Kapitel 11

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Nichts ahnend und zugleich schockiert, riss ich die Augen auf, konnte nicht glauben, wie es dazu gekommen war. Wieso küsste mich mein bester und schwuler Freund unmittelbar auf meine Lippen? Warum? Ein mir bekannter Schwindel trat auf, weil ich seit einigen Sekunden nicht mehr fähig war, nach Luft zu holen. Krampfhaft legte ich die Hände auf den Oberkörper des Extrovertierten, schob ihn mit aller Kraft von mir. Jedoch war es nicht dass, was Charlie wollte, der just in diesem Moment seine rechte Hand in meinen Nacken legte, um meinen Kopf energisch zu sich zu drücken.
»Was tust du, Charlie?«, brachte ich angestrengt hervor, aber verständlich waren meine Worte nicht. Immerhin presste er meinen Mund direkt auf seinen und jeder Laut wurde dadurch gedämpft. Nachdem ich eine Autotür zufallen hörte, weitete ich meine Augen noch weiter, obwohl ich gedacht hätte, dies wäre nicht mehr möglich gewesen. Tom! Konnte er das alles mitansehen? Ja. Natürlich. Und nun traf mich die Erkenntnis wie ein heftiger Schlag. Deshalb küsste mich Charlie, der so etwas zuvor noch nie getan hatte. Er wollte den Schauspieler abermals provozieren oder wie er es nannte, prüfen. Ein lautes Räuspern hinter mir veranlasste den Blonden dazu, endlich von mir abzulassen und als meine Augen endlich wieder fähig waren, sein komplettes Gesicht einzufangen, konnte ich sein gehässiges Grinsen erkennen.

»Komm bitte nicht so spät nach Hause, Hun!«, meinte Charlie und blickte anschließend an mir vorbei, nickte der Person zu, die unmittelbar hinter mir stand.
»Hallo, Tom.« In seiner Begrüßung schwang eine ordentliche Portion Belustigung mit. Ich wusste, die nächsten Minuten werden meine persönliche Hölle werden. Da ich die ganze Zeit mit meinem Rücken zu Tom gestanden hatte, hat er sicherlich nicht mitbekommen, wie ich versucht hatte, mich gegen diesen Kuss zu wehren. Zusätzlich war der Blauäugige ohnehin nicht gut auf Charlie zu sprechen, was die Situation nicht einfacher machte.
»Ihr seid also nur gute Freunde, Sophia?« Angespannt drehte ich mich zu Tom um, war aber nicht imstande, ihm in sein Gesicht zu schauen. Von daher blickte ich auf den Bürgersteig, der übersät mit festgeklebtem Kaugummi und Müll war.
»Wieso belügst du mich? Macht es dir Spaß mich bloßzustellen?«, wollte er vorwurfsvoll wissen. Mein ganzer Körper zitterte, als ich fest in die Unterlippe biss, die daraufhin begann zu schmerzen. Die Dürre in meinem Rachen war dafür verantwortlich, dass ich kein Wort hervorbrachte. Dabei wollte ich ihm gerne erklären, was hier vor sich geht.
»Schon ein wenig dämlich, wie du ihr hinterherläufst«, feixte Charlie spöttisch und machte die Situation nur schlimmer. »Ich habe gedacht, ich hätte dir gestern klar gemacht, was zwischen Sophia und mir läuft!«
»Charlie«, nuschelte ich leise, wissend, keiner von beiden hatte mich verstanden. Ich wollte unbedingt die Missstände auflösen, bevor es eskaliert oder Tom verschwindet.

Für immer. Dieses Mal würde es kein Zurück geben.
»Führ Sophia ruhig zum Essen aus. Dann spar ich mir das Geld. Ist mir sowieso zu anstrengend, ihr das Gefühl zu geben, sie sei etwas Besonderes. Diese Aufgabe kannst du gerne übernehmen und ich kümmere mich um die interessanteren Dinge!« Als der Blonde auf die bescheuerte Idee kam, dem ehemaligen Theaterkollegen zuzuzwinkern, packte der Hintergangene ihm am Kragen. Während ich erschrocken aufschrie, meine Hand panisch auf meinen Mund legte, drückte Tom meinen besten Freund gegen die Wand. Er war zornig, kochte vor Wut und dafür hatte ich Verständnis. Charlie hatte es maßlos übertrieben und mit seiner selbst ernannten Prüfung eine Grenze überschritten.
»Was wollt ihr beide mit eurem albernen Spiel bezwecken? Habt ihr wirklich gedacht, ihr könnt mich verarschen? Den Schauspieler hintergehen? Informationen an die Presse verkaufen?« Tom war so wütend, wie ich zuvor noch nie jemanden gesehen hatte. Die Kiefermuskeln waren angespannt und eindrücklich in der einbrechenden Dunkelheit zu erkennen, dass ich erschauderte. Diese katastrophalen Umstände überforderte mich nicht nur, sondern ich spürte auch eine enorme Enttäuschung in mir. Ich konnte über die Reaktion des Blauäugigen nicht böse sein, aber dass er wirklich annahm, ich würde ihn hinters Licht führen, machte mich äußerst traurig.
»Ich habe genug von euch beiden!«, knurrte Tom boshaft und nahm seine Hände von Charlie, der sich daraufhin den Kragen richtete. »Meine Zeit ist mir zu kostbar, um sie mit euch zu verschwenden«, fügte er hinzu und sorgte für einen unerträglichen Schmerz in meinem Herzen. Dieser war so heftig zu spüren, dass es kaum auszuhalten war.
»Tom«, flüsterte ich kaum hörbar und suchte zum allerersten Mal die blauen Augen auf, die mich aber keines Blickes würdigten.
»Lass gut sein. Spar dir deine Worte«, zischte der Dunkelblonde, fuhr sich verzweifelt durch das kurze Haar, welches anschließend nicht mehr so perfekt lag. »Dein schüchternes Verhalten, deine Angst vor Hunden, war sicherlich nur gespielt. Du hast mich wiedergetroffen und dir einen grandiosen Plan überlegt, wie du mich bloßstellen kannst. Sicher bist du neidisch, da ich meinen Traum verwirklichen konnte. Aus diesem Grund wolltest du mir eins auswischen.« Ein unerträgliches Brennen durchzuckte meine Augen und kurz darauf rollten die ersten Tränen unkontrolliert über meine Wangen. Welcher Mensch würde auf die Idee kommen, sich solche Dinge einfallen zulassen, nur um jemand anderen zu kränken?

Für immer noch einmalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt