanke noch nicht gekommen. Auch, weil niemand aus der Gruppe es bislang erwähnt hatte.
"Da haben Sie wohl Recht", gab Mya nickend zurück. Sich dumm zu stellen würde nicht lange funktionieren, denn sie wollte nicht riskieren, dass Alan sein Wohlwollen verlor, aber es würde ihr ein bisschen Zeit schenken, um sich dieser neuen, unangenehmen Situation anzupassen. "Wir konnten diese Vermutung nur nie als richtig oder falsch belegen."
"Aber Sie hatten dieselbe Vermutung wie ich."
War das eine Frage oder wieder eine Feststellung?
Sie blickte ihr Gegenüber verbissen an. Er hatte unerwartet kurz versucht, sie in irgendwelchen Smalltalk zu verwickeln, bevor er zum Punkt gekommen war. Es fiel ihr erst jetzt auf, dass sie bereits mitten im Verhör steckte und, mehr noch, direkt mit den pikanten Fragen konfrontiert wurde. Skeptisch musterte sie den Polizisten, einmal komplett von oben nach unten und zurück.
"Sie fallen wirklich schnell mit der Tür ins Haus, wenn ich das sagen darf", stellte sie fest.
"Deswegen sind Sie doch hier, oder nicht?"
"Ich hatte mich auf ein etwas gemütlicheres Gespräch eingestellt."
Alan lachte heiser unter einem Kopfschütteln auf, obwohl er offensichtlich nicht einschätzen konnte, ob das Myas Ernst gewesen war oder nicht. "Es tut mir leid, wenn ich Ihre Erwartungen nicht erfüllen konnte. Miss Donforts Entführung ist allerdings kein gemütlicher Fall und klärt sich nicht durch gemütliche Gespräche auf."
"Das ist mir bewusst. Als Sie sagten, es sei ein inoffizielles Gespräch, hatte ich vielleicht ein wenig Hoffnung, nicht direkt so in die Mangel genommen zu werden." Ihr Mundwinkel zuckte kurz nach oben, obwohl ihr alles andere als nach Lachen zumute war.
"Das werden Sie nicht", erwiderte Alan ihr.
Wenn das hier nicht seine Definition davon war, sie in die Mangel zu nehmen, wie sah diese dann aus? Jetzt schon stellte sich Myas Inneres auf den Kopf bei der Vorstellung, dass sie das in naher Zukunft herausfinden würde.
"Wollen Sie sich lieber noch für zwei Minuten über das Wetter unterhalten?", schlug Alan mit einem schiefen Lächeln vor.
"Schon gut, lieber nicht."
"Dann lassen Sie uns zurück zu meiner Frage kommen."
Er hatte zuletzt keine Frage gestellt, sondern eine Vermutung ausgesprochen, was Mya anzumerken überlegte, um ihm ihr teils gespieltes Selbstbewusstsein zu präsentieren, entschied sich jedoch dagegen.
"Bezüglich der Herkunft und auch des mysteriösen Verschwindens Ihrer Nummer von Miss Donforts Handy hatten Sie dieselbe Vermutung wie ich, ist das richtig?"
Eine von Myas Brauen zuckte unwillkürlich nach oben. "Wenn Ihre Vermutung den Hacker beinhaltet, dann ja."
"Haben Sie ihn nie danach gefragt?"
"Nein."
"Weshalb nicht? Hat es Sie nicht interessiert?"
Mya lächelte verbissen. "Doch, aber er hätte es uns sowieso nicht beantwortet."
Der Polizist nickte nachdenklich, wandte für einen Augenblick den Kopf ab und atmete tief ein.
"Wer hat Sie damals als erstes kontaktiert? Auch der Hacker?"
"Nein. Thomas Miller", erinnerte sie sich. "Er hat eine Gruppe für unseren Chat erstellt und kurz nach seiner ersten Nachricht alle anderen hinzugefügt."
"Was hat Mister Miller Ihnen in dieser ersten Nachricht gesagt?", hakte Alan weiter nach.
Mya dachte kurz zurück an den verregneten Nachmittag, den sie deprimiert auf der Couch verbracht hatte. Kurz bevor Thomas sie kontaktiert hatte, hatte sie Antonia im Messenger um ein Telefonat gebeten, weshalb sie auf die Benachrichtigung ihres Handys sofort reagiert hatte. Aber statt von ihrer besten Freundin, war die eingegangene Nachricht eben von Thomas gewesen. Der Start zu allem, was sie nun in dieses Polizeirevier geführt hatte. Und als wäre es erst gestern gewesen, erinnerte sie sich noch genau daran, dass sie als aller erstes ein simples "Hallo" erhalten hatte, gefolgt von der Frage, ob sie da sei. Das war jedoch vermutlich nicht, was Alan wissen wollte.
"Er und die anderen sind relativ schnell auf den Punkt gekommen", erklärte Mya ihm schließlich grübelnd. "Sie haben mir erzählt, dass Thomas Freundin Hannah drei Tage zuvor verschwunden war und ihm von ihrem Handy aus meine Nummer zugeschickt worden sei."
Wieder nickte Alan. "Wie haben Sie darauf reagiert?"
"Ich war zuerst natürlich sehr verwirrt und dachte, dass das ein schlechter Scherz wäre oder sie sich geirrt hätten. Aber sie waren sich ganz sicher, dass meine Nummer irgendeine Art Hinweis sein musste und bestanden darauf, dass ich bleibe."
"Wissen Sie, weshalb Mister Miller mit Ihrer Nummer nicht zur Polizei gegangen ist?"
"Nein, aber er weiß es bestimmt noch."
Seufzend verschränkte Alan seine Arme vor der Brust und warf Mya einen strengen Blick zu. "Mya, sie müssen keine Angst haben, irgendwen mit der Wahrheit in Schwierigkeiten zu bringen. Ich möchte nur wissen, was passiert ist."
Das eine schloss das andere allerdings ab einem gewissen Punkt aus, das wusste sie genau so gut wie er. Dennoch nickte sie. "Das weiß ich, aber den Grund dafür erfragen Sie wohl trotzdem besser bei ihm selbst."
Er gab schließlich nach. "Nun gut. Wie ging es dann weiter?"
Spätestens ab hier wurde es kritisch mit der Wahrheit. Mit dem, was danach passiert war, machte mindestens Jake sich strafbar, denn er hatte ihr nach einigen eher belanglosen Gesprächen mit den anderen und einer detaillierten Erklärung der Ereignisse seitens Thomas Einblick in einen Chat zwischen Jessy und Dan gewährt, ehe er sie das erste Mal persönlich kontaktiert hatte. Es war ein befremdliches Gefühl gewesen, die Gespräche anderer Leute auszuspionieren, aber gleichzeitig auch auf eine gewisse Weise spannend, was sie Jake auf dessen Nachfrage so ähnlich auch mitgeteilt hatte. In seinem Anruf hatte er ihr schließlich eröffnet, Zeuge von Hannahs Entführung gewesen zu sein und ihr erklärt, Zugang zu Informationsquellen zu besitzen, die anderen Leuten verwehrt blieben.
Genau da ging das Problem mit der Wahrheit auch schon weiter. Jake hatte Mya im selben Gespräch nicht nur den Zugang zu Hannahs Cloud ermöglicht, sondern ihr auch erklärt, wie man diese hacken konnte. Und genau das hatte sie getan. So viel also dazu, dass sie keine Angst zu haben brauche, irgendwem Ärger zu machen. Sie musste die Wahrheit an dieser Stelle womöglich hier und da ein wenig begradigen.
"Danach hat Thomas mir einige Bilder von Hannah geschickt, in der Hoffnung, dass ich sie kennen könnte", begann Mya ihm zu erklären, "aber ich hatte sie noch nie zuvor gesehen."
"Haben sie irgendwen aus der Gruppe davor schon gekannt?", warf Alan dazwischen, doch sie verneinte sofort.
"Niemanden. Ich habe sie alle an diesem Tag im Chat kennengelernt."
Mit einer bedächtigen Handbewegung fuhr er sich über den Bart. "In Ordnung, fahren Sie fort."
Zwar fühlte Mya sich alles andere als wohl dabei, aber sie konnte nicht ewig verhindern, auch Jake irgendwann zu erwähnen. Seine Existenz war der Polizei bekannt, also konnte sie mit der bloßen Aussage, dass er Kontakt zu ihr hergestellt hatte, nicht viel falsch machen - und trotzdem setzte ihr Herz für einen Schlag aus, als sie es aussprach.
"Danach hat mich der Hacker kontaktiert." Der Hacker. Sie versuchte in ihrem Kopf die Person, den die Polizei sich darunter vorstellte, und den Menschen, den sie hinter dieser Bezeichnung kannte, zu trennen, um Neutralität zu bewahren.
"Was hat er Ihnen erzählt?"
Unschlüssig presste Mya die Lippen aufeinander. Sie durfte nicht angreifbar vor Alan wirken und ermahnte sich, die Schultern zu straffen und Blickkontakt zu halten. "Dass er uns Informationen beschaffen würde, die uns helfen könnten, Hannah zu finden."
"Was sollten das für Informationen sein?" Alan fixierte Mya regelrecht.
"Das hat er nicht näher definiert."
"Kennen Sie seinen Namen?"
"Er hat nie viel über sich erzählt." Das war nicht einmal direkt eine Lüge.
"Und hat er Ihnen auch die versprochenen Informationen beschafft?"
"Teilweise."
Alan runzelte kritisch die Stirn, als er sich mit den Unterarmen auf die Tischplatte lehnte. "Was heißt, teilweise?"
"Hier und da kam er mit möglichen Hinweisen um die Ecke, die wir uns dann genauer angesehen haben."
"Zum Beispiel mit einer Liste von Miss Donforts letzten Telefonaten am Tag ihrer Entführung", ergänzte der Mann ihren Satz, was Mya ganz Recht war. Dass sie von Hannahs Anruf bei Alan kurz vor ihrem Verschwinden wusste, war bereits in ihrem ersten Gespräch mit dem Polizeichef gefallen, sodass sie ihre eher vage Aussage nicht um weitere Details ergänzen musste, nachdem Alan das bereits für sie getan hatte. "Ja, zum Beispiel."
"Welche Verbindung hat er zu Hannah Donfort?", fragte Alan sofort weiter.
"Das weiß ich nicht."
"Und auch das haben Sie nie hinterfragt?"
Mya nahm wieder einen Schluck von ihrem Kaffee, bevor sie darauf reagierte. "Er hat nicht viel von sich preisgegeben, auch nicht auf Nachfrage."
"Ist Ihnen nie die Idee gekommen, dass er hinter Miss Donforts Entführung stecken könnte?" Er wirkte zunehmend skeptisch.
Sie schnaubte leise. "Doch, natürlich. Wir alle hatten diesen Verdacht, aber nie einen konkreten Beweis dafür."
"Wie ging es ab da weiter?"
"Ab da nahm es einfach seinen Lauf", meinte Mya fast gleichgültig. "Ich kann es Ihnen nicht mehr in jedem Detail rekonstruieren, aber irgendwie führte alles von einem Punkt zum nächsten und bevor ich es realisieren konnte, hatten wir eine ganze Reihe an Theorien und Ermittlungsansätzen, denen wir nachgegangen sind."
"Warum haben Sie die Ermittlung nicht der Polizei überlassen?" Alans Frage klang mehr nach einem Vorwurf, sodass Mya sich kurzzeitig nicht sicher war, ob er darauf überhaupt eine Antwort erwartete.
"Die anderen hatten nicht das Vertrauen, dass die Polizei ihnen glauben würde und deswegen Angst, selbst zu Verdächtigen zu werden", erklärte sie ihm.
Ungläubig schüttelte Alan den Kopf. "Woher kommt es nur, dass junge Leute so viel Angst vor der Polizei haben?"
"Das müssen Sie sich selbst beantworten."
Der Polizist wandte seinen Blick abwesend aus dem Fenster, an dem vereinzelte Regentropfen hinabliefen, während er seine Kaffeetasse leerte.
"Sie sagen also, dass Sie nur zufällig auf rätselhafte Weise Teil des Ganzen geworden sind und sich dann einfach mit dem Fluss haben treiben lassen, ohne irgendetwas davon zu hinterfragen, während ein Ihnen unbekannter Mann Sie auf unbekannte Art und Weise mit Dateien und Informationen versorgt hat, die offensichtlich nicht dafür bestimmt waren, von anderen Leuten gesehen zu werden", versuchte er, die bisherigen Aussagen zusammenzufassen.
Mya nickte kurz und machte eine vage Handbewegung. "So ungefähr, ja."
Alan erhob sich aus seinem Stuhl und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Sie beobachtete ihn dabei, wie er langsam im Raum auf und ab ging und seine Füße betrachtete, während er weitersprach.
"Mya, ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie mehr wissen, als Sie mir erzählen."
Die Angesprochene ließ diese Aussage unkommentiert. Er durfte das ruhig glauben, denn dass er damit Recht hatte, war ein offenes Geheimnis.
"Wissen Sie, dass Sie sich auch strafbar machen, wenn Sie Straftaten von anderen Leuten decken?", fragte er eindringlich.
Abermals schnaubte sie, nickte dabei kurz. "Ich weiß auch, dass ich nichts sagen muss, wenn es mich selbst belasten könnte."
"Also denken Sie, Sie könnten sich mit einer Aussage gegen jemanden aus der Gruppe belasten?"
"Wer weiß. Ich bin kein Jurist."
Alan blieb hinter seinem Stuhl stehen und funkelte Mya sichtbar gereizt an.
"Hören Sie doch auf so zu tun, als wüssten Sie nicht, wovon ich spreche", warf er streng ein.
"Sie wollen also doch wieder über den Hacker sprechen." Sie entgegnete seinen Blick ebenso ernst.
"Wir versuchen eine Entführung aufzuklären, Mya", begann Alan seufzend, doch sie fiel ihm sofort ins Wort.
"Und nebenbei das FBI ein wenig zu unterstützen, für die Anerkennung, die Ihnen Duskwood nicht mehr entgegenbringt."
Für einige Sekunden wurde es unnatürlich still im kleinen Büroraum. Selbst von draußen drangen keine Geräusche zu ihnen hinein.
"Nein. Ich möchte lediglich die Zusammenhänge jedes einzelnen verstehen, um rekonstruieren zu können, was Miss Donfort passiert ist und wieso. Das ist mein Job." Seufzend fuhr Alan sich mit der flachen Hand über das Gesicht, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. Sofort wurde seine Stimme wieder ruhig, seine Mimik deutlich entspannter. "Ich verspreche Ihnen, dass sie keine Konsequenzen dafür erfahren werden, wenn Sie mir alles erzählen, was Sie wissen. Auch wenn Sie einen Fehler gemacht oder irgendwelche Grenzen überschritten haben, werden wir dafür eine Lösung finden", versicherte er ihr. "Aber es ist enorm wichtig, dass Sie offen mit uns sprechen."
"Informationen über den Hacker werden Sie nicht weiterbringen", widersprach Mya ihm jedoch. "Dafür, dass sein Fall für Sie nicht interessant ist, fragen Sie übrigens ziemlich oft nach ihm."
Sie konnte sehen, wie Alans Kiefer sich verspannte. "Weil ich herauszufinden versuche, wer an Miss Donforts Entführung beteiligt war, Mya. Er scheint in dieser Angelegenheit keine unerhebliche Rolle gespielt zu haben, auf wessen Seite auch immer."
Mya schüttelte sichtbar verstimmt den Kopf. "Er wird sie nicht weiterbringen."
"Das heißt, Sie wissen doch mehr über ihn."
"Womöglich. Und Sie wissen mehr über Richy und erzählen es mir auch nicht." Herausfordernd zog sie eine Braue hoch, ohne Alan aus den Augen zu lassen. "Ich dachte, Sie würden mir heute einige Antworten geben, wenn ich es auch tu."
Für einen Moment schien er über Myas Einwurf zu stolpern, doch binnen eines Augenblicks setzte er sein professionelles Äußeres wieder auf.
"Viele Antworten haben Sie mir bislang noch nicht gegeben", murmelte er. "Sie sind sehr verbissen, Mya. Wieso?"
"Weil ich nicht weiß, worauf ich mich einlasse", antwortete sie ihm ganz direkt. Nochmals sah sie sich kurz um. "Das ist also kein offizielles Verhör, nein?"
"Nein. Deswegen sind wir auch in diesem Büro und nicht in einem der Verhörräume. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, nehme ich unser Gespräch auch nicht auf, wie ich es normalerweise tun würde", versicherte Alan ihr ruhig.
Zumindest zeichnete er es nicht offen auf, aber wer wusste, welche Tricks er so auf Lager hatte. Sie musste vorsichtig bleiben, aber auch ein bisschen offener werden, um ihr eigenes Ziel verfolgen zu können.
"Also können gewisse Dinge auch vorerst unter uns bleiben?", hakte sie nach.
"Wenn es Ihnen wichtig ist, ja. Das gilt aber nur für heute, nicht für ihre spätere offizielle Aussage."
Mya ließ es sich kurz durch den Kopf gehen. Einerseits hielt sie Alan aus einem Bauchgefühl heraus für einen aufrichtigen Mann, andererseits konnte sie das Gefühl einfach nicht ablegen, dass sie abseits der Gruppe niemandem vertrauen dürfte. Sie musste es aber früher oder später wagen. Schon bald würde sie eine richtige Aussage abgeben müssen und dabei war es sicherlich hilfreich, sich mit dem Polizeichef gutzustellen. Außerdem war sie mit dem Plan im Polizeirevier angekommen, der Gruppe am Abend Neuigkeiten überbringen zu können. Sie durfte das hier nicht verhauen. Sie durfte nicht versagen.
Irgendwann seufzte sie tief. "Na gut. Vielleicht weiß ich ja von ein paar Dingen."
Der Polizist nickte, als wollte er nochmals verdeutlichen, dass er das bereits gewusst hatte.
"Ich weiß zum Beispiel, dass der Hacker bei Hannahs Rettung vor Ort war, weil er über den Stream, den ich Ihnen geschickt habe, ihren Standort ziemlich genau orten konnte", begann Mya. "Er hatte dabei nur nicht eingeplant, dass Sie auch auftauchen würden."
Interessiert musterte Alan sie, stellte aber entgegen ihrer Erwartung keine Fragen.
"Im Laufe der Ermittlungen hat er uns immer wieder mit Informationen versorgt, deren Herkunft mir nicht bekannt sind. Unter anderem ein Rezept für Antidepressiva, die Hannah eingenommen hat, ein Video von einer Überwachungskamera aus ihrer Wohnung, ihre Telefonliste, eben lauter Dinge, an die man als normaler Mensch nicht kommt. Abgesehen davon hat er auch die Chats innerhalb unserer Gruppe, also auch meine, überwacht, um herauszufinden, ob vielleicht jemand aus ihrem Freundeskreis sich als Täter verrät. Aber daraus hat er mir gegenüber kein Geheimnis gemacht. Er war also immer irgendwie auf dem aktuellen Stand der Dinge, ohne uns fragen zu müssen."
Auf ihre letzte Aussage schüttelte Alan den Kopf, seine Augen verengt und voll Verachtung. "Wussten Ihre Freunde, dass sie von dem Hacker überwacht wurden?"
"Er hat es ihnen gesagt. Zwar später als mir, aber sie wussten relativ bald darüber Bescheid."
Das rote Auge, das sie aus ihrem Display aus angestarrt hatte, während Jake die anderen mit verzerrter Stimme davor gewarnt hatte, Mya von Hannahs Suche auszuschließen und ihnen eröffnet hatte, ihre digitalen Aktivitäten zu überwachen, war für sie etwas wie sein Symbolbild geworden. In diesem Moment hatte es sie wahrscheinlich genauso schockiert wie alle anderen auch, weil es ihr nochmals verdeutlicht hatte, welche Fähigkeiten er besaß - und wie wenige Grenzen. Beeindruckt hatte es sie aber nichtsdestotrotz. Er faszinierte sie, damals wie heute.
"Sie haben Ihm das einfach gestattet?" Ungläubig starrte er Mya an, doch diese lächelte nur kühl.
"Es war nicht so, als hätten wir eine andere Wahl gehabt und um Erlaubnis gebeten hat er uns auch nicht."
"Wie auch immer", Alan räusperte sich angespannt, "fahren wir fort."
"In Ordnung."
"Welchen Grund hatte er, Sie in Ihren Ermittlungen zu unterstützen?", fragte er nochmals, wohl in der Hoffnung, diesmal eine Antwort zu erhalten.
"Er hatte eine persönliche Verbindung zu Hannah. Die beiden kennen sich."
"Welche Art von Beziehung pflegen die beiden?"
Mya biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, während sie kurz überlegte, ihm darauf zumindest die halbe Wahrheit zu erzählen. Von der Verwandtschaft musste er ja nichts wissen, aber der freundschaftliche Kontakt, den Jake zu Hannah über E-Mails hergestellt hatte, verriet doch noch nicht zu viel. Oder doch? Doch. Es erschien ihr aus welchen Gründen auch immer zu riskant. "Das müssen Sie Hannah fragen."
"Und zu Ihnen?"
"Zu mir?"
Alans strenger Blick ruhte unentwegt auf ihr. "Hatte er eine persönliche Bindung zu Ihnen?"
Mya zuckte unschlüssig mit den Schultern und ihr entkam ein humorloses Lachen. "Was heißt, persönliche Bindung. Wir haben uns verstanden, er hat seinen Job gemacht und ich meinen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es mir zusteht, seine Beteiligung zu hinterfragen. Immerhin ist meine Verbindung zu der Sache genauso zweifelhaft für jeden Außenstehenden."
"Na gut. Ich möchte auf Ihre erste Aussage zurückkommen. Die Anwesenheit des FBI hat uns ja bereits darauf schließen lassen, dass er am Tatort war", erklärte Alan ihr. "Wissen Sie, was ihm vorgeworfen wird?"
Für eine Sekunde runzelte Mya die Stirn. "Wissen Sie es denn?"
In den Mundwinkeln des Polizisten zuckte bei ihrer Reaktion ein Lächeln. "Ich werte das als ein Nein."
"Nun, ich habe ihn nie danach gefragt."
"Das bedeutet aber, dass Sie wussten, dass er ein gesuchter Mann ist."
Mya nickte steif. "Das hat er mir erzählt, ja."
Aber die Gründe hierfür hatte sie tatsächlich nie erfahren. Sie konnte sich heute nicht mehr erklären, weshalb sie nicht erfragt hatte, welche Straftaten ihn dazu zwangen, ein Leben auf der Flucht zu führen. Hätte er es ihr überhaupt gesagt?
"Was mich weiterhin zu der Annahme führt, dass Sie ihn eben doch bewusst schützen wollen", führte der Polizist seine Überlegung mit einem fragenden Blick an Mya fort.
"Wer weiß."
Ihre fast trotzige Reaktion ließ ihm schnell bewusst werden, dass er in diesem Thema mit Nachfragen nicht weiterkommen würde. Was Mya nicht von sich aus erzählte, würde er heute nicht aus ihr herausbringen, was wohl einer der Gründe für ihn war, diesen Sachverhalt ruhen zu lassen.
"Lassen Sie uns noch ein anderes Thema ansprechen. Richard Roger."
Richard Roger klang in Myas Ohren wie jemand, den sie gar nicht kannte, auch wenn sie natürlich wusste, wer gemeint war. Richys Existenz, wie sie sie kannte, schien bei dieser Frage plötzlich ganz weit weg zu sein.
"Auf den Bildern der Überwachungskameras haben wir Mister Roger in der Mine gesehen, während er sich eine Maske vom Kopf gezogen hat." Beinahe angespannt beugte Alan sich nach vorne. "Können Sie mir dazu mehr sagen?"
Mya wurde schlagartig flau im Magen, doch sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Wieder einmal merkte sie, wie schnell sie in ihrer Situation von einer vermeintlichen Sicherheit auf extrem dünnes Eis gelangen konnte und dass sie jede Antwort, ja, jedes Wort mit absoluter Bedacht wählen musste. Noch war es zu früh für die volle Wahrheit, aber wie konnte sie sie umgehen, ohne zu lügen? "Nein, das kann ich nicht."
"Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?"
"Ich kann nicht." Er konnte diese Aussage jetzt deuten, wie er wollte. "Aber Sie sprechen dabei etwas an, wozu ich auch Fragen hätte."
Inzwischen schien Alan von Myas Verhandlungsversuchen nicht mehr primär genervt, sondern fast schon belustigt.
"Nun gut. Stellen Sie sie."
Sie entschied, nicht lange um den heißen Brei zu reden. "Lebt er?"
Für einige Sekunden, die Mya wie eine Ewigkeit vorkamen, schien Alan zu überlegen und statt einer Antwort erhielt sie darauf nur eine Gegenfrage.
"Wieso möchten Sie das wissen?"
Wieso sie das wissen wollte? War das sein Ernst? Waren die Gründe, wieso sie das wissen wollte, nicht mehr als offensichtlich? Ihre rechte Hand krallte sich verkrampft um den Ring an ihrer Halskette.
"Wir waren Freunde. Ich habe ihn wirklich gemocht", antwortete sie aufgebracht, "und ich musste tatenlos dabei zusehen, wie diese verdammte Mine zu brennen begann, während er sich darin aufhielt. Ich möchte einfach nur wissen, was mit ihm passiert ist."
"Wie kommen Sie dazu, mir diese Frage zu stellen?", erkundigte er sich verwundert.
"Weil Hannah behauptet, ihn in einem Krankenwagen gesehen zu haben. Andernfalls würde ich annehmen, dass er tot ist."
Alan nickte eine ganze Zeit lang nachdenklich. In langsamen, gleichmäßigen Bewegungen ließ er seine Finger über seinen Bart gleiten, ohne sein Gegenüber auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Trotzdem schien er kurzzeitig mit seinen Gedanken weit weg zu sein. Nach einer erneuten gefühlten Ewigkeit atmete er schließlich hörbar ein.
"Ja, Mya. Mister Roger lebt."
Er sagte danach noch etwas über seinen Zustand, aber das bekam Mya durch das dumpfe Rauschen in ihren Ohren nur noch am Rande mit.
Richy war am Leben.
Hannah hatte also Recht.
Aber wie? Wie konnte er das nur überlebt haben? Die Umgebung um sie herum begann langsam zu verschwimmen, verengte sich im aufkommenden Tunnelblick, während ihr wieder und wieder diese zweite Worte im Kopf kreisten.
Richy lebt.
"Mya?"
Ruckartig sah sie auf, zuckte jedoch auf den darauffolgenden Schmerz, der ihre Schläfen scharf von links nach rechts durchzog, ächzend zusammen. Schließlich gelang es ihren Augen, sich wieder zu fokussieren, und blickten dabei in Alans besorgtes Gesicht, als dieser neben sie trat und sich ein wenig zu ihr hinab beugte.
"Sie sind plötzlich so blass. Ist Ihnen nicht gut?"
Rasch schluckte sie ihre Übelkeit herunter. "Richy lebt?"
"Sein Zustand ist wie gesagt kritisch, Mya. Ich möchte Ihnen keine zu großen Hoffnungen machen", wiederholte der Polizist, was er scheinbar bereits zuvor erklärt hatte. "Seine Verletzungen sind sehr schwer."
Das war zu erwarten gewesen.
"Wie ist er da lebendig raus gekommen?", fragte Mya tonlos.
"Er wurde von den Rettungskräften etwas abseits der Stelle gefunden, an der wir ihn vermutet haben. Die Kameras sind aufgrund des Feuers ausgefallen." Etwas ratlos strich Alan sich durch sein kurzes Haar. "Wer weiß. Vielleicht hat er seine Kurzschlussreaktion im Nachhinein doch bereut und wollte vor dem Feuer fliehen."
Möglicherweise. Vielleicht hatte ihn aber auch jemand anderes in Sicherheit gebracht, der sich währenddessen in seiner Nähe aufgehalten hatte. Hätte es sich hierbei um das FBI oder Rettungskräfte gehandelt, wüsste Alan jedoch darüber Bescheid und somit blieben nicht mehr viele andere Optionen übrig. Vor zwei Tagen noch hatte sie diese Theorie belächelt, abgehakt und wieder vergessen. Wieso erstaunte es sie überhaupt noch, wie schnell Dinge sich um 180 Grad wenden konnten?
"Wo ist Richy jetzt?" Mya starrte ihr Gegenüber fassungslos an, während die Fragen wie von selbst ihren Mund verließen.
"Das kann ich Ihnen nicht sagen."
"Sie wissen es nicht?"
"Doch, natürlich", entgegnete Alan ihr, "aber Sie müssen verstehen, dass Mister Roger aktuell unser Hauptverdächtiger ist. In seinem Zustand wäre er ein leichtes Opfer, wenn Sie verstehen, was ich meine."
Deshalb wurde sein Name also auch nicht in der Presse erwähnt. Die Polizei musste seine Identität und seinen Aufenthaltsort vertraulich behandeln, um das Risiko zu minimieren, dass jemand ihm in einem Racheakt etwas antat, während er sich in einem so hilflosen Zustand befand. Plötzlich ergab alles so viel Sinn.
"Deswegen ist es auch unheimlich wichtig, dass Sie nicht versuchen, seinen Aufenthaltsort selbstständig zu ermitteln", fügte Alan mit einem warnenden Unterton hinzu. "Es geht um seine Sicherheit. Wenn die falsche Person etwas davon mitbekommt, bringen Sie Mister Roger möglicherweise in große Gefahr. Also behandeln Sie diese Information bitte ebenso vertraulich, wie ich es mit Ihren tun werde."
Mya konnte darauf nur nicken. Er hatte schon Recht. So sehr sie sich auch wünschte, Richy besuchen zu können, um ihm nochmals sagen zu können, dass sie ihm seine Reue glaubte, verstand sie auch, weshalb es ein egoistisches Unterfangen wäre.
"Sie sehen ziemlich mitgenommen aus, Mya", meinte Alan plötzlich. Er legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter. "Ich glaube, der Tag war anstrengend genug für Sie. Sie sollten sich ausruhen und wir führen dieses Gespräch ein anderes Mal fort."
Das klang nach einem guten Plan. Aber Mya konnte nicht gehen, ohne ihm noch eine letzte Frage zu stellen. "Abgesehen von Richy... Gab es noch andere Verletzte in der Mine?"
"Dass einige der Rettungskräfte und Agents leichte Verletzungen davongetragen haben, ist vermutlich nicht, worauf Sie hinaus möchten. Habe ich Recht?"
Es brachte nichts, es zu leugnen. "Nein, das ist es nicht."
"Außer Mister Roger wurden keine weiteren Opfer des Brandes geborgen", beantwortete Alan schließlich ihre Frage. Er holte Luft, als wollte er dem noch etwas hinzufügen, schien es sich aber im letzten Moment anders zu überlegen.
"Sie können sich jederzeit melden, wenn Sie noch etwas zu berichten haben. Ansonsten werden Sie spätestens von uns hören, wenn sie ihre offizielle Zeugenaussage machen müssen."
Kritisch beobachtete er, wie Mya sich erhob, als hätte er Angst, dass sie jeden Moment kollabierte. Zugegeben, sie hatte selbst ein wenig Angst, dass das passieren könnte. Ihr Körper fühlte sich taub an, als würde er nicht mehr zu ihr gehören, doch ein bisschen Würde wollte sie beim Verlassen dieses Reviers dann doch behalten.
"Danke für das Gespräch", hauchte sie zittrig.
"Ich danke Ihnen. Kommen Sie gut nach Hause."
Er hielt Mya die Türe auf, als sie das Büro verließ, doch sie blieb im Türrahmen stehen und blickte über ihre Schulter hinweg zu ihm auf. Wieso sie das sagte, wusste sie auch nicht, aber irgendein tieferer Instinkt verriet ihr, dass sie es tun sollte.
"Wissen Sie, der Hacker...", sie runzelte die Stirn und senkte den Kopf, "Er und ich haben uns ziemlich gut verstanden. Aber er hatte mit dem ganzen Fall nichts zu tun und deswegen kann ich auch nicht über ihn sprechen, verstehen Sie? Nicht, weil er mich bedroht oder weil ich Angst vor ihm habe, ganz im Gegenteil. Ich würde ihn in Schwierigkeiten bringen, obwohl er nur helfen wollte, weil er wirklich große Angst um Hannah hatte. Das hat er nicht verdient."
Trotz des kritischen Ausdrucks in Alans Gesicht konnte Mya auch etwas wie Verständnis darin erkennen. Er nickte zögerlich. "Ich verstehe, Mya. Machen Sie sich keine Sorgen. Sein Fall unterliegt wie gesagt nicht meiner Verantwortung."
"Danke, Mister Bloomgate."
"Sehr gerne, Miss Graham."
Mit einem letzten Blick sah Mya noch, wie er seine Stirn in tiefe Falten legte, bevor sie ging.
DU LIEST GERADE
Duskwood - Jäger und Gejagte
FanficNach Richys Geständnis und Hannahs Befreiung bemühen sich Mya und ihre Freunde aus Duskwood darum, in ihren Alltag zurückzukehren, doch das gestaltet sich als schier unmöglich. Zudem quält Mya die Frage, was aus Jake wurde, der seit jener Nacht spur...