Kapitel 6

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Ich falle auf die Knie, betrachte das improvisierte Kreuz und kann nicht anders. Ein leises schluchzen entweicht mir, was ich sofort wieder unterdrücke. Ich möchte nicht schwach aussehen. Vor niemandem.
Vor mir liegt mein Bruder. Vergraben. Er war der letzte, bevor ich allein war. Der letzte aus meiner Familie. Und nun ist er weg.

Ich lege die Blume, die ich auf meinem Weg zu seinem Grab gefunden habe dort hin.

Vielleicht hätten wir schon früher zu ihnen gehen sollen. Vielleicht wäre er nun am Leben. Doch wir wollten ja unbedingt weiter laufen, da wir daran glaubten dass in New York noch Zivilisation besteht. Wie dumm wir doch waren. Und nun bin ich doch hier.
Anmerken lasse ich mir trotzdem nichts. Ich wollte nicht, dass jemand merkt, dass ich hier schon einmal in der Nähe war.
Ich reiße mich endlich zusammen und atme tief ein.

"Alles Okey?"
Ich stehe schnell auf und wische mir eine Träne Weg, die mir die Wange hinunter läuft. Daryl sollte nicht sehen, dass ich weine.
Ich nicke. "Wird schon gehen."
Er kommt auf mich zu und schaut an mir vorbei auf das Kreuz, das ich gemacht habe. Daryl scheint sofort zu begreifen.
"Du warst schon mal hier. Stimmts? Wieso seid ihr nicht zu uns gekommen? Wir hätten euch aufnehmen können. So wie dich.", sagt er und schaut nun mich an.
"Ich weiß...doch wir wollten nach New York. Und als er starb...ich wollte ihm seinen letzten Wunsch erfüllen und sehen, ob ich in New York jemanden finde. Oder Zivilisation, ich weiß nicht. Irgendeine Art von Hoffnung." Kurz schweigen wir, doch dann finde ich meine Stimme wieder. "Lass uns gehen. Ich will nicht noch länger hier bleiben."
Ich Stürme an ihm vorbei während ich gewaltsam verhindern muss, dass mir erneut eine Träne die Wange hinunter läuft.
"Nicht so schnell. Warte doch.", höre ich Daryl mir zu rufen, aber ich kann nicht.
Ich komme noch drei Schritte weiter, bevor mich eine Hand sanft zurück zieht.
"Warte doch." Erneut bleibt er ruhig.
"Auf was denn?", entgegne ich genauso still.
"Wen hast du da begraben?"
Ich schweige.
Der braunhaarige Armbrustschütze steht vor mir und ich kann seine Blicke förmlich spüren.
"Familie?"
Ich nicke stumm während mir eine weitere ungewollte Tränen über die Wange läuft, spüre ich eine Hand, die sie sanft aus meinem Gesicht wischt.
"Hey, ist ok. Komm, ich bring dich zurück zur Farm. Hier sind wir nicht sicher."
Wieder nicke ich nur. Würde ich jetzt reden, würde ich wahrscheinlich weinen.
Und weinen ist keine Option mehr für mich.

Während dem Weg zurück hat niemand von uns ein Wort gesprochen. Ich war zu müde und voller Trauer um etwas heraus zu bringen.
Tagsüber sieht man mir das nie an, das war mir schon immer bewusst, aber wenn ich allein bin, ist alles anders. Dann bin ich anders. Ich glaube jeder Mensch ist so, wenn er nicht völlig emotionslos ist.
Deshalb glaube ich auch nicht das Daryl so emotionslos ist, wie er scheint.

Flashback:
Ich sitze neben Maggie, die ich schon zuvor einmal im Haus getroffen hatte. Wir sitzen am unteren Ende eines langen Tisches, der mit mehr oder weniger genügend Essen bedeckt ist. Um mich herum Menschen, die wie ich überlebt haben und sich darüber freuen, dass sie sich gegenseitig haben.
Ich beneide sie darum, sich eine große Familie nennen zu können, da meine nicht mehr da ist.
"Dawn, möchtest du noch etwas? Du hast ja kaum etwas gegessen.", Carol, eine Frau die etwas älter ist mit kurzen grauen Haaren, meldet sich zu Wort und sieht mich besorgt lächelnd an.
Ich wiederum schüttle den Kopf. "Nein, ich bin satt. Trotzdem vielen Dank."
Verständlich nickt sie mir zu.
"Darf ich mir die Frage erlauben, wie lange du schon da draußen warst, ich meine seit dem alles den Bach runter ging." Die Frage kommt von Glenn, einem dunkelhaarigem Asiaten, der neben Maggie sitzt.
Ich nicke gedämpft. "Seit dem alles anfing. Ich blieb nie Zuhause. Dort schien es mir am wenigsten sicher. Ich wollte in Bewegung bleiben und anfangs schienen mir auch Städte zu gefährlich. Doch eines Abends hörten wir durch ein altes Radio einen Funkspruch, der besagte, dass es in New York noch Aufnahmestationen gab. Es versprach Zuflucht und Versorgung für jeden... Nun ja, nichts davon hat sich bewahrheitet.."
Ich schaue in die Runde und sehe hauptsächlich verständnisvolle Gesichter. Niemand von ihnen scheint das was ich gesagt habe Widerrufen zu wollen.
"Du hast einen Bogen, nicht wahr? Wie gut bist du damit?" Ihr Anführer Rick schaut mich kritisch an.
"Naja...ich möchte mich nicht überschätzen, aber ich denke ich bin ziemlich gut. Ich war in einem Bogenschützen Verein...da war ich ziemlich gut, denke ich. Ich hab meistens entweder das rote oder mindestens das gelbe einer Zielscheibe getroffen.", gebe ich mit einem Schulterzucken von mir.
Um mich herum nehme ich immer wieder Geräusche von Besteck wahr und Gespräche die neben dem das wir führen, geführt werden was mir die Anspannung nimmt.
"Das ist gut. Wir brauchen Leute, die uns bei der Verteidigung helfen. Daryl hat ja auch schon erwähnt, dass du ziemlich gut bist. Wir werden dich auf jeden Fall gut gebrauchen können."
Ich nicke, wie üblich. "Freut mich zu hören."

Als wir aus dem Wald heraus auf den Hof kommen, können wir kaum noch etwas erkennen. Alles ist dunkel und es ist eigentlich lebensgefährlich jetzt noch draußen zu sein.
Da wir neben der Scheune aus dem Wald kamen, bleibe ich stehen, sowie auch Daryl.
"Also...bis morgen..", bringe ich gerade so heraus.
"Bis morgen." Er dreht sich um und geht in Richtung seines Zelts.
Ich bleibe noch einige Sekunden stehen und starre ihm nach, halte es aber dann für etwas zu komisch und gehe leise in die Scheune und klettere in meine Hängematte.

"Diese Mission wird gefährlich werden und wir wollen niemanden dazu zwingen...aber wir brauchen starke und gute Kämpfer, was ihr alle mittlerweile seid."
Wir stehen alle in einem Kreis vor dem Truck, auf dem eine Landkarte liegt.
Unsere Vorräte sind knapp und wir müssen eine neue Besorgungstour machen. Wir sollen zu fünft sein und uns darauf vorbereiten, dass es schwierig werden könnte, da Rick und seine Gruppe schon zuvor einmal dort gewesen waren.
Kurz schweigen alle. Niemand möchte so richtig zustimmen und mitgehen.
"Ich bin dabei.", sage ich deshalb und gehe einen Schritt nach vorne während ich zu Rick schaue, der mit zu nickt.
"Ich auch." Das ist Glenns Stimme.
"Ich möchte auch helfen.", sagt Andrea, eine Frau mit blonden, langen Haaren.
Anschließend ist es kurz still, doch dann höre ich mir eine alt bekannte Stimme hinter mir.
"Bin dabei."
Rick sieht in die Runde. "Alles klar. Ihr wisst was ihr zu tun habt. Der Sprit wird für die hin und Rückfahrt reichen. Falls wir  bis spätestens morgen Abend nicht da sind, kommt ihr um nach uns zu suchen. Okey?"
Er richtet sich an diejenigen, die im Camp bleiben. Alle nicken verständlich.
"Gut. Dann lasst uns keine Zeit verlieren."
Während also die anderen die hier bleiben sich wieder an die Arbeit machen, steige ich hinten auf das Ladedeck des Trucks und lege meinen Bogen quer über meinen Schneidersitz und warte darauf, dass auch alle anderen einsteigen.
Zu mir nach hinten setzen sich Andrea und Glenn während Daryl und Rick sich vorne auf die Sitze begeben und der Motor gestartet wird.
Als der Truck losrollt Winke ich den anderen noch zu, bevor wir in ein ungewolltes Abenteuer starten.

Hey Leute. Tut mir leid das diese Kapitel ziemlich kurz waren. Das nächste wird länger :) Macht euch auf was gefasst :)

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