Die Flucht (2)

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Die Dunkelheit und Wärme hatte mich umfangen wie eine Decke, die mich fest und sicher hielt. Ich wollte tiefer darin versinken - am liebsten nie wieder daraus erwachen. Es war wie eine Zuflucht, die mich vor der Grausamkeit der realen Welt schützte.

Durch den dichten Schleier der Schwärze meines Bewusstseins drangen die verschiedensten Eindrücke hindurch. Das stetige, leichte Wippen meines Körpers. Die dumpfen Stimmen und Gesprächsfetzen um mich herum. Der warme, starke Körper an meinem Rücken und die kräftigen Arme um meine Hüfte, die mir eine Geborgenheit vermittelten, dass ich mich enger in diese Umarmung schmiegte.

Ich seufzte wohlig auf und rieb meine Wange an dem weichen Stoff darunter, da vibrierte das tiefe, raue Lachen durch mich hindurch und ich spürte weiche Lippen an meinem Scheitel.

Weiche Lippen? Halt. Stopp. Was?

Dieser Gedanke trieb einen Riss durch die Dunkelheit, der mich wieder ans Licht holte. Ich kämpfte damit, die Augen zu öffnen, währenddessen nahm ich meine unmittelbare Umgebung plötzlich sehr deutlich war.

Das mächtige Reittier unter mir bewegte sich in einem stetigen, trabenden Tempo, dabei trafen seine Hufen bei jedem Schritt dumpf auf dem Boden auf. Mein Mantel war um mich gewickelt, gleichzeitig lag eine weitere Lage auf mir, die mich zusätzlich wärmen sollte, jedoch strahlte die Person hinter mir eine Hitze aus, die jeden Mantel - jedes verdammte Stück Stoff - überflüssig machte. Eine Person, die wie ich sehr eindeutig an meinem Hintern spürte, männlich war.

Verflucht männlich.

"Was zum...", murmelte ich rau und riss die Augen auf, versuchte instinktiv im Sattel nach vorne zu hechten, um Abstand zu gewinnen. Diese abrupte Bewegung versetzte das Pferd in Unruhe, sodass es wiehernd tänzelte und seine Gefährten ansteckte, was mich aus dem Gleichgewicht brachte. Meine Hände klammerten sich an der Mähne fest, als der feste Boden sich mir plötzlich näherte. Ich rechnete bereits mit dem Aufprall, den ich herzlich gerne in Kauf genommen hätte, um von diesem Mann weg zu kommen.

Der Griff um meine Hüfte verstärkte sich augenblicklich und zog mich bestimmt wieder an die muskulöse Brust, dabei spürte ich seine Lippen an meinem Ohr: "Wo willst du hin, Liebling?"

Andrés.

Ich versteifte mich, denn unsere Körper waren so eng aneinander, dass ich jede Bewegung seines Muskeln spüren konnte. Seine Oberschenkel drückten an meine, seine Hüfte schmiegte sich an meinen Hintern und sein Oberkörper presste an meinen Rücken. Ich verfluchte meinen Körper, als jener mit einer verräterischen Wärme in meinem Unterbauch reagierte, anstatt Ekel zu empfinden.

"Weg von dir", zischte ich, um die Reaktion meines Körpers zu überspielen und versuchte dabei, mich in seinem festen Griff etwas von ihm weg zu lehnen. "Siehst du das nicht?"

"Ich sehe es. Jedoch glaube ich, dass du etwas ganz anderes willst", erwiderte er und ich wusste, ohne ihn zu ansehen, dass er süffisant grinste. 

"Ach, und was wäre das?", stellte ich mich dumm, dabei brodelte die Wut in mir, zudem schrillten in meinem Hinterkopf die Alarmglocken, die verlangten, sofort Abstand zwischen ihm und mir zu schaffen.

"Mich", raunte er mit einer Selbstsicherheit, dass ich für einen kurzen Moment perplex die Stirn runzelte. Mir wäre beinahe der Mund offen gestanden, derart dreist war seine Aussage. Seine warme Hand, die auf meinem Bauch lag, rutschte tiefer und mein Körper - dieser elende Verräter - reagierte mit einem aufgeregten Ziehen.

Was glaubte er, wer er ist?

Ich hatte mir seit meinem neunten Lebensjahr von meinem Onkel vorschreiben lassen, wie ich zu leben hatte. Er entschied für mich, was richtig und was falsch war. Er sagte mir, was ich zutun hatte, wer ich war und vor allem, was ich war. 

A court of stars and moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt