Kapitel 6

53 14 2
                                    

Ein lautes Seufzen drang über meine Lippen und war schuld daran, dass all meine Kolleginnen ihre Köpfe hoben, nicht wie Zombies auf ihre Bildschirme starrten, sondern ihr Augenmerk auf mich richteten. Beschämt presste ich die Lippen aufeinander, sackte auf meinem Schreibtischstuhl zusammen und legte die Hände in meinen Hinterkopf, als könnten sie mir dabei helfen, unsichtbar zu sein. Wie peinlich, dachte ich mir und spürte noch immer ihre Blicke auf mir haften, die so unangenehm waren, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre.
»Was ist los, Sophia?«, hörte ich Alex hinter mir Fragen, die unweigerlich mitbekommen hatte, wie der Ausdruck von Kummer über meine Lippen kam. Dass die Schreibtische auch so nah beieinanderstehen müssen, schimpfte ich innerlich und hasste es, mit was für einer Leichtigkeit die Kolleginnen jedes Detail wahrnehmen konnten.
»Hast du ein schlechtes Date gehabt?«, wollte sie wissen und ruckartig setzte ich mich auf, blickte panisch nach hinten. Auf den Lippen der Schwarzhaarigen formte sich ein breites Grinsen und überrascht zog sie ihre Augenbrauen hoch. »Volltreffer«, kicherte sie, war schuld daran, dass ich meine Augen weit aufriss. Nun wird sie diese Tatsache an ihre zwei Freundinnen von der Truppe weiter tratschen, da war ich mir sicher.

»Nein«, stammelte ich, klang nicht sehr überzeugend, als ich mich wieder nach vorn wandte und qualvoll auf die Tastatur schaute. Das war kein Date gewesen, sondern ein zufälliges Treffen an einem Ort, der vor Erinnerung ertrank. Jedoch war das genau der Grund dafür, dass ich wie ein Häufchen Elend hier saß, abermals nicht meiner Arbeit nachging. Ich hatte gestern Dinge gesagt, von denen ich niemals geglaubt hatte, dass ich sie aussprechen kann. Daran konnte ich sehen, wie verletzt ich über seine Worte war. Habe ich vielleicht überreagiert, fragte ich mich seitdem. Der Blauäugige hatte einen wunden Punkt bei mir getroffen, davon natürlich nichts gewusst und meinen ganzen Frust abbekommen. Ich wollte nicht therapiert, sondern so wie ich war einfach nur akzeptiert werden. Genau wie Charlie es tat.
Charlie! Er war die richtige Person, um über gestern zu reden. Eilig bückte ich mich zu meiner Handtasche vor, die neben dem Schreibtisch auf dem Boden lag, und kramte nach dem Handy. Kaum hatten meine Fingerspitzen es ertastet, zog ich es blitzschnell hervor. Zu meiner Überraschung entdeckte ich eine Nachricht von meinem Vermieter, der mich sonst nie über diesen Weg kontaktierte.

Antonio
Hallo, Sophia. Ich wollte gerade das Café aufschließen und habe draußen an der Mauer dein Fahrrad entdeckt. Ich habe keine Ahnung, wie es dahin gekommen ist, aber ich habe es in den Flur gestellt. Du hast Glück, dass es nicht geklaut wurde.

»Mein Fahrrad«, flüsterte ich, hatte es bei all dem Gefühlschaos in meinem Kopf komplett vergessen.
»Hast du etwas gesagt, Sophia?«, erkundigte sich Alex, die dem Anschein nach ziemlich gute Ohren besaß. Als Antwort schüttelte ich den Kopf, schaute auf das Display von meinem Handy und las mir die Nachricht von meinem italienischen Vermieter ein zweites Mal durch. Mein Fahrrad hatte sich gestern noch bei Tom im Kofferraum befunden. Nachdem ich in dem strömenden Regen davon gestürmt war, hatte ich offensichtlich nicht mehr daran gedacht. Wie auch, fragte ich mich und wusste, es gab andere Dinge, die mich beschäftigt hatten. Aber ich war mir sicher, als ich heute Morgen das Haus verlassen hatte, dass noch kein Fahrrad da gewesen war. Der ehemalige Theaterkollege muss es scheinbar im Laufe des Morgens dort abgestellt haben. Aber warum nicht schon gestern, grübelte ich mit gekrümmten Augenbrauen. Es wäre doch viel einfacher gewesen, den Drahtesel abzuladen, wenn er sowieso bei mir in der Nähe war, oder? Dort, wo er sein Auto zurückgelassen hatte, bevor er mir hinterhergerannt war, waren es nur ein paar Meter bis zu meiner Wohnung gewesen. Sich heute Morgen extra die Mühe zu machen, noch mal dorthin zu fahren, war unlogisch. Vielleicht hatte der Dunkelblonde selbst vergessen, dass es sich noch in seinem Kofferraum befand. Möglich wäre es. Immerhin hatten meine Worte ihn überrascht und ich war nicht die Einzige, in dessen Kopf gerade wichtigere Dinge Platz einnahmen.

Für immer noch einmalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt