Langeweile

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Ich recke meinen Nacken und versuche mit einer Massage, die Spannung weg zu bekommen. Aber egal was ich tue, nichts ändert sich und die Schmerzen plagen mich immer noch. »Hey, Ema!«, schreie ich und öffne meine Tür einen Spalt. »Was gibt es zu essen!?«, frage ich laut und wie auf Kommando knurrt mein Magen. Ich rümpfe meine Nase und verziehe gequält mein Gesicht. »Curry!«, brüllt sie zurück und mein Magen knurrt erneut. Ich seufze, da ich mich noch eine Weile gedulden muss.

Und mein Vorrat an Tayaki ist leer. Ich stöhne genervt und lasse mich auf mein Bett nieder. Der Wind weht in mein Zimmer und lässt meine Gardinen wehen. Mein Blick fällt aus dem Fenster und schauen das Mädchen an, dass direkt gegenüber meines Zimmers wohnt. Sie hat sich vorgebeugt und schreibt etwas auf ihrem Papier. Wahrscheinlich lernt sie, wie immer. Ihre Haare hat sie hochgesteckt und mit einer Klammer befestigt. Ich lege meine Arme auf meinem Fensterbrett und stütze meinen Kopf drauf ab, während ich sie beobachte. Sie klimpert mit ihren dichten Wimpern und runzelt einpaar mal die Stirn.

Dann lehnt sie sich zurück und redet mit jemanden, womöglich mit ihrer Oma, die sie um etwas bittet. Sie lächelt und nickt. Ihr Lächeln lässt ihr Gesicht heller strahlen und sie wirkt nicht mehr so ernst, als würde sie nur Ärger mit den Buchstaben und zahlen haben. Ich weiß nicht, warum ich sie anstarre und doch komme ich auf die einzig sinnliche Antwort. Langeweile. Ja, es muss aus Langeweile sein, denn anders kann ich es mir nicht erklären. Sie ist ein Mädchen das äußerst viel lernt.

Für mich ist sie immer noch das kleine, schüchterne Mädchen von damals, dass nur auf ihre Noten achtet. Sie sitzt jeden Tag, ob nach der Schule oder in den freien Tagen, vor dem Schreibtisch und lernt. Aber wofür macht sie sich bloß die Mühe? Damals fand ich es aufregend sie kennenzulernen, aber mit der Zeit habe ich fest gestellt - zumindest nachdem wir in die Mittelschule kamen -, dass sie nur lernen im Kopf hat.

Außer Emma, sie und Emma verstehen sich anscheinend noch recht gut. Aber es ist nicht so, dass sie sich Tag ein, Tag aus verabreden. Sie und Emma verbindet dasselbe Schicksal. Sie wurden beide von ihren Müttern verlassen, vielleicht ist das der Grund, dass sie zusammenhält. Gedankenverloren bekomme ich nicht mit, wie sie ihr Zimmer verlässt und ich nur noch in die leere starre. Als es klingelt ziehe ich es nicht in Erwägung aufzustehen, da mein Bruder schneller sein wird. Dennoch macht es mich neugierig und ich frage mich, ob sie es ist, die klingelt.

Ich verlasse schleppend mein Zimmer und erneut meldet sich mein Magen. »Wer war das?«, frage ich und setze mich gegenüber meines Großvaters, der dabei ist, eine öde Zeitung zu lesen. Ich schnappe mir ein, zwei Weintrauben von der Obstschale und verschlinge sie. »Kiyomi hat die Auflaufform zurück gebracht«, antwortet Shinichiro, der die Form auf die Ablage - in der Küche - abstellt und seine Hände an seinen Hüften abstützt. Ich nicke weniger überrascht, weil ich es mir schon gedacht habe.

Ihre Oma ist schon alt und ihr fällt es immer mehr schwer Dinge zu erledigen, wodurch sie ihre Enkelin um Hilfe bittet. Es ist eine Frage der Zeit, wie lange ihre Oma noch durchhält. Dennoch wünsche ich mir, dass es nicht so schnell passiert, denn ich möchte nicht, dass jemand anderes in diesem Zimmer einzieht. Ich habe mich daran gewöhnt ihr, wenn mir langweilig ist, dabei zu zusehen, wie sie lernt. »Wie wär's, wenn wir morgen zum Strand fahren.«, schlägt Ema vor und stellt mir ein Teller, mit Curry auf den Tisch.

»Mir egal.«
»Egal ist hier nicht, es gibt nur ein Ja, oder nein!«, Ema fuchtelt mit ihrer Kelle umher und sieht mich mahnend an. Gleichgültig zucke ich mit meinen Schultern. »Morgen soll es noch ein letztes Mal warm werden, bevor dann das Herbst Wetter beginnt.«
»Im Herbst kann man auch Baden.«
»Das wäre aber nicht vorteilhaft, wenn du beim Regenwetter zum Strand fährst und baden gehst.«, erwidert mein Opa und legt die Zeitung beiseite. Manchmal liest er sich die Zeitung zweimal durch, oder dreimal, oder viermal.

Und immer wieder frage ich mich, ob es nicht langweilig wird, ständig die Wiederholung zu lesen. »Wer sagt, dass ich zum Strand fahre? Wozu gibt es Badewannen.«, ich grinse und stopfe mir mein Mund mit Curry voll. Mein großer Bruder gesellt sich neben mich und stützt sich seufzend mit seiner Hand ab. »Dir sollte mal jemand dein Kopf waschen.«
»Hä, wieso? Schaff ich auch allein.«
»Du Trottel!«, Shin haut mit gegen meinem Hinterkopf und ich lache. Sie lieben mich.

»Okay.«, sage ich. »Dann fahren wir morgen ans Meer.«
Ema's Gesichtszüge erhellen sich, während sie den letzten Teller auf den Tisch stellt. »Super! Dann frage ich Kiyomi, ob sie mitkommt!«, sie klatscht sich freudig in die Hände und setzt sich am Tisch. »Du willst sie mitschleppen?«, frage ich sichtlich überrascht. Ich ziehe meine Stirn kraus und weiß jetzt schon, dass sie sie erst gar nicht fragen braucht. Nein, wird sie sagen. Ich muss noch lernen, wird sie hinzufügen.

Es muss schon ein Wunder geschehen, dass sie zustimmt und dann sollte man es im Kalender mit drei roten Kreuzen ankreuzen. Ich habe sie noch nie mit jemanden gesehen, mit den sie Spaß hatte. Hat sie überhaupt spaß? Es sollte mir egal sein, weil sie sie ist, mehr nicht. »Klar. Sie muss aus ihrer Komfortzone herauskommen, bevor sie sich versieht und das Leben vorbei ist!«, sagt Ema und ist sich dabei sicher, dass sie Kiyomi umstimmen kann. »Wenn du meinst.«, unverblümt zucke ich mit meinen Schultern und esse das köstliche Curry auf.

Wenn Ema erst einmal etwas vorhat, dann wird sie so schnell nicht aufgeben. Dennoch bezweifle ich, dass Kiyomi zustimmen wird. Denn auch sie - noch eine Sache, die Ema und Kiyomi ähnlich macht - ist stur. »Du sagst den anderen Bescheid.«, fordert mich Ema auf. Ich runzle meine Stirn. »Warum machst du das nicht?«, ich stecke meine Hände in meine Hosentaschen und stehe auf. »Weil sie auf dich eher hören!«, ich seufze und gebe letzt endlich nach.

𝐈 𝐥𝐨𝐯𝐞 𝐲𝐨𝐮 𝐬𝐢𝐥𝐞𝐧𝐭𝐥𝐲Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt