Die Jagd

145 11 2
                                    

In der eiskalten Morgenluft brachte jeder meiner Atemzüge eine weißgraue Tauwolke hervor. Jeder meiner Schritte erzeugte ein leises Knirschen auf dem mit feinem Frost überzogenen Waldboden. Ich hoffte, dass ich damit keine Tiere aufschreckte, die überaus empfindlich auf jedes Geräusch reagierten. Die Winterkälte drang durch meinen gefütterten Mantel und die mehreren Schichten meiner Kleidung hindurch, jedoch liebte ich dieses Gefühl auf meiner Haut.
Dieser Beweis dafür, dass ich lebendig war.

Ich hielt inne, blickte in den grauen, wolkenbedeckten Himmel und schulterte meinen Bogen. Das vertraute Gefühl auf meiner Schulter beruhigte mich, als ich meinen Weg wieder aufnahm. Ich hatte kein wirkliches Ziel, sodass die kahlen Bäume und der triste Waldboden bald wie ein Traum an mir vorbeizogen. Irgendwann begannen kleine Schneeflocken vom Himmel zu schweben, die auf meiner Hand, die ich hob, sofort schmolzen.

Ein Knacken holte mich aus meiner Betrachtung, weswegen ich sogleich meine Umgebung sondierte und in mehreren Metern Entfernung, unterhalb des Abhangs, an dem ich stand, einen Hirsch entdeckte. Das hoheitsvolle Tier knabberte an den dünnen Büsche. Im dunkelbraunen Fell schimmerten die Schneeflocken wie kleine Diamanten. Das kunstvolle Geweih war nicht nur schön anzusehen, sondern ebenfalls eine gefährliche Waffe.

Ein Glück, dass ich dem Tier nicht allzu nahe kommen musste.

Ich bewegte mich vorsichtig, um keinerlei Geräusche zu machen oder ihn mit einer hastigen Bewegung zu alarmieren. Langsam zog ich einen Pfeil aus meinem Kescher, legte jenen an und zielte auf den starken Hals des Tieres.

Ich atmete einige Male tief durch, um mein schnell schlagendes Herz zu beruhigen. Jeder Atemzug brannte in meiner Lunge, denn die Luft war eisig. Bevor ich beim Ausatmen meinen Pfeil lösen konnte, hörte ich ein Geräusch.

Der Hirsch hob wachsam den Kopf und zuckte mit den Ohren. 

Verdammt, nein!

Aus meiner erhöhten Position konnte ich beobachten, wie ein grauweißer Wolf sich von rechts dem Tier näherte.

Mein Herz setzte mehrere Schläge aus, mir wich die Farbe aus dem Gesicht und meine Hände begannen zu zittern.

Geheul, scharfe Zähne, Krallen, Geschrei und dieser unglaubliche Schmerz...

Ich kniff meine braunen Augen zusammen, um die aufsteigenden Erinnerungen zu verdrängen. Der Sturm an Gefühlen übermannte mich, sodass ich den Bogen senken und mich gegen den Baum neben mir lehnen musste.

Mit langsamen Zählen versuchte ich meinen schnellen Atem zu beruhigen, der meinen Puls in die Höhe trieb. Verzweifelt rieb ich mir die Augen und fuhr mir durchs Haar, wodurch mir die Kapuze vom Kopf rutschte. Mein rotes Haar floss in sanften Wellen über meine Schultern, was einen extremen Kontrast zu der weißen Umgebung bildete.

Ich durfte mich nicht derart in meiner Angst verlieren. Diese Schwäche...
Die Angst wandelte sich in Wut. Ich packte meinen Bogen fester, richtete mich auf und legte erneut den Pfeil an.

Dieses Mistvieh wird mir nicht meine Beute stehlen, dachte ich mir.

Der Wolf lauerte in der Nähe des Hirsches, der immer noch angespannte sein Umfeld musterte. Seine Anspannung spiegelte die meine wieder. Meine Aufmerksamkeit lag jedoch auf dem Raubtier, das sich zum Sprung bereit machte.

Das kannst du vergessen, dachte ich mit einem bösen Lächeln und ließ den Pfeil in dem Moment los, als der Wolf sprang.

Das Jaulen hallte über den Waldboden. Es wurde jedoch von dem gurgelnden Geräusch des Hirsches übertönt, das mit einem dumpfen Knall auf dem Boden aufkam. Tot.
Der Pfeil ragte aus seiner Kehle, während das Blut aus seiner Wunde floss und den Boden unter sich rot färbte. Die Pfeilspitze war an dem Wolf vorbeigeschabt, hatte ihn an der Schulter und am Ohr gestreift.

A court of stars and moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt