Teil 2

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Meine Tage sind sehr eintönig. Ab und an kann ich zu meinen Eltern oder Elisa fliegen, aber da mich niemand sehen darf, ist auch das nur selten möglich. Häufig laufe ich nachts durch die Straßen, wenn die meisten Menschen schlafen oder schlaflos in ihren Betten liegen. Meist führen mich meine Füße wie von selbst zu dem Wohnhaus, in dem Maya lebt. Zwar ist dies fast 16km von meiner Wohnung entfernt, doch mir macht es nichts auch weitere Strecken zu gehen. Mein Vater war erst nicht von meiner Idee begeistert, in ihre Nähe zu ziehen, da dies bedeutete, dass ich über 700km von ihnen entfernt sein würde, doch ich lies mich nicht davon abhalten. Denn wenn Anatoli etwas plant, möchte ich einschreiten können, bevor Maya etwas passiert. Wenn ich mich mit meinen Eltern treffe, dann meist auf der Hälfte der Strecke. Das gute an Privatflugzeugen ist, dass man nicht kontrolliert wird. Und der Pilot weiß, dass er keine Fragen stellen darf. Ein Treffen mit meinen Eltern ist für morgen geplant und ich freue mich wirklich mal für 2 Tage raus zu kommen. Irgendwann hat man alle guten Serien und Filme der Streaming-Dienste durch und auch mit Sport kann man sich schlecht den ganzen Tag beschäftigen. Ich habe versucht zu Puzzeln, doch Geduld scheint keine Kernkompetenz meinerseits zu sein, weshalb ich dies schnell wieder aufgegeben habe. Aus Langeweile habe ich türkisch gelernt. Mein Vater war gar nicht begeistert, da meine Mutter es dann auch unbedingt lernen wollte, sie allerdings nur langsamer Fortschritte gemacht hat als ich. Ihr Frust hat dann auch ihn frustriert. Ich hingegen war eher belustigt. Mittlerweile spricht meine Mutter einige Sätze und wir unterhalten uns ab und an auf türkisch. Zusätzlich ist mir aufgefallen, dass die Sprache wirklich nützlich ist, da Anatoli viele Kontakte ist den Osteuropäischen Raum hat und ich einen großen Teil der Gespräche nun verstehen kann. So auch heute, wo er seine nächsten Drogenlieferungen in Richtung Türkei plant. Es stört mich, dass er in Europa einen Absatzmarkt gefunden hat und mittlerweile auch bis nach Berlin vorgedrungen ist. Er ist der Lieferant, der aktuell beliebtesten Partydroge, sowie dem besten Aufputschmittel für Studenten. Ein Grund mehr ihm besser früher als später das Handwerk zu legen. Doch dafür brauche ich einen Plan oder zumindest die Aussicht auf eine freie Schussbahn. Nach viel Übung schaffe ich es nun aus etwa 1000m eine Melone zu treffen. Damit müsste Anatolis Kopf ein leichtes Ziel sein, denn anders sieht dieser auch nicht aus. Da er sich aber jedes mal hinter den Schränken versteckt, die er als seine Bodyguards bezeichnet, sind alle versuche bisher gescheitert. Zusätzlich ist es gar nicht so leicht nach Russland zu reisen, ohne bemerkt zu werden. Schmiert man zwar die richtigen Leute ist auch dies möglich, nur eben nicht so oft. Daher muss der nächste Versuch einfach klappen.

Ich sitze in der kleinen Maschine und wir setzen zur Landung an. Es ist 4 Uhr nachts und vor Ort wartet bereits ein Wagen auf mich. Tagsüber zu fliegen, wäre einfach zu riskant, da zu viele Personen am Flugplatz wären. So sind es nur wenige Menschen und sie alle sind Teil der Mafia. Nachdem ich in den Wagen gestiegen bin, beginnt auch schon die Fahrt. Die Kapuze meines schwarzen Sweatshirts hängt tief in meinem Gesicht. Meine Kleiderauswahl ist heute besonders ausgefallen, da ich eine schwarze Jeans, schwarze Boots, ein schwarzes T-Shirt und eben ein schwarzes Sweatshirt trage. Ich bin immer wieder von meinen vielseitigen Farbkombinationen begeistert. Doch eines muss man der Farbe schwarz eben lassen, sie geht und passt immer. Nachdem der Fahrer angehalten hat, steige ich mit meinem Rucksack aus und laufe den letzten Kilometer zu dem alten Hof. Wir treffen uns nie zwei mal am selben Ort. Mein Vater tarnt die Ausflüge als Geschäftsreise, wodurch wir immer eine Verbindung zu Firmen oder Immobilien aufbauen. So auch heute. Der alte Hof, auf dem wir uns treffen, steht bereits seit Jahren zum Verkauf und mein Vater überlegt, ein weiteres Anwesen zu gestalten. Der Hof liegt etwa 2 Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt. Hat neben einem großen Haupthaus zwei Scheunen, zwei große Ställe und zwei kleine Ställe. Zusätzlich ein kleines Brunnenhaus. Jetzt in der Dunkelheit sieht alles aus, wie aus einem schlechten Horrorfilm, bei welchem die Hauptrollen einen Schlafplatz für die Nacht suchen und auf einen verlassenen Hof stoßen, der eigentlich gar nicht verlassen ist. Dann springt nachts auf einmal der alte Hofbesitzer mit einer Kettensäge raus und bringt alle bis auf einen um. Man kennt solche Filme ja. Zunächst überlege ich, wie ich in das Haupthaus komme, doch da dies nichtmal mehr eine Eingangstür hat, brauch ich meinen Kopf nicht wirklich anzustrengen. Auch im Inneren des Hauses sieht es nicht wirklich besser aus. Die Tapete löst sich von den Wänden und es scheint keine Fensterscheibe mehr heil zu sein. Der alte Holzboden knarrt unter jedem Schritt. Den Weg nach oben trete ich erst gar nicht an, da ich sorge habe, eher im Keller als im ersten Obergeschoss zu enden. Nachdem ich den langen Flur hinter mir gelassen habe, stehe ich nun in der ehemaligen Küche, von der es sowohl nach draußen geht, als auch in das ehemalige Esszimmer. In diesem steht noch ein großer Tisch und nun verstehe ich auch das Interesse meines Vaters an diesem Objekt. Hinter dem Esstisch eröffnet sich ein Wintergarten. Das dieser nachträglich angebaut wurde, sieht man sofort. Ein altes Pflegebett steht am Rand und lässt erahnen, wieso ein solcher Wintergarten an diesen alten Hof gebaut wurde. Man wollte die letzten Stunden der Person im Pflegebett so schön wie möglich gestalten. Die Scheiben des Wintergartens sind zwar verdreckt, aber alle in einem guten Zustand. Keine ist gesprungen. Hinter den Scheiben eröffnet sich eine große Wiese die nahtlos in einen Wald übergeht. An der Seite fließt ein kleiner Bach und im Hintergrund bäumen sich die Berge auf. Ich stehe zur richtigen Zeit an diesem Ort, denn die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich durch den Wald und lassen diesen in einem hellen Licht erstrahlen. Meine Entscheidung ist bereits gefallen. Mein Vater hat diesen Hof zu kaufen. Ein lautes Knarren holt mich zurück in den verfallenen Hof. Leise trete ich einige Schritte zur Seite, sodass ich in der Dunkelheit hinter einem Balken verschwinden kann. "Lorenzo eres un idiota.", höre ich eine weibliche Stimme flüstern, die ich sofort meiner Mutter zuordnen kann. "Disculpa que.", erwidert mein Vater direkt und beide scheinen stehen geblieben zu sein. Zwar höre ich immer wieder das Knarren des Holzbodens, doch keine Schritte mehr. Daher entferne ich mich leise aus meinem Versteck und Leuchte mit der kleinen Taschenlampe in Richtung meiner Eltern. "Nehmt euch ein Zimmer.", ist alles was mir raus rutscht, nachdem ich sehe, wie mein Vater meine Mutter gegen die Wand drückt und sie sich wild küssen. Bis gerade hatte ich angenommen, die beiden diskutieren über etwas, doch da scheine ich mich wohl geirrt zu haben. Ich drehe mich weg und schüttel nur den Kopf, während meine Mutter mich erschrocken und mein Vater mit einem breiten Grinsen zu mir schaut. "Lo siento carino.", sagt meine Mutter, nachdem sie meinen Vater von sich weggeschoben und auf mich zu gekommen ist. "Also mir tut es nicht leid.", sagt dieser nur und grinst weiter. Nun kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Erst tritt meine Mutter auf mich zu und legt ihre Arme um mich. Ich drücke sie fest an mich, bevor ich mit der Hand den Staub von ihrem Rücken klopfe. Sie trägt einen schwarzen Blazer, der nun am Rücken eher grau wirkt. Nachdem sie daher erneut meinem Vater einen bösen Blick zugeworfen hat, tritt auch dieser auf mich zu. Er ist in einer schwarzen Hose und einem  blauen Hemd gekleidet. "Mi amore", sagt mein Vater und zieht mich in seine Arme. Auch wenn ich mittlerweile 25 Jahre alt bin, gibt es kaum einen Ort an dem ich mich sicherer fühle, als bei meinen Eltern.

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