Der Anfang

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Meine Zukunftspläne sahen wie folgt aus; Schule beenden und Anwältin werden. Also arbeitete ich hart. Tag und Nacht, nur um Bestnoten zu bekommen. Ich wollte erfolgreich werden, damit meine Mutter, wenn sie mich wieder abholen würde, stolz auf mich sein konnte. Aber ich wusste, dass sie nie wieder zurückkommen würde, denn sie war es schließlich, die mich weg gab. Ich konnte mich noch an ihrem merkwürdigen Blick - der mir sagte, dass wir uns nie wieder sehen würden -, den sie mir zuletzt zu warf, erinnern. Dennoch wollte es mein kleineres Ich nie wahr haben und hoffte jeden einzelnen Tag auf die Rückkehr ihrer Mutter.

Ich schuftete und gönnte mir nur selten eine Auszeit, ich war zu sehr darauf fixiert perfekt zu sein. Ich wollte, dass man mich mochte und respektierte. Ich wollte, dass meine Mutter zurückkam, mich in ihren Armen schloss und mir sagte, wie stolz sie auf mich sei. Wie sie mir sagte, dass sie mich liebte und mich zurück zu sich holen würde. Wobei ich eigentlich meine Jugend genießen sollte. Ich sollte mich verlieben, Spaß haben, shoppen gehen, mich mit Freunden treffen. Und doch sitze ich an meinem Schreibtisch und lerne für die kommende zwischen Prüfung.

Es ist nur noch ein halbes Jahr, bis zum dritten Jahr, der Oberschule. Nur noch einen Steinwurf entfernt. Ich schaue von meinen Unterlagen auf, als ich ein sanftes Klopfen wahrnehme. »Liebes, würdest du etwas zu den Nachbarn rüber bringen?«
»Mach ich, Oma.«, ich lächle und lege meinen Stift beiseite. »Danke, es steht auf der Theke in der Küche.«, ein schwaches Lächeln ziert ihre schmalen Lippen und sie schließt meine Tür. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und sehe meine Decke, an der Sterne kleben, die in der Nacht leuchten.

Die letzten Sonnenstrahlen, der untergehenden Sonne, scheinen in meinem trostlosen Zimmer und zeigen kleine Staubpartikel, die in der Luft schweben. Laut seufzend stemme ich mich von meinem Stuhl auf und verlasse mein Zimmer. Wie immer, wenn ich das Zimmer verlasse, starre ich an die wand vor mir, an dem ein Bild hängt und ein beklemmendes Gefühl macht sich in meiner Brust breit. Ich wende meinen Blick ab und gehe den Flur entlang. Meine Großmutter sitzt auf der Couch und sieht sich eine Dokumentation an.

In der Küche schnappe ich mir die leere, saubere Auflaufform. Wir bekommen von den Nachbarn - wenn sie Zuviel gekocht haben - meist etwas zu essen. Sie unterstützen uns, da meine Oma in Rente ist und ich als Schülerin nicht arbeiten darf. Ich ziehe mir meine puschen an und gehe damit hinaus aus dem Haus. Ein sanfter Wind weht mir entgegen und lässt meine Haare wirr in die Luft schweben. Wir wohnen in einem kleinen, traditionellen japanischen Haus, dass meinen Großeltern gehört.

Sobald ich die Treppen hinab steige, empfängt mich ein gepflasterte Weg. Der Vorgarten hat einige grüne Stellen, an denen Samen gesät wurden und einige Stellen sind mit Kieselsteinen gelegt. Ich mag die Bonsai Bäume, die hier wachsen. Ich öffne die Holztür und verlasse den Vorgarten, nur um dann zu den Nachbarn zu gehen. Ihr Haus ist um einiges größer als unseres und auch der Vorgarten ist breiter. Ich gehe den gefliesten Weg entlang zur Tür und klingle.

