Die Erinnerung

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Ich atmete zittrig ein und unterdrückte ein Wimmern, während ich mich in den Stoff meines Mantels krallte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich angsterfüllt meine Mutter an, deren wallendes, rotes Haar im fahlen Licht des hereinbrechenden Mondlichts, das zwischen den Vorhängen hindurch schien, schimmerte. Ihre helle Porzellanhaut wirkte noch blasser, beinahe bleich, wohingegen ihre efeugrünen Augen aufmerksam und konzentriert durch den Spalt zwischen den Stoffen blickten. Lediglich ihre knetenden Hände verrieten etwas über ihre Unruhe.

„Mach dir keine Sorgen, mein Liebling", flüsterte meine Mutter, die ihren Blick voller Zuversicht auf mich richtete, dabei berührte sie sanft meine Wange und zwang sich zu einem Lächeln. „Dein Vater wird die Gefahr bannen."

Ich nickte lediglich, denn die Angst hatte mir die Kehle zugeschnürt. Der kleine Dolch, der in der Tasche meines Kleides ruhte, sollte mir Kraft spenden, jedoch konnte nicht einmal das Geschenk meines Vaters das Gefühl von Schutz und Sicherheit in mir aufbringen. Ich verstand nicht, was dort draußen vor sich ging. Welche Gefahr dort lauerte. Wir saßen lediglich in völliger Stille da; einer unheimlichen Stille, denn die natürlichen Geräusche des Waldes waren verstummt.

Es war so still.

Ich zuckte heftig zusammen als das erste, hohe Heulen erklang, in das ein Chor einstimmte, sodass ein Orchester der Klänge um uns hallte. Daraufhin folgte eine ohrenbetäubende Stille, bevor dunkles Knurren uns einzukesseln schien.

Wölfe.

„Momma", ich schluchzte auf und stürzte in ihre Arme, die sie schützend um mich schlang und dabei beruhigend auf mich einredete. Ich konnte jedoch ihre Anspannung spüren.

Meine Momma hatte Angst und sie hatte nie Angst.

„Sh, es wird alles Gut. Du musst ganz still sein, Rhory. Als würden wir verstecken spielen, ja? Wenn wir still sind, können sie uns nicht finden", murmelte sie in mein Haar, dabei strich sie liebevoll über meinen Rücken. „Ganz gleich, was wir hören. Wir sind ganz leise."

Das Zittern erfasste meinen schmalen, kleinen Körper, während ich mein Gesicht am Hals meiner Mutter vergrub. Ihre Nähe, ihre Stärke und ihre Worte linderten mein wild pochendes Herz, jedoch brachte ich nicht den Mut auf, einen Blick aus dem Fenster zu wagen. In der innigen Umarmung spürte ich das Messer, das dabei gegen meine Hüfte gedrückt wurde.

Ob Momma es auch spürte?

Dad hatte es mir geschenkt und mir das Versprechen abgenommen, dass dies vorerst unser kleines Geheimnis blieb. Ich war eigentlich noch viel zu jung für eine Waffe - zumindest sah Momma das so. Deswegen hoffte ich inbrünstig, dass ihr der Gegenstand nicht auffiel.

Mommas Stimme ging in dem Grollen, das ich beinahe körperlich spüren konnte, unter. Darauf zerriss ein herzzerreißendes Jaulen die Luft, das mir in den Ohren schmerzte. Ich presste die Lippen aufeinander und hielt mir die Ohren zu, um dem Lärm zu entgehen, allerdings drangen die Geräusche weiterhin dumpf zu mir durch.

Ich hörte das Brüllen meines Vaters, dann traf etwas Schweres und Hartes die Seite unserer Kutsche, die gefährlich ins Schwanken geriet. Ich kreischte erschrocken auf, erstickte jedoch den Schrei sofort mit meinen Händen, während ich von den schützenden Armen meiner Mutter gehalten wurde, die gleichzeitig versuchte unser Gefährt wieder zu stabilisieren und mich zu halten.

Die Kampfgeräusche prasselten nun völlig auf mich ein. Das Gurgeln, wenn einem Tier die Kehle durchgeschnitten wurde. Das Knatschen, wenn eine Klinge in einen Körper gestoßen wurde. Das Fletschen, wenn ein Tier die Zähne zeigt.

„Papa", schluchzte ich leise, voller Sorge, dass ihm etwas zustoßen könnte.

Er war dort doch ganz alleine. Wie soll er ganz alleine gegen die ganzen Wölfe kämpfen?

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 07, 2023 ⏰

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