Etwas genervt verlasse ich Mayas Kabine und mache mich auf den Weg auf die Brücke. Zwar hätte es keinen ungünstigeren Zeitpunkt für eine Störung geben können, doch wenn der Kapitän mich persönlich auf der Brücke sehen möchte, dann gibt es dafür einen guten Grund. Immer mal wieder muss ich stehen bleiben und mich festhalten. Der Wellengang hat noch einmal zugenommen, weshalb das Schiff ordentlich von links nach rechts gewogen wird. Auf der Brücke angekommen, erkenne ich, dass wir unter minimal Besetzung fahren. "Es sind alle in ihren Kabinen. Nur wer Dienst hat und wirklich gebraucht wird, darf sich frei bewegen.", beantwortet der Kapitän mit tiefer Stimme meine nicht gestellte Frage. "Es wird schlimm werden. Alle bekommen Essen mit auf ihre Kabinen um diese nicht verlassen zu müssen.". Er sieht mich nicht an, sondern blickt mit einem Fernglas auf das stürmische Meer hinaus. "Wie schlimm?", frage ich, während ich mich festhalte, um nicht gegen ein Gerät geschleudert zu werden. "Aktuell ist es ein Sturm der Stärke 9. Doch er ist noch nicht ausgereift.". Ich nicke nur. Gestern hieß es noch, dass es maximal ein Sturm der Stärke 9 werden könnte. "Wir drosseln die Geschwindigkeit. Passen Sie auf sich auf, ihr Vater würde mir nicht verzeihen, wenn Ihnen etwas zustößt.". Er hat mich kein mal angesehen. Er ist ein großer, breitschultriger Mann, mit dichtem braunen Bart. Vermutlich haben die meisten Menschen angst vor ihm, doch in Wirklichkeit ist er ein friedvoller Mann, der niemandem etwas tun würde. Vorsichtig verlasse ich die Brücke und gehe in Richtung Kabine. Rasch werfe ich einen Blick in die Kombüse, nur um zu sehen, wie Paola alles für den Sturm sichert. Da sie schwer beschäftigt scheint, störe ich sie nicht, sondern greife zwei der Essenstüten und mache mich mit ihnen auf den Weg zurück zu Maya.
An ihrer Tür angekommen dauert es einen Moment, bis sie auf mein Klopfen reagiert. Sie sieht recht blass aus und ich ahne, dass ihr das gewackel auf dem Schiff nicht bekommt. "Komm mit in meine Kabine.", sage ich ruhig und blicke Maya liebevoll an. Überrascht erwidert sie meinen Blick und scheint die Bitte nicht einordnen zu können. Während ich unterwegs war, hat sie sich zumindest etwas angezogen, weshalb sie nun eine lockere Jeans und ein Sweatshirt trägt. Viel mehr scheint sie nicht geschafft zu haben, da ihre Haare noch immer etwas durcheinander sind. "Der Sturm wird noch schlimmer werden. Ich habe uns Essen mitgebracht und jeder muss in der Kabine bleiben.". Jetzt wirkt sie nicht nur verwirrt, sondern es erscheint etwas anderes in ihrem Blick, etwas ängstliches. "Ich möchte auf dich aufpassen und sichergehen, dass dir nichts passiert.". In meiner linken Hand halte ich die Tüten mit dem Essen, während ich Maya meine rechte Hand entgegen strecke. Sie zögert, sieht auf meine Hand und dann wieder in mein Gesicht. Nachdem was heute morgen passiert ist, hätte ich eigentlich gedacht, dass es leichter wäre. Nach einem endlos wirkenden Moment, greift sie meine Hand und zieht mit der anderen ihre Kabinentür zu. Gemeinsam und vorsichtig gehen wir die wenigen Schritte zu meiner Kabine. Erst als wir die Tür erreicht haben, lasse ich ihre Hand los um diese zu öffnen. Beinahe aus Sorge, sie könne es sich doch noch anders überlegen, greife ich dann wieder ihre Hand und wir gehen gemeinsam in meine Kabine. Das Essen räume ich in den Kühlschrank, während sich Maya umschaut. Ein großes Bett, ein Schrank, Schreibtisch und die Tür zum Badezimmer. Mehr gibt es nicht zu sehen. Der Schreibtischstuhl ist mit dem Tisch verbunden, welcher an der Wand befestigt ist. Den Schrank habe ich bereits heute Morgen abgesperrt und alles was noch rumlag, habe ich sicher verstaut. Während Maya noch immer nur dasteht und sich umschaut, werfe ich einen kurzen Blick durch das Fenster nach draußen. Es regnet in strömen. Man hört einen tiefen Donner, bevor es wieder nur die Welle sind, die man gegen das Schiff schlagen hört. Es ist laut und das Schiff schwankt immer stärker. "Möchtest du etwas essen?", frage ich und schaue sie dann an. Ihr Anblick beantwortet mir die Frage direkt, denn sie sieht aus, als würde sie jegliche Nahrung eher auf dem Boden verteilen als nun etwas zu genießen. Die nächste Welle schlägt gegen das Schiff und es neigt sich stark, weshalb Maya das Gleichgewicht verliert und gegen die Wand prallt. Ich schaffe es, mich kurz vorher noch abzufangen und gehe sofort die Schritte zu ihr, um sie festzuhalten. Sonst würde sie vermutlich, sobald das Schiff zurück kippt, gegen das Bett gepresst werden. Als ich merke, wie sich alles in die andere Richtung neigt, lege ich meinen Arm um sie, halte mich an einem Griff an der Wand fest und presse Maya leicht gegen die Wand. Etwas überrascht und auch schockiert schaut sie mich an. "Ich will nur verhindern, dass du dir weh tust.", versuche ich ihr mein handeln zu erklären und erhalte dafür erst einen skeptischen Blick und dann ein Grinsen. Dies verschwindet allerdings, als sich das Schiff immer mehr neigt und Maya gegen mich gepresst wird. Nun scheint sie eher wieder ängstlich zu sein. Ihre Hände liegen auf meinen Schultern und sie klammert sich förmlich an mir fest. Ich kann nicht verhindern, dass mir ihre Nähe gefällt, doch gerade ist der falsche Zeitpunkt sich ihr zu nähern. Denn auch ich muss mich bemühen, nicht los zu lassen. Für Maya brauch ich einen Platz, an dem sie sicher ist. Wo ihr erst einmal nichts passieren kann. Ich schaue mich in der Kabine um, bis mein Blick am Bett hängen bleibt. Wenn sie sich unter die Decke legt, könnte ich zwei bis drei Spanngurte über ihr festmachen und sie würde nicht von links nach rechts rutschen. Nur wie bringe ich ihr jetzt schonend bei, dass ich sie quasi an mein Bett fesseln möchte? Egal wie ich es in meinem Kopf formuliere, seltsam klingt es am Ende jedes mal. Daher beschließe ich, es einfach frei raus zu sagen. "Wenn du dich in mein Bett legst, könnte ich dich mit Spanngurten fest machen.". Ein Blick in ihre Augen, die sich sofort weiten zeigt mir, dass ich es nicht hätte dämlicher formulieren können. Da die Wellen etwas nachgelassen haben, trete ich ein Stück von ihr weg. "Es ist nur eine Idee, damit dir nichts passiert.", versuche ich mich zu erklären, doch sie schaut mich weiter skeptisch an. Durch die nächste Welle werde ich gegen sie gedrückt, kann mich zwar noch abfangen, bevor sie mein volles Gewicht zu spüren bekommt, doch zwischen uns würde nicht einmal ein Blattpapier platz finden. Kurz höre ich Maya schlucken, ihre rechte Hand liegt an meiner Hüfte und sie schaut mich mit ihren dunklen braunen Augen an. "Und du? Legst du dich zu mir?". Diese Frage überrascht mich. Mehrmals öffne ich meinen Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Seit wann ringe ich nach Worten?! Kurz schließe ich meine Augen, atme tief durch und blicke ihr dann wieder in ihre. "Wenn du magst, könnten wir einen Film schauen?".
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Dilemma
General FictionDie Fortsetzung zu "Richtig oder Falsch?" 1 Jahr, 3 Monate und 10 Tage ist es nun her, dass Alex in den Bauch geschossen wurde. Vor 11 Monaten ist sie aus dem Koma erwacht, doch dies wissen nur ihre Eltern und Elisa. Für den Rest der Welt ist Alexan...