Die Überraschung

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Fluchend, schluchzend und schreiend zerrte ich mir das Kleid herunter, das ich achtlos zur Seite warf. Ich rang um Atem, während ich mich nackt an meinem Bettpfosten abstützte, um meine zitternden Beine zu beruhigen. Die durchtränkten Verbände an meinem Rücken waren der einzige Stoff, der meine Haut bedeckte. Ich wusste genau, wie ich gerade aussehen musste - dafür brauchte ich keinen Spiegel:

Mein drahtiger Körper war von einem dünnen Schweißfilmm bedeckt, wobei mein normalerweise warmer Hautton kränklich blässlich wirken musste. Die Strähnen, die sich aus meiner Frisur gelöst hatten, klebten an meiner feuchten Haut im Nacken und an der Brust. Meine Brüste fielen - dank meiner schmalen Figur - klein und flach aus, während meine Hüftknochen spitz hervor standen. Die gezackten Narben, die neben meinem Gesicht auch meinen Körper schmückten, verliefen von meinem Bauch über meine rechte Seite, prangten an meiner rechten Schultern und dem Oberarm - außerdem zeichneten sich ebenfalls die verblassten Bissmale an meinem linken Bein ab. Ich war ein massakriertes Kunstwerk. 

Wenn ich hier raus komme, würde ich endlich das alles essen, was ich wollte und so viel ich wollte. Die rationierten Portionen, die mein Onkel mir gewährte, wahren nicht gerade üppig oder ausgewogen. Götter, für einen Kuchen würde ich morden.

Ich wischte mir mit dem Unterarm über die Stirn, ehe ich mir mit Mühe und Not die Verbände abnahm, das Blutabwusch und halbwegs versuchte die Medizin aufzutragen. Paria erneut damit zu belästigen, widerstrebte mir.

Nachdem ich in das lockere, lange Nachthemd geschlüpft war, kontrollierte ich nochmals, dass meine Tür verschlossen war und rollte mich dann im Bett zusammen. Die Beine zog ich leicht an, während ich versuchte mehr auf Bauch und Seite zu liegen, um den Rücken zu entlasten. Die Erschöpfung wüstete wie ein Tornado in meinem Körper, weswegen meine Glieder unendlich schwer waren, allerdings waren meine Gedanken unermüdlich.

Wie lange würde es noch dauern bis ich von hier fort kann?

Mit dem Hirsch, den ich zurücklassen musste, habe ich meine zwei Silbermünzen verspielt, die mir meine Freiheit ein Stückchen näher gebracht hätten. Der Beutel mit den Münzen war bereits zur Hälfte gefüllt, jedoch fehlte noch einiges...

Ich konnte jedoch keinen Tag länger hier bleiben. Ich hatte verdammt nochmal genug! Ich habe keine Ahnung, wohin ich sollte, Hauptsache fort von hier. Endlich frei sein.

Frei.

Gott, wie das klingt.

Die Tränen der hoffnungsvollen Freude traten mir in die Augen bei dem Gedanken an Freiheit.

Die Freiheit, zu tun und zu lassen, was ich wollte.
Die Freiheit, dorthin zu gehen, wohin ich wollte.
Die Freiheit, einfach ich sein zu können.

Mit dem Traum auf meine näher rückende Freiheit schlief ich ein. Erst spät am nächsten Vormittag als die Sonne zwischen den Vorhängen ins Zimmer fiel und das geschäftige Treiben von draußen herein drang, wachte ich auf.

Murrend vergrub ich das Gesicht im Kissen, denn ich war noch lange nicht ausgeschlafen - davon war ich weit entfernt. Ich wollte zurück in meine Traumwelt abdriften, da ertönte ein dumpfer Knall und dann ein Schwall von Flüchen aus dem Hof. 

Wer zum Teufel verursacht da draußen solch einen Lärm? 

Selbst das Kissen, dass ich mir über den Kopf zog, half nicht die Geräusche auszublenden. Ich blinzelte gegen das Licht an bevor sich meine Sicht klärte. Einige Minuten blieb ich einfach regungslos liegen, lauschte meinem eigenen Atem und prüfte dem dumpf pulsierenden Schmerz nach. Erst dann stemmte ich mich mühsam in eine sitzende Position.

Wenn ich nicht schon wach gewesen wäre, hätte mich das brutale Hämmern an meiner Tür und das Rütteln an der Klinge aus dem Schlaf gerissen. Darauf folgte die wütende Stimme meines Onkels: "Steh endlich auf, du faules Miststück! Die Götter schienen uns endlich erhört zu haben und wir sind dich endlich los."

A court of stars and moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt