»Danach ist alles weg«, berichtete Bob weiter. »Auch nach all den Jahren. Ich kann mich weder an den Unfall noch an die darauffolgenden Tage erinnern. Nichts als Leere. Und vielleicht ist es auch besser so, dass mein Gedächtnis diese Episoden gelöscht hat. Als ich dann eure Stimmen im Krankenhaus hörte und eure Gesichter sah, kam blanke Panik in mir hoch. Keine Ahnung warum.« Er schluckte. »Es war, als würde mir jemand die Luft abschnüren. Und gleichzeitig hörte ich eine Stimme in meinem Kopf, dass es nicht gut ist, wenn ihr bei mir seid. Dass es für mich und für euch lebensgefährlich ist. Ich wollte nur noch, das ihr verschwindet und endlich alles aufhört.«
Kurz hob er den Kopf und blickte Peter direkt in die Augen. »Es tut mir leid, was ich dir damals an den Kopf geworfen hab. Ich weiß, ich hab dich damit sehr verletzt. Aber ich wusste nicht, wie ich dich sonst loswerden konnte.«
Bob starrte wieder auf seine Hände, während er sich der entsetzten Blicke seiner Freunde bewusst war. Endlich erhielten sie die Antworten, auf die sie so lange gewartete hatten. Doch ob ihnen diese gefielen, bezweifelte er.
Er holte tief Luft und fuhr fort: »Einige Wochen nach der Reha habe ich nochmal versucht, mit euch zu reden. Aber auf dem Weg kam die nächste Panikattacke und ich musste umkehren. Ich bin keine fünfhundert Meter weit gekommen. Danach bin ich geflohen. Vor euch. Aber vielmehr vor diesem Gefühl, dass jeden Moment etwas Schreckliches passieren wird. Vor dem Entsetzen, was mit mir geschehen sein muss, dass ich so empfinde. Mit der Zeit wurde es besser. Aber die Angst, dass das Gefühl wiederkommt, sobald ich einen von euch sehe, blieb. Deswegen habe ich mich nie gemeldet.«
»Was haben die Ärzte gesagt?«, fragte Justus.
»Irgendwas mit retrograder Amnesie in Folge eines Traumas. Wie genau das ausgesehen hat ...« Er brach ab und zuckte nur mit den Schultern. Nur ungern erinnerte er sich an die vielen Schnitte und Prellungen, die nicht allein von dem Autounfall stammen konnten.
»Was ist mit deinen Alpträumen?«, fragte Justus weiter. »Lin hat mir von ihnen erzählt.«
Bob ahnte, worauf er hinauswollte. Der Gedanke, dass sein Unterbewusstsein ihm durch die Alpträume Hinweise auf die Geschehnisse liefern würde, war ihm auch schon gekommen, aber es hatte ihn nicht weitergebracht. Eher noch mehr entsetzt und verwirrt.
»Die Träume sind immer gleich. Es ist alles pechschwarz«, antwortete er mit zittriger Stimme. Es fiel ihm sehr schwer, darüber zu reden. Aber wenn er schon dabei war, seinen ehemals besten Freunden die komplette Geschichte zu erzählen, würde er diesen Teil nicht aussparen. Er räusperte sich. »Ich sehe absolut gar nichts. Aber dafür höre und fühle ich umso mehr. Eine fremde Männerstimme und eure Stimmen. Und gleichzeitig ... Schmerzen, die ihr euch nicht vorstellen könnt ...« Seine Stimme brach. Er schluckte erneut und fuhr sich durch die Haare.
»Mein Gott, was haben diese Mistkerle mit dir gemacht?«, hörte er Peters leise Stimme, jetzt nicht mehr wütend, sondern zutiefst erschüttert.
»Ich glaube, ich will es inzwischen gar nicht mehr so genau wissen«, gestand er mit brüchiger Stimme. »Mir reichen die Bruchstücke, die in meinen Alpträumen auftauchen.«
Auch Justus sah aus, als wolle er etwas sagen. Vielleicht wollte er seine Theorie in alter Manier vor ihnen ausbreiten. Er hatte den gleichen Ausdruck in den Augen, wie damals, wenn sich wieder einmal sein Verdacht bestätigt hatte. Aber er schwieg, worüber Bob sehr erleichtert war. Es war schon schwer genug, selbst darüber zu reden. Die Worte jedoch aus einem anderen Mund zu hören, empfand er als unerträglich.
Ein betretenes Schweigen machte sich in der Zentrale breit. Bob konnte spüren, wie sich die Atmosphäre gewandelt hatte und die Feindseligkeit immer mehr verschwand, je tiefer das gerade Gesprochene eindrang und verarbeitet wurde.
»Wie fühlst du dich jetzt?«, fragte Justus ruhig.
Bob schwieg eine Zeit lang und horchte in sich hinein. Erst jetzt fiel es ihm auf. Da war nichts mehr. Aufregung, Nervosität und die Angst vor der Panikattacke, ja. Aber die Panik selbst fehlte. Genauso, wie die Stimme schwieg. Nichts passierte. Und niemand von ihnen war innerhalb der letzten halben Stunde einfach tot umgefallen.
»Gut, glaube ich«, sagte er zögernd. »Den Umständen entsprechend eben. Aber die Panik bleibt aus.«
Sie schwiegen wieder.
Bob legte das Gesicht in seine Hände und verharrte. »Es tut mir so leid«, flüsterte er tonlos und meinte damit nichts Bestimmtes und doch irgendwie alles, was geschehen war.
Er hörte das Knarren des Bürostuhls und spürte plötzlich wie ihm eine Hand auf die Schulter gelegt wurde. Kurz zuckte er zusammen, dann ließ er es geschehen. Er spürte, wie er von den zwei Menschen, die ihm einmal so viel bedeutet hatten und die er die letzten Jahre so schmerzlich vermisst hatte, in den Arm genommen wurde.
Und so saßen sie da, schweigend. Sie wussten alle drei, dass die Wunden noch lange brauchen würden, bis sie endgültig verheilt waren. Wahrscheinlich würden viele Narben bleiben. Nichts würde so sein, wie es früher einmal gewesen war. Man hatte ihr Leben genommen, es achtlos mit Füßen getreten und ihnen wertvolle, gemeinsame Jahre gestohlen.
Aber aus den Trümmern ihres gemeinsamen Lebens, würde neues entstehen. Jetzt, wo der Anfang gemacht war. Dessen waren sie sich sicher.
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Dämonen der Vergangenheit (Drei Fragezeichen Fanfiction)
Fanfiction☆ Gewinner der Amby Awards 2023 ☆ Was muss geschehen, damit man seinem bisherigen Leben von einem Tag auf den anderen den Rücken kehrt und jeden Kontakt abbricht? Eyleen Andrews steht vor einem Rätsel. Eigentlich lebt sie das Leben, das sie sich i...