Das Versprechen

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Die Schluchzer erschütterten meinen Körper.

Ich presste mir eine Hand gegen die Brust, die andere stützte auf dem Boden zwischen den Stoffen meines Kleides, um mir einen Halt zu bieten, während ich mich unter den überwältigenden Gefühlen krümmte. Die heißen, salzigen Tränen rannten über meine Wangen, tropften von meinem Kinn und benetzten den Rock. Zwischen den heftigen wimmernden Ausbrüchen versuchte ich hilflos nach Luft zu schnappen, doch meine Kehle war zugeschnürt und wurde von den ungehaltenen Schluchzern gefangen gehalten.

Wertlos. Nutzlos. Ungenügend.

Diese grausamen Gedanken kreisten ununterbrochen durch meinen Kopf und flammten die widerlichen Empfindungen, die wie Säure meinen Körper betäubten, an. Durch meinen Tränenschleier hindurch sah ich nur verschwommen, jedoch brannte der beißende Fuchsiaton meines Kleides in meinen Augen und lösten eine Welle der Wut aus, die wie ein Tornado meine Sinne erfassten.

Mit einem unterdrückten Schrei zerrte ich an der gelben Schleife, die unter meinem Angriff riss. Angespornt von diesem brutalen Erfolg, kämpfte ich mich schnaufend auf die Beine und versuchte, mich aus den vielen Lagen Stoff zu befreien. Ich stolperte umher, renkte mit beinahe die Schultern aus, als ich das Korsett versuchte mit Gewalt von mir reißen. Die Röcke folgten, die ich vollkommen außer mir mit einem verzweifelt-wütenden Schrei durch das Zimmer schmiss, dagegen trat und versuchte sie in ihre Einzelteile zu zerfetzen.

Schwer atmend stützte ich mich mit den Händen auf der Rückenlehne des Sofas ab, dabei starrte ich zwischen meinen wirren Strähnen, die sich aus dem Zopf gelöst haben und mir ins Gesicht hingen, das Chaos an. Dieses Chaos löste eine tiefe Befriedigung in mir aus, sodass sich ein bitteres Lächeln auf meinen Lippen ausbreitete.

Ich spürte, wie meine Haut beim Lächeln spannte und erinnerte mich an die mehrschichtige Make-up-Maske, die in mir das Bedürfnis auslöste, sie mir augenblicklich vom Gesicht zu kratzen. Im Bad rieb und wusch ich mir das Gesicht derart aggressiv, sodass meine Haut gerötet war, als die Schminke endlich runter war und ich wieder mein natürliches Gesicht im Spiegel betrachten konnte. Ich hätte niemals gedacht, dass mich der Anblick meiner Narben jemals freuen würde, jedoch war ich einfach erleichtert, wieder ich zu sein.

Die hellbraunen Augen, die kleine Nase, die breiten Lippen, die feinen, scharfen Züge, die gebräunte Haut, das tiefrote Haar und die hellen Narben an meiner Wange.

Das bin ich.

Ich betrachtete mich noch einige Sekunden still und bleckte die Zähne, dabei funkelte Müdigkeit aber auch Entschlossenheit in meinen Augen.

Wenn sie mich nicht haben wollen, können sie mich alle mal.

Mein Wille, schnellstmöglich von hier zu verschwinden, hat sich durch das Abendessen nur verfestigt. 

Ich muss nicht gerettet werden.
Ich muss nicht beschützt werden.
Ich muss frei sein.

Mit diesem Mantra schlang ich die Arme um meinen Oberkörper und tappte im lockeren, weißen Unterkleid zurück ins Schlafzimmer, um mich der Erschöpfung hinzugeben. Ich bemerkte erst jetzt, dass die Habseligkeiten, die mein Onkel ihnen mitgegeben hatte, in mein Zimmer gebracht wurden und nun Koffer, kleine Truhen und Taschen den Raum säumten.

Ich erkannte die unbekannte, massive Truhe wieder, die mir am Morgen meiner Ankunft aufgefallen war. Wie beim ersten Mal runzelte ich die Stirn, denn ich wusste nicht, woher sie stammte - ich hatte sie zuvor noch nie gesehen. Von meiner Neugier gepackt, trat ich näher und kniete mich hin, dabei fuhr ich mit den Fingern über das alte, abgenutzte Holz des Deckels, an dem die Farbe bereits abgeblättert war. In der Mitte prangte das Siegel meiner Familie - ein 'C' umschlungen von Dornen und der Knospe einer roten Rose.

A court of stars and moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt