Schulden

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Ihr ist es anzusehen, dass sie unfreiwillig dasitzt. Ihre braunen Haare sind zu einem feinen Dutt gebunden und ihre schwarze Kleidung lässt sie wie eine elegante, junge Frau aussehen. Ihre Blick ist träge auf den Boden gerichtet, während sie alleine da sitzen muss und sich immer wieder, von den verschiedensten Menschen mein Beileid anhören muss; sich fürs kommen bedanken muss. Sie will alles andere als hier sein. »Es tut mir so leid.«, sagt plötzlich eine Mutter, dessen Kind sie an ihrer Hand hat und sich vor Kiyomi verneigt. Und auch das Kind, dass gerade mal fünf ist, neigt sich vor Kiyomi.

»Ihre Großmutter hat meine Tochter davor gerettet, überfahren zu werden. Ich bin Ihnen ein Leben lang-«
»Schon gut. Sie schulden mir nichts, Hauptsache ist, dem Kind geht es gut.«, Kiyomi setzt ein Lächeln auf, das bei weitem nicht ihre Augen erreicht und es dennoch ehrlich wirkt. Sie sieht das Mädchen an und nimmt ihre Hände. »Versprich mir einfach, dass du in Zukunft besser auf dich aufpasst.«, das Kind nickt hastig und der Mutter entfliehen Tränen. Sie fühlt sich schuldig und dennoch ist sie heilfroh, dass ihr Kind das Leben weiter erleben darf.

»Lassen Sie mich Ihnen dennoch helfen!«, die Mutter verbeugt sich, will sich erkenntlich zeigen. Aber Kiyomi schüttelt den Kopf. »Es ist nicht nötig. Bitte passen sie einfach gut auf ihre Tochter auf. Meine Oma hat ihr Leben gelassen, damit ein jüngeres ihr Leben weiter erkunden kann. Also tun Sie bitte das nötigste, um diesem Kind eine Zukunft zu geben.«, bittet sie die Mutter und lässt die Hände des kleinen Mädchens los. Die Mutter nickt, obwohl sie ihr dennoch helfen möchte. Sie nimmt das Kind zur Hand und geht zurück, auf einen der Plätze. Kiyomi sagt das so leichtfällig, wobei sie sich wünscht, dass ihre Oma noch lebt.

Sie wünscht sich, dass es beide geschafft hätten. Und doch hat es letzt endlich nur das Kind geschafft. Ich weiß nicht, was diese Zukunft parat hält. Denn als ich aus der Zukunft, zusammen mit Takemichi kam, war Kiyomi kein wichtigen Teil davon gewesen. Sie war wie eine Nebenrolle im Buch, die jetzt zur Hauptrolle geworden ist, weil ich mich mehr für sie interessiert habe. Und ich wusste nicht einmal, dass ich solch eine Interesse für jemanden wie sie verspüren kann. Denn eigentlich verloren wir uns aus den Augen, als wir in der Mittelschule kamen.

»Du solltest echt nochmal mit ihr reden.«, flüstert Ema mir zu. Sie sitzt neben mir und folgt meinen Blick, der ständig an Kiyomi klebt. Bedrückt sehe ich auf meine Oberschenkel. Seit dem Tag, an dem sie mich raus gebeten hat, haben wir nicht mehr mit einander geredet, oder geschrieben. Es ist, als würde alles von vorne anfangen und wir distanzieren uns wieder. Ich will das nicht und dennoch hält es ein Teil von mir für das beste, wenn es weiter so läuft. »Ema hat recht, ihr habt seit fast einem Monat nicht mehr geredet.«, mischt sich Shinichiro ein. »Seit einem Monat und zwei Wochen, sechs Stunden und dreiundzwanzig Minuten.«

»Siehst du.«, sagt Shinichiro, während er mich ansieht, als wäre ich ein verrückter. Ich komme mir selbst doof vor, wenn ich ständig die Zeit zähle, nur um dann zu wissen, wie lange wir nicht mehr miteinander geredet haben. »Sowas kannst du dir merken, aber nicht wann dein heiß geliebter Bruder Geburtstag hat?«, jetzt wendet er sich empört ab. »Ich weiß wann du Geburtstag hast.«, erwidere ich harsch. Jetzt schaut er mich neugierig an. »Ach ja und wann?«, er hebt erwartungsvoll seine Augenbrauen in die Höhe. Ich öffne meinen Mund, doch verlässt mich kein Wort.

»Siehst du?«, er verdreht seine Augen. »Nein, ich weiß es! Der elfte Juni.«, ich verschränke meine Arme ineinander und sehe ich herausfordernd an. Ema seufzt enttäuscht und Shinichiro sieht mich mit einem Dein-Ernst Blick an. Frustriert fährt er sich durch sein Haar. »Es ist echt enttäuschend, wir kennen uns seit achtzehn Jahren, bald neunzehn und du erinnerst dich immer noch nicht daran! Erster August, Knirps.«

»Ich danke euch wirklich sehr, dass ihr das hier ermöglicht. Ich werde es euch, sobald ich kann, zurückzahlen.«, der Wind weht, während sich Kiyomi vor uns verbeugt. Mein Opa tätschelt ihre Schulter. »Wie oft noch, Kiyomi? Du wirst uns nichts zurückzahlen, verstanden?«, sagt er und sieht sie mit sanften Blick an. Sie erwidert ihren Blick. »Dann sagt mir wenigstens, wenn ich euch behilflich sein kann.«, fordert sie Opa auf und er nickt. »Okay.«, er lächelt ihr zuversichtlich zu und tätschelt nochmals ihre Schulter. »Ich muss euch leider um noch etwas bitten.«

»Was denn? Frag nur.«, Opa sieht sie erwartungsvoll an. »Könntet ihr nächste Woche auf das Haus aufpassen? Ich bin für eine Woche in Kumamoto.«, überrascht blinzle ich. Wieso wird sie soweit von uns entfernt sein? »Natürlich! Aber warum musst du denn nach Kumamoto, dass ist doch so weit?«
»Es geht um das Testament. Ich habe Informationen bekommen, dass meine Mutter sich dort befindet und dort auch das Testament stattfindet.«, sie schaut bedrückt zu Boden. Sie sieht aus, als hätte sie Angst davor. Sie hat Angst und will am liebsten Schwänzen und dennoch wird sie hingehen.

»Und wie kommst du da hin?«, fragt mein Opa. Ich wende mich ab, denn ich werde sicher nicht mehr dazu kommen mit ihr zu reden und ich befürchte, dass ich sowieso nichts raus bekomme. Ich hatte mich falsch ausgedrückt und ich sehe auch ein, dass es ein Fehler meinerseits gewesen ist und dennoch habe ich mir erhofft, sie könnte mir zuhören. Aber sie hat Ruhe gebraucht, ich hätte mich nicht aufdrängen sollen. Vielleicht ist es besser so ...

Eine Woche später

»Willst du mich verarschen, Mikey!?«, keift mich meine Schwester, während meiner elender Trauer an. Ich lege mein Kopf an die wand und sehe sie müde an. »Hör auf wie ein verdammter Trauerkloß auf deinem Bett zu hocken und unternehme was!«, sie reißt meine Gardinen auf, die bis eben noch mein Zimmer ins Schwarz tunkten. »Was soll ich deiner Meinung nach tun? Ich habe versagt und sie letz endlich belogen und im Stich gelassen.«, Tränen rinnen meine Wangen hinab. Ich habe es nie für möglich gehalten für eine Frau zu weinen.

»Lauf ihr hinterher, bevor sie in den Flieger steigt und es zu spät ist, Mikey.«, meine Schwester setzt sich an meine Bettkante und legt sanft ihre Hand auf meine Knie. »Jetzt gerade braucht sie dich am allermeisten.«
»Sie kommt doch in einer Woche wieder.«, ich lege mich auf mein Bett und lege mir die Decke über den Kopf, damit sie endlich geht. »Nein, Mikey! Du wirst jetzt aufstehen und jetzt zu ihr laufen, um mit ihr zu reden! Ich habe keine Lust noch eine weitere Woche dein Elend zu betrachten!«, faucht sie und reißt mir die Decke weg.

»Du wirst sie zum Flughafen fahren, ich habe Opa Bescheid gegeben!«, erschrocken reiße ich meine Augen auf und sehe sie verblüfft an. »Was hast du getan?!«
»Dafür gesorgt, dass ihr ohne Probleme reden könnt!«, Ema's Blick wird wieder sanfter. »Wenn du so weiter machst, wird sich dieser Katō Kiyomi unter den Nagel reißen. Ich habe gesehen, wie er sie ansieht!«, er packt mich an den Schultern und rüttelt mich. »Wach endlich auf!«, mein Herz schlägt schneller, während ich immer noch damit struggle aufzustehen.

𝐈 𝐥𝐨𝐯𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐢𝐥𝐞𝐧𝐭𝐥𝐲Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt