Kapitel 11

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Stille.

Nur mit Mühe kämpfte sich Justus aus dem Nebel, der ihn umgab. Er spürte erst nichts, dann höllische Kopfschmerzen und ein Brennen an seiner rechten Hand. Und das einzige, was er hörte, war ein grässlicher Tinnitus.

Benommen öffnete er die Augen. Aber er sah nur winzige helle Punkte, die über sein Blickfeld huschten. Was war passiert? Warum hatte er solche Kopfschmerzen?

Als er die Augen erneut schloss und wieder öffnete, waren die Punkte fast verschwunden und sein Hirn wieder in der Lage, die Dinge, die er sah, zu fokussieren. Er versuchte sich zu orientieren. Sein Blick fiel auf seine brennende Hand und er bemerkte in der Dunkelheit einen langen Schnitt quer über die Handinnenfläche, aus dem eine Flüssigkeit rann. Blut? Seine Augen wanderten auf den weißen, schlaffen Ballon, der vor ihm aus dem Armaturenbrett kam. Der Airbag? Warum war der Airbag draußen? Er versuchte zur Besinnung zu kommen und sein vernebeltes Hirn wieder hochzufahren.

Konzentrier dich!, mahnte er sich selbst in Gedanken und versuchte sich zu sammeln. Du sitzt in einem Auto, du bist verletzt. Wo warst du gerade? In wessen Auto bist du?

Und plötzlich durchfuhr ihn die Erkenntnis, wie ein Blitz. »Lin!«

Er wandte sich zur Fahrerseite und erstarrte. Augenblicklich war er hellwach.

Lin saß reglos auf dem Fahrersitz, den Kopf an die Karosserie gelehnt, die Hände in ihrem Schoß. Viel konnte Justus in der Dunkelheit nicht erkennen. Ihr Gesicht schien unverletzt, aber als Justus genauer hinsah, erkannte er, dass Blut an ihrem Kinn herunterlief. Der Airbag und die Dunkelheit verbargen, ob sie weitere Verletzungen davongetragen hatte.

»Lin! Kannst du mich hören?« Justus griff nach ihrem Arm und rüttelte ihn sacht.

Keine Reaktion.

»Verdammt! Wir brauchen Hilfe.« Hektisch suchte er nach seinem Handy und versuchte den Schmerz in seiner Hand und seinen dröhnenden Kopf, der sich bei jeder kleinsten Bewegung meldete, zu ignorieren. Er fand es nicht! Sein Handy war weg! Er fluchte. Er war sich sicher, es in seine Hosentasche gesteckt zu haben. Vermutlich war es ihm bei dem Unfall herausgefallen.

Dann fiel sein Blick auf die Handtasche, die zwischen seinen Beinen im Fußraum stand. Lin hatte sie ihm vorhin beim Einsteigen gereicht und er hatte sie dort verstaut.

Hektisch griff er danach und zog ihr Handy nach kurzem Suchen heraus. Es war durch eine PIN geschützt, aber der Notruf ließ sich auch mit aktivierter Tastensperre absetzen. Er hatte jetzt nun wirklich keine Zeit, ihre PIN herauszufinden.

»Notrufzentrale«, meldete sich eine Frauenstimme.

»Hier ist Justus Jonas. Wir hatten einen Autounfall und brauchen Hilfe.«

»Wo befinden Sie sich, Mr. Jonas?«, fragte die Stimme mit einem beruhigenden Ton nach.

»Auf der Landstraße von L.A. nach Rocky Beach. Schätzungsweise etwa drei Meilen vor Rocky Beach.«

»Wie viele Personen sind betroffen?«

»Zwei. Eine Freundin und ich. Sie ist schwer verletzt und nicht bei Bewusstsein.«

»Können Sie den Puls und die Atmung Ihrer Freundin kontrollieren?«

Justus legte vorsichtig die Hand auf Lins Hals und suchte den Puls. Er war schwach, aber er war da. Dann hielt er seine Hand vor Mund und Nase und fühlte einen leichten Hauch. Erleichtert atmete er auf und gab die Informationen weiter.

»Mr. Jonas, ich schicke sofort jemanden zu Ihnen. Versuchen Sie in der Zwischenzeit mit ihr zu sprechen. Auch wenn sie bewusstlos ist, wird es ihr helfen. Und bewahren sie Ruhe. Es wird bald jemand bei ihnen sein.«

»Danke!«, sagte Justus und legte auf.

In diesem Moment regte sich Lin. Sie hob langsam und stöhnend den Kopf und fasste sich mit der Hand an die Stirn. Justus setzte sich rasch auf und steckte das Handy weg.

»Lin! Hörst du mich?«

»Justus?« Ihre Stimme klang schwach und brüchig. »Was ist passiert? Ich hab solche Kopfschmerzen.«

»Alles wird gut! Hilfe ist unterwegs. Wir hatten einen Unfall.«

»Unfall? Aber wir waren doch gerade noch auf der Vernissage?«

»Nein, wir sitzen im Auto.« Justus versuchte seiner Stimme einen ruhigen, zuversichtlichen Klang zu verleihen. »Du bist wahrscheinlich mit dem Kopf aufgekommen und daher etwas durcheinander. Aber alles wird gut. Vertrau mir!«

Lin nickte nur und schloss die Augen. »Ich bin so müde.«

»Du darfst gleich schlafen, aber noch nicht jetzt.« Etwas verzweifelt suchte er nach einer Möglichkeit, sie wach zu halten. »Lass uns noch etwas reden, bis Hilfe da ist. Dann geht die Zeit schneller rum. Du hast mir vorhin erzählt, dass Bob noch in der Redaktion ist. Woran arbeitet er gerade?«

Es dauerte etwas, bis Lin antwortet. Fast dachte er, sie wäre wieder weggedriftet. »Er hat mir nicht viel erzählt«, sagte sie stockend. »Nur, dass ... ich ... ich bin so müde. Justus, lass mich schlafen ...«

»Nein, ich werde dich nicht lassen!«, sagte er streng. »Du erzählst mir jetzt, was er gesagt hat.«

»Na schön.« Sie ergab sich. »Er hat nur erzählt, dass es ... um Bestechung geht ... und dass einige große Namen ... aus der Stadtpolitik in San Francisco beteiligt sind.«

Das Sprechen bereite ihr große Mühe, aber Justus trieb sie weiter an. »Bestechung? Wer hat wen bestochen?«

»Eine ... Baufirma, die bei einigen Bauvorhaben den Zuschlag ... bekommen hat ... viel Geld ist geflossen.«

»Das übliche also«, bemerkte Justus, wobei er sich kaum auf ihre Worte konzentrierte.

»Muss wohl ...«, sie stockte und verzog schmerzvoll das Gesicht »... in großem Stil in den letzten Jahren ...« Ihre Stimme erstarb.

»Lin, du musst wach bleiben! Erzählt weiter!«

»Ich bin so müde.« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.

»Nein, nein, nein! Bleib bei mir!«

Sie schluckte und schloss die Augen. »Justus, du musst ... Bob anrufen ... Handy zu Hause liegen lassen. Er ist nur in ... der Redaktion erreichbar. Unter der Büro ... nummer ... Versprich es mir«

»Wenn du wach bleibst, werde ich dir alles versprechen.«

Trotz Schmerzen und bleierner Müdigkeit, erschien ein kurzes Schmunzeln in ihrem Gesicht. »Verlockend. Nein ... nur das. Ruf ihn an ... Bitte!«

»Versprochen! Lin? Lin!«

Justus war sich nicht mal sicher, ob sie seine Antwort noch gehört hatte, denn augenblicklich war sie wieder in die Bewusstlosigkeit gesunken. Noch einmal überprüfte er Puls und Atmung und fluchte leise vor sich hin. Alles war da, aber beängstigend schwach. Er verlor völlig das Zeitgefühl. Als er endlich das Blaulicht durch das dunkle Tal zucken sah und die Sirenen hörte, hatte er das Gefühl, es wären Stunden vergangen. Immer wieder hatte er Lins Puls kontrolliert, der sich nicht besserte, aber zum Glück auch nicht verschlechterte.

Irgendwann spürte er, wie seine Tür geöffnet und er mit sanftem Druck aus dem Auto gezogen wurde. Man sprach mit ihm, jemand führte ihn zum Rettungswagen und setzte ihn auf die Stufen. All das registrierte er nur noch am Rande. Auch, dass plötzlich eine Gestalt in Uniform auf ihn zu stürzte und ihn mit aufgeregter Stimme ansprach. Peter?

Eine bleierne Müdigkeit übermannte ihn. Die Kopfschmerzen traten wieder in den Vordergrund und mit ihnen die Erleichterung, das endlich Hilfe da war.

Es war vorbei!

Dämonen der Vergangenheit (Drei Fragezeichen Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt