Frisch geduscht sitze ich auf meiner Bettkante und denke erneut über die Situation im Kraftraum nach. Maya hat sich blitzschnell aus der Umarmung gelöst und ist förmlich aus dem Raum gesprintet. Natürlich hätte ich sie festhalten können, doch das hätte die Situation vermutlich nur verschlimmert. Nun ringe ich mit mir, ob ich an ihre Tür klopfen soll. Fragen ob es ihr gut geht oder ob wir reden wollen. Nach einiger Zeit entscheide ich mich dazu, es wirklich zu tun und verlasse meine Kabine. Ich habe die Faust gehoben und will gerade an die Tür klopfen, als ich von drinnen ein Schluchzen vernehmen kann. Kurz lehne ich mich an die Tür, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht geirrt habe. Maya sitzt alleine in ihrer Kabine und weint. Zu gern würde ich rein gehen, zu gern würde ich sie festhalten und für sie da sein. Nur habe ich Sorge zu weit zu gehen. So drehe ich mich von der Tür weg, auch wenn es mir wirklich schwer fällt und gehe stattdessen auf das Deck.
Seit etwa einer halben Stunde sitze ich am Bug und schaue auf das dunkle Wasser. Dadurch das die Sonne bereits untergegangen ist, wirkt es beinahe so, als würden wir immer weiter in ein schwarzes Nichts fahren. Dadurch das der Himmel stark bewölkt ist, sieht man nur vereinzelte Sterne und auch der Mond hat sich gut versteckt. Ich frage mich, ob ich der Grund bin, warum Maya geweint hat. Haben meine Narben sie so abgeschreckt? Oder war es die Nähe zu mir? Etwas betrübt über diese Gedanken, lehne ich meinen Kopf gegen den Container hinter mir und seufze genervt auf. Erst als ich höre wie sich Schritte nähern, schaue ich zur Seite und sehe wie Paola mit einer Flasche in der Hand um den Container tritt. Sie hält diese nach oben, doch ich kann in der Dunkelheit das Etikett nicht erkennen. Interessieren tut es mich sowieso nicht wirklich, da ich gerade mit jeder Art von Alkohol zufrieden wäre. "Scheint als könntest du den gebrauchen!", sagt sie und reicht mir dabei zwei Gläser, die sie in ihrer anderen Hand hält. Nachdem sie sich neben mich gesetzt hat, halte ich ihr diese hin und sie befüllt sie mit einer braunen Flüssigkeit, die ich sehr schnell als Whisky identifizieren kann. Sie stellt die Flasche neben sich ab, nimmt dann das Glas das ich ihr reiche und nachdem wir angestoßen haben, trinken wir einen Schluck. "Willst du darüber reden?", fragt sie mich ruhig und ich sehe aus dem Augenwinkel, dass sie mich ansieht. Ich hingegen, habe meinen Blick weiter auf das Meer gerichtet, auch wenn ich nicht wirklich viel sehen kann. "Denke nicht.". Paola akzeptiert diese Antwort, ohne weiter nachzufragen. "Der Kapitän hat vor den nächsten Tagen gewarnt. Es könnte stürmisch werden.". Ich nicke nur, denn diese Information ist mir nicht neu. Ich habe mir heute auch die Wetterkarten angesehen und da war das Sturmtief bereits deutlich zu erkennen, auf welches wir aktuell zusteuern. Eine Zeit lang herrscht Stille zwischen uns, was es mir ermöglicht bereits frühzeitig die Schritte zu vernehmen, die sich dem Bug nähern. Da es keine strammen Schritte sind, kann ich mir nur eine Person vorstellen, zu der diese gehören könnten. Und bereits nach kurzer Zeit darf ich feststellen, dass ich mich nicht irre, als Maya sich etwas seitlich von uns an das Geländer lehnt und nach unten blickt. "Ich würde eher vom Heck springen, da landest du in der Schiffsschraube.", kommt es unverblümt von Paola, weshalb sie von mir einen Schlag gegen ihr Bein erhält und Maya am Geländer zusammenzuckt. Nachdem sie sich umgedreht und uns gesehen hat, kann ich trotz der Dunkelheit erkennen, wie sich ihre Augen weiten. "Ich...ich wollte euch nicht stören.", sagt sie nur und will bereits wieder gehen, als Paola anfängt zu lachen und sie so zum stehen bringt. "Du störst nicht. Setz dich zu uns, der Whisky reicht auch für drei.". Ich sitze nur ruhig da und schaue Maya an. Gerade als sie etwas sagen möchte, vibriert der Pager von Paola. "Scheint so, als könntest du meinen Platz übernehmen.", sagt sie und lächelt Maya dann an, die immer noch am Geländer steht und zögert. "Jetzt komm schon her.", fordert Paola sie auf und zu meiner Überraschung, tut sie es auch. Schnell zwinkert mir die verrückte Italienerin zu, bevor sie in der Dunkelheit verschwindet. Maya hingegen hat sich mit etwas Abstand zu mir auf die Kissen gesetzt. "Wenn du etwas näher rückst, kannst du mit unter die Decke.", sage ich ruhig und halte dabei die Decke etwas hoch. Sie zögert, doch der herrschende Wind scheint sie zu überzeugen, weshalb sie weiter zu mir rückt und ich die Decke über ihre Beine lege. Statt der Jeans trägt sie nun eine Jogginghose. Den Reißverschluss ihrer Sweatshirtjacke hat sie bis oben hochgezogen, und sie richtet ihre Kaputze so, dass ihr Hals geschützt ist. "Ich wollte euch wirklich nicht stören.", sagt Maya und ist damit die erste, die die Stille durchbricht. "Du hast uns nicht gestört.". Sie scheint es immer noch nicht zu glauben. Unruhig zieht sie ihre Jackenärmel über ihre Hände und schaut auf den Horizont. Ich stelle mein Glas ab und greife dann mit beiden Händen nach ihren. "Du kannst niemals stören. Vor allem nicht Paola und mich.". Diese Aussage lässt Maya auflachen. "Achja? Also willst du mir jetzt erklären, dass zwischen euch nichts ist?". Ihr Blick ist nun auf mich gerichtet und ihre dunkel braunen Augen starren mich an. "Ich habe mit ihr geschlafen. Doch es ging nur um Vergnügen. Mehr ist es nicht.", sage ich ruhig und schaue ihr direkt in die Augen. Sie ist die erste, die den Blick abwendet und auf unsere Hände schaut. Ich halte ihre weiterhin in meinen, doch mein Griff ist locker, sodass sie ihre Hände jederzeit wegziehen könnte. Doch sie tut es nicht, sondern lehnt sich an den Container und schaut wieder auf das Meer.
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Dilemma
General FictionDie Fortsetzung zu "Richtig oder Falsch?" 1 Jahr, 3 Monate und 10 Tage ist es nun her, dass Alex in den Bauch geschossen wurde. Vor 11 Monaten ist sie aus dem Koma erwacht, doch dies wissen nur ihre Eltern und Elisa. Für den Rest der Welt ist Alexan...