Kapitel 2

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Als ich New York schon vor mir sehen kann, ist es dunkel geworden. Um mich herum kann ich nur noch Silhouetten von Gegenständen und vereinzelten Bäumen am Straßenrand sehen. Wenn mich jetzt jemand sehen würde, der Überlebenskünstler ist, würde er denken ich bin lebensmüde.

Um ehrlich zu sein, überlege ich auch schon langsam, ob ich das nicht schon lange bin.

Mittlerweile befinde ich mich auf einer breiten Autobahn, die direkt in die Stadt hineinführt.
Außer ein paar Leichen, die in ihren Autos liegen, kann ich jedoch nichts bedrohliches erkennen.
Naja, wahrscheinlich noch nicht.
Vorsichtig schleiche ich leise um die mir im Weg stehenden Autos herum, um keine Aufmerksamkeit von irgendjemandem auf mich zu richten. Es hätte vielleicht sogar ein Niesen gereicht, um irgendeine Horde von Untoter auf mich aufmerksam zu machen.
Ich behalte aber meine Ruhe bei und gehe unentwegt die letzten Meter, bis ich ein rissiges, großes Schild erreiche, das wahrscheinlich jedem Autofahrer deutlich machen sollte, dass er nun in New York ist.
Aber es ist zu dunkel, um es zu lesen.
Aus Angst, bemerkt von irgendetwas zu werden, schalte ich auch meine Notfalllampe nicht an, die eigentlich für solche Situationen gedacht ist.

Als ich durch die ersten Häuserreihen geschlichen bin, kann ich schon von weitem ein Gestöhne und Geschlurfe eines Walkers hören.
Bitte, nicht jetzt.
In der Hoffnung, dass er mich nicht gehört hat, versuche ich seinen Standpunkt zu erahnen und mache einen weiten Bogen um ihn herum und laufe zügig weiter.
Ich muss mich beeilen. Selbst die Silhouetten der Stadt sind nun schon kaum zu erkennen.

Ich weiß schließlich nicht mehr weiter und sehe ein Gebäude vor mir, dass ein flaches Dach hat.
Dort muss ich wahrscheinlich die Nacht verbringen.
Los Dawn, reiß' dich zusammen!

Ich schleiche an das würfelförmige Haus heran und schaue es mir an.
Außer ein paar blutigen Handabdrücken kann ich nichts erkennen. Also beschließe ich um es herum zu gehen und erkenne einen Mülleimer.
Ich hieve mich an dem Mülleimer hoch und klettere schließlich auf das Dach.
An schlafen ist noch gar nicht zu denken, doch ich muss es versuchen.
Und zumindest habe ich noch nie einen Beißer gesehen, der an glatten Wänden hochklettert. Ich muss mich beruhigen, mich ruhig verhalten und schlafen, was ich dann schlussendlich auch tue.

Nächster Morgen:

Ich werde von einer Alarmanlage eines Autos geweckt. Sofort stehe ich auf den Beinen und habe meinen Bogen gespannt. Doch auf diesem Dach auf dem ich die ungemütlichste Nacht meines Lebens verbracht habe, ist kein Eindringling zu sehen. Ich atme aus und schaue auf den Boden.
Ich habe mich gestern einfach auf den Dach-Boden gelegt und habe meinen Rucksack als Kopfkissen genommen. Es war nicht gerade bequem aber es ging. Da ich glücklicher Weise eine Decke gefunden hatte, war die Nacht ganz erträglich.
Ich packe also meine Sachen zusammen und überlege ob ich etwas essen sollte, schlage es mir aber aus dem Kopf und denke an härtere Zeiten.
Ich begebe mich vorsichtig an den Rand des Daches und Blicke nach unten.
Außer einem Beißer der vereinzelt den Weg hinab stolpert kann ich nichts erkennen.

Sollte ich tiefer in die Stadt? Nein, das wäre Selbstmord. Obwohl, begehe ich ihn hiermit nicht schon?
Ich beschließe kurzerhand auf dem Dach zu bleiben und von hier aus Ausschau zu halten. Es kann ja nicht allzu unwahrscheinlich sein, dass eine menschliche Lebensform (falls es noch welche gibt) hier vorbei kommt. Ich meine ich bin ja beinahe am großen Ausgang dieser Stadt, oder?
Ich beobachte also jede Ecke dieser Stadt, die ich sehen kann, um mir nichts zu entgehen zu lassen.

Montag Abend:
Ich verbringe den Tag wieder auf dem Dach. Heute haben sich in meiner Straße ein paar Beißer versammelt. Ich musste also ruhig bleiben. Als ich dann von weitem eine Alarmanlage eines Autos gehört hatte, wurden sie dort hingelockt.
Ich habe kaum noch Vorräte und muss bald los um mir wieder welche zu holen.
Ich mache es mir wieder auf meinem Dach bequem. Ich habe heute hinter dem Haus auf dem ich mich befinde in einem kleinen Abstellraum eine isolier Matte gefunden fürs Zelten. Nun ist es bequemer wie sonst.

Dienstag Mittag:
Nichts. Immer noch nichts. Ich beginne damit, meine letzte Dose zu öffnen, und sie zur Hälfte zu essen. Ich habe noch eine volle Flasche Wasser. Doch die wird mir nicht ewig halten. Also war ich schon früh morgens in einem der Drogeriemärkten und habe mich mit dem Rest, der dort noch verblieb, eingedeckt. Dabei wurde ich von einem der Untoten angefallen. Mit ihm kamen weitere in den Laden. Ich musste also schnell handeln und mich weiter nach hinten in den Handel begeben. Dort fand ich glücklicherweise einen Hinterausgang, aus dem ich floh aber dennoch zwei weitere Walker ausschalten musste.

Mittwoch Abend:
Heute habe ich es gewagt. Ich bin nach unten gestiegen und habe einen der Beißer umgelegt. Nachdem ich mich mit seinen Eingeweiden eingerieben hatte, bin ich durch die Straßen von New York getaumelt, als wäre ich unsichtbar. Ich wollte einfach nur noch jemanden finden, mit dem ich reden konnte. Oder es zumindest versuchen. Ich bin etwa drei Blocks entlang gelaufen, doch nichts was mich darauf hinwies, dass es leben in der Stadt gibt.
Nach einer Stunde gab ich auf. Ich ging zurück zu meinem Haus und packte meine Sachen.

Donnerstag Mittag:
Ich war noch deprimierter als zuvor und verließ ohne weitere Probleme die Stadt.
Der Gestank nach Tod klebt noch immer an mir. Ich habe mittlerweile wieder den Wald erreicht und Knie nun neben einem Fluss.
Erneut schaue ich an mir herunter.
So kann ich nicht mehr weiter gehen.
Der Gestank ist zu beißend. Schnell schaue ich mich um, um sicher zu gehen, dass kein Beißer in der Nähe ist.
Als ich mich wieder an die Alarmanlage eines Autos erinnere, die ich letztens gehört hatte, glaube ich auch nicht, dass welche hier unterwegs sind.
Ich ziehe also meine Klamotten aus und wasche sie im Fluss, während ich mich jedoch wachsam immer wieder umsehe.
Als ich diese nun endlich einigermaßen sauber bekommen habe, beschließe ich, mich selbst noch zu waschen und säubere mich, so gut es geht. Anschließend wickle ich mich in meine Decke ein, während ich darauf warte, dass meine Klamotten wieder trocken werden. Diese habe ich bereits auf einen Ast gehängt, auf den die Sonne scheint. Ich schaue mich immer aufmerksam um und habe meinen Bogen schussbereit.
Als ich nach zwanzig Minuten meine Kleidung endlich wieder anlegen kann, höre ich plötzlich ein rascheln und knacken von Ästen.
Sofort lasse ich meinen Rucksack fallen, den ich gerade wieder anziehen wollte zum weitergehen.
Ich ziele in die Richtung, aus der es kam.
Wieder ein knacken, nur dieses mal lauter als zuvor. Ich kneife die Augen leicht zusammen und spanne an.
Drei, zwei.... "Hey!"
Ich erschrecke.
Eine menschliche Stimme. Sowas habe ich schon so lange nicht mehr zu hören bekommen.
"Waffe runter! Dann komm' ich raus! Verstanden?"
Wie perplex ziele ich immer noch in die Richtung, aus der die Stimme kommt.
Plötzlich sehe ich einen jungen Mann, etwas älter wie ich, aus dem Dickicht kommen. Seine Armbrust angelegt und auf mich gerichtet.
"Ich hab gesagt Waffe runter!", meint er ruppig.
Erst jetzt realisiere ich es. Sofort lasse ich die Waffe sinken. Etwas zögerlich ahmt er es mir nach.
"Wie heißt du?"
Ich antworte nicht, obwohl ich es möchte.
Seine etwas längeren, braunen Haare hängen ihm ins Gesicht und sein drei-Tage Bart lässt mich daraus schließen, dass es ihm nicht schlecht geht. Er ist gut gebaut und sieht gut ernährt aus.
"Verstehst du mich nicht?"
Jetzt weiß ich es wieder.
"Mein Name ist Dawn Scott, ich bin schon seit einem Monat, zwei Wochen und einem Tag alleine da draußen, und kämpfe ums überleben. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und wohnte zehn Kilometer von New York entfernt, als es anfing.
Ich wurde von meiner Familie getrennt und habe schlussendlich Schutz bei einer Gruppe gefunden.
Tragischer Weise wurde diese von Beißern überrannt und ich war die einzigste Überlebende. Seitdem bin ich allein."
Ich weiß, dass die Anzahl der Tage, die ich schon hier draußen bin, nicht genau ist, aber das ist mir im Moment egal.
"Hast du ein Lager?"
Ich schüttle den Kopf.
Mit einem Wink gibt er mir zu verstehen, dass ich ihm folgen soll. Ohne ein weiteres zögern folge ich ihm. Ohne nachzudenken, was er vor haben könnte, packe ich meine Sachen und gehe ihm hinter her.
Was habe ich schon zu verlieren was ich nicht schon einmal verloren habe? Ich muss mitgehen. Vielleicht habe ich ja Glück.
Wir gehen einige Minuten durch den Wald und ich muss mich anstrengen, sein Tempo einzuhalten, aber ich schaffe es. Anschließend kommen wir auf einer Straße an. Um uns herum vereinzelte kaputte Autos.
Und ein Motorrad.
Als der Unbekannte sich darauf setzt, wendet er sich an mich.
"Los, komm schon. Ich werd dir schon nichts tun."
Ich setze mich hinter ihn, und versuche dabei, ihm nicht zu nahe kommen.
"Ich bin übrigens Daryl." Mit diesen Worten startet er den Motor und fährt los.

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