Ich starrte ihm entgegen, in der tiefen Versuchung ihm das überschwänglich selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen.
Wieso war ich eigentlich die einzige, die es verwunderlich fand, dass der Baron keine Kleidung trug?
Götter, was ist, wenn seine Gefolgsleute das gewohnt waren, weil er das öfters tat? Einfach nackt irgendwo aufzutauchen?
Götter, an was für einen Verrückten hatte das Schicksal mich geführt?Bevor ich mir weiter darüber Gedanken machen konnte, dass dieser Mann weder meinen Fluchtversuch ernst zu nehmen schien, noch die Tatsache, dass er vor mir, seinen Männern und dazu noch im Wald nackt war, löste Andrés die Umarmung und umfasste stattdessen meine Oberarme. Jeglicher Schelm war aus seinen attraktiven Zügen verschwunden.
"Das war rücksichtslos von dir, Rhory", begann er, dabei verstärkte sich sein Griff mit jedem Wort. "Ich hätte mir etwas brechen können. Ich hätte sterben können. Meinen Männern hätte etwas passieren können. Und vor allem - dir hätte etwas passieren können."
Die letzten Worte sprach er mit einer derartigen Intensität, dass mich ein Schauer durchlief. Das Meer war aus seinen Augen gewichen und wurde von einer allumfassenden Schwärze ersetzt. Das schwere Knurren, dass seinen Worten folgte, untermauerte seine Wut - seine tiefe Sorge darüber, dass ich mich tatsächlich hätte verletzen können. Seine Finger gruben sich schmerzhaft in meine Haut.
Ich presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und versuchte instinktiv die Distanz zu vergrößern, die er beim Sprechen überbrückt hatte. Er wirkte wieder wie das wilde Tier, dass ich vor ein paar Tagen beim Abendessen erlebt hatte, umgeben von einer gefährlichen Aura. Sein mächtiger Körper baute sich weiter über mir auf, mit der Ziel, mich unter seiner Erscheinung zum Kuschen zu bringen.
Ich hatte mich mein halbes Leben lang unterwürfig geduckt. Jetzt nicht mehr.
"Hast du dir etwas gebrochen? Bist du tot?", wollte ich von ihm in einem unschuldigen Tonfall wissen.
Sein Mund, der noch geöffnet war, klappte zu, denn er hatte nicht mit einem Einwand von mir gerechnet. Der junge Mann runzelte die Stirn und erwiderte: "Nein..."
"Dir geht es also prächtig. Du hast dir weder was gebrochen, noch bist du tot - zu meinem Leidwesen", ich reckte das Kinn, um mich ebenfalls größer zu machen, doch mit meiner durchschnittlichen Körpergröße konnte ich seiner keinerlei Konkurrenz machen.
"Dann hätten wir das ja geklärt. Jetzt lass mich los. Du tust mir weh", zischte ich ihm entgegen und wandte mich in seinem Griff.Als hätte er sich an mir verbrannt, ließ Andrés mich augenblicklich los und trat einen Schritt zurück. Aufgebracht und zerknirscht fuhr er sich durch das schwarze, seidige Haar.
"Es tut mir leid. Ich- Du treibst mich zur Weißglut! Ich will dich nur beschützen, doch du machst es mir so verdammt schwer!"
Ich war gerade dabei gewesen, meinen Mantel enger um mich zu schlingen und mir die schmerzenden Stellen an den Oberarmen zu reiben, da riss ich den Kopf hoch und stieß ein empörtes Lachen aus.
Das Maß an Absurdität war bereits überschritten, doch ich konnte nicht sagen, was die Skala sprengte: Die Tatsache, dass er mir für diese Situation die Schuld gab oder dass ich mitten im Nirgendwo mit meinem nackten Mann stritt.
"Ich habe nicht darum gebeten, beschützt du werden", brach es wütend aus mir heraus.
Der Dunkelhaarige sah mich dunkel an. "Dann hätte ich dich lieber bei deinem Onkel lassen sollen?"
"Du bist in mein Leben getreten und hast für mich entschieden, dass ich beschützt werden muss. Ich bin zurecht gekommen! Ich musste nicht von dir gerettet werden."
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A court of stars and moon
WerewolfUnter der Hand ihres Onkels durchlebt Rhory seit ihrem neunten Lebensjahr eine grausame Behandlung. Narbengesichtige Hure. Nutzloses Miststück. Entstellte Hexe. Rhory hofft und kämpft um ihre Freiheit, die täglich näher rückt. Eine Freiheit, die ihr...