»Einer von euch muss gehen!«, höre ich jemand gedämpft rufen. »Ja, ich gehe ja schon!«, brüllt der nächste und ich komme mir deplatziert vor. Unsicher lächle ich, als die Tür aufgeschoben wird und ein breit grinsender Schwarzhaariger mich ansieht. »Hey, Shin. Ich soll das hier von Oma bringen.«, ich reiche meinem gegenüber die Auflaufform. »O, danke.«, murmelt er überrascht. »Willst du noch kurz rein kommen?«

Ich schüttle meinen Kopf. »Nein... «, beharre ich und will bereits einen Schritt zurück gehen, als Ema an die Tür schreitet. »Du bist's!«, stellt sie fröhlich fest. Unsicher lache ich und nicke. Mein Plan war es, die Form weg zu bringen, wieder nach Hause und dann weiter an die Arbeit. Ema ist eine gute Person. Sie ist nett und zweifellos hübsch, deswegen wundert es mich, dass sie noch keinen Freund hat. »Grüßt Opa und Manjiro.«, ich beuge mich kurz vor und verlasse das Gehöft. Ihr Opa, Mansaku Sano, kenne ich, seit ich mit fünf zu meinen Großeltern gezogen bin.

Seit dem an durfte ich ihn auch Opa nennen und mit den anderen freundete ich mich an - zumindest mit Ema. Manjiro und ich verstehen uns zwar, aber ich würde nicht sagen, dass wir Freunde wären und Shinichiro... er ist mir ein wenig zu skurril. Ansonsten sind alle vier ziemlich gute Menschen. »Bin wieder da!«, verkünde ich mein wiederkommen. Meine Oma sitzt noch immer vor dem Fernseher und schaut sich die Doku an. Es geht um Tiere, soweit ich das mitbekomme. Als nächstes finde ich mich in meinem Zimmer, an meinem Schreibtisch wieder.

Die meiste Zeit verbringe ich in meinem Zimmer und lerne. Oft sagt man mir - wenn auch nicht direkt -, dass mein Leben eintönig und langweilig sei. Vielleicht haben sie recht, aber es ist mir egal. In der Schule bin ich die Schülerin mit den guten Noten - Streber, Nerd und weiß wer, wie sie mich noch nennen. Ich habe mich damit abgefunden und die wenigen bewundern meine Noten. Ich seufze und sehe aus dem Fenster, dieses Mal aus dem über meinem Schreibtisch. Ich kann in das Zimmer von Manjiro gucken, wenn ich möchte - das klingt komisch.

Ich schüttle meinen Kopf und wende mich meinen Unterlagen zu. Die Nacht ist angebrochen, also schalte ich meine Tischlampe an, um etwas sehen zu können. Die Tage werden kürzer und die Nächte länger, und kühler. Erst nach einundzwanzig Uhr höre ich auf und mache mir etwas zu essen. Meine Oma schläft schon, denn als ich das Wohnzimmer betrete, ist alles düster. Es ist still und nur das ticken der Uhr, die über ein Regal hängt, gibt Geräusche von sich.

Ich liebe die Nacht. Es ist alles ruhig, besonders die Straßen - nichts desto trotz sollte man aufpassen. Wenn ich am nächsten Tag keine Schule habe, dann setze ich mich auf die Veranda und blicke in den Sternen klaren Himmel. Die leuchtende Sterne geben mir etwas beruhigendes. Im Sommer macht es mich ganz nostalgisch draußen zu sitzen, mit dem Gezirpe, der grillen und den Vogel Gezwitscher. Vielleicht das ein, oder andere Rascheln, das von einem Eichhörnchen stammt.

Meine Mutter hat mich oft nach draußen gesetzt - Nachts. Als Kind dachte ich, dass sie es tat, damit ich sehe, wie toll die Nacht ist. Und ja, ich finde die Nacht wirklich toll. Vielleicht das einzige, dass ich dank ihr toll finde. Schließlich wurde mir, in den laufenden Jahren, die ich bei meinen Großeltern verbracht habe, klar, dass sie mich raussetzte um ihre Ruhe zu haben. Die Ruhe von mir, denn sie hatte genug von mir.

Ich wusste es.
Meine Mutter liebte mich nicht.

𝐈 𝐥𝐨𝐯𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐢𝐥𝐞𝐧𝐭𝐥𝐲Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt