Die Vorwürfe

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"Ich glaube, wir können das 'Mylady' lassen, immerhin sind wir darüber bereits hinaus, seitdem ich dir den Mittelfinger gezeigt und dich in meinem Kopf mit so vielen Schimpfwörtern belegt habe, dass sie für eine halbe Armee gereicht hätten", bat ich Cave darum, die Formalitäten zu lassen.

Jener fasste sich bestürzt an die Brust und verzog gequält das Gesicht. "Womit hatte ich diese ganzen Beleidigungen denn nur verdient, Mylady?"

Ich verdrehte die Augen und wollte gerade damit beginnen, ihm die Gründe dafür aufzuzählen, da nickte er bedächtig und verständnisvoll. "Ich weiß es. Es muss an meinem göttergleichen Aussehen und der Tatsache liegen, dass ich Andrés derart nahe stehe. Ich kann dir versichern, dass dein Neid und deine Eifersucht völlig unbegründet sind, denn ich stelle keine Konkurrenz dar - wenn ich gewollt hätte, hätte er mir längst zu Füßen gelegen."

Es vergingen einige Sekunden, in denen ich lediglich blinzelte und mein Verstand versuchte, seine Begründung zu verarbeiten. Meine Augenbrauen wanderten ungläubig nach oben, während der junge Mann mir beruhigend die Schulter tätschelte.

In seinen metallischen Augen funkelte der Schalk, zudem zuckten seine Mundwinkel, als er versuchte die Ernsthaftigkeit zu bewahren. "Von mir aus kannst du ihn haben. Ich schenke ihn dir. Nimm ihn. Er gehört ganz dir", überließ ich ihm von Herzen gerne den Herzog und schob schnaubend seine Hand von meiner Schulter. "Ihr beide würdet ein wunderschönes Paar abgeben und erst eure Kinder!"

Cave seufzte theatralisch entzückt auf und blickte verträumt den Gang entlang. "Hach ja, unsere Kinder wären hinreißend", stimmte er mir zu.

Es herrschte eine kurze Stille, bevor wir beide in Gelächter ausbrachen. Es war das erste Mal seitdem ich von meinem Onkel fort war, dass ich unbeschwert lachte - ach, das erste Mal seit langer Zeit!

Ich kicherte noch leise, während die Situation zwischen uns nun deutlich entspannter war. Cave grinste breit, dabei wurden seine attraktiven Züge hervorgehoben. Wenn ich damals dachte, dass er der bisher schönste Mann war, den ich je gesehen hatte, konnte ich jetzt immer noch mit meinem Leben dafür herhalten, dass er verflucht gut aussehend war. Allerdings war er nicht mehr der schönste Mann, den ich je gesehen hatte.

Andrés.

Ich gab es nur ungern zu, jedoch war Herzog Andrés Mitras die menschliche Personifikation eines Gottes. Sein Bild könnte zwischen den huldigenden Malereien über die Götter hängen und man würde keinen Unterschied feststellen.

Ich fange gleich noch an zu sabbern - lächerlich!

"Nachdem wir das nun geklärt haben. Wollen wir, Mylady?", er bot mir seine Armbeuge dar, die ich mit einem Schmunzeln ergriff und mich von ihm den Gang entlang führen ließ.

Dieser Palast war ein riesiges Labyrinth. Ich war schlichtweg nicht dazu in der Lage, mir jeden Gang, jede Biegung und jeden Raum zu merken und gleichzeitig noch den Ausführungen des Mannes zu folgen. Es war dem Älteren hoch anzurechnen, dass er versuchte jede sagenumwobene Geschichte und jedes kleinste Gerücht zu den Orten zu erzählen, wobei ich davon ausging, dass er sich einige nur ausdachte. 

Es war unmöglich, dass Faríes nachts in der Küche Töpfe oder Löffel verlegten, um die Köche zu ärgern und sich hinterher ins Fäustchen zu kichern. Faríes waren zarte, hinterlistige Wesen von der Größe einer Hand mit feinen Flügen, blasser Haut und bunten Haaren - so besagen es die Legenden. Es waren jedoch nur Legenden.

Oder?

Es war schwierig zu erkennen, ob Cave seine Worte ernst meinte oder mich nur auf den Arm nehmen wollte. Nachdem wir die üblichen, wichtigen Orte eines Hauses wie die Küche, die verschiedenen Wohn- und Esszimmer und die Säle besichtigt hatten und der Braunhaarige mir selbst zur Besenkammer eine mystische Geschichte erzählt hatte, brannte ich darauf, die Bibliothek zu erkunden.

A court of stars and moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